Als sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schörder und sein Herausforderer Edmund Stoiber 2002 im ersten TV-Duell der deutschen Fernsehgeschichte gegenüberstanden, war das auch ein Ausdruck der alten Bundesrepublik. Union gegen SPD - das war über Jahrzehnte hinweg die politische Konstellation, wenn es darum ging, die Frage zu beantworten, wer das Land führt. Dass sich die Machtverhältnisse inzwischen verschoben haben, lässt sich nicht erst an der Besetzung jener Fernsehdebatten ablesen, die vor fast drei Jahren im Vorfeld der damaligen Bundestagswahl stattfanden. Aus den traditionellen Duellen waren Trielle geworden, an denen nun auch Annalena Baerbock teilnahm, die als erste Kanzlerkandidatin der Grünen in den Wahlkampf zog. 

Damit zeigte sich erstmals auch auf Bundesebene, was in vielen Bundesländern schon längst Realität war; dass nämlich der klassische Zweikampf zwischen Schwarz und Rot keineswegs in Stein gemeißelt sein muss. Das musste einst auch der Südwestrundfunk erkennen: Noch 2011 ließ er im Vorfeld der baden-württembergischen Landtagswahl die Spitzenkandidaten von CDU und SPD duellieren, doch am Ende machte der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann das Rennen und wurde neuer Ministerpräsident. Als dieser zuletzt vor drei Jahren ins Rennen zog, war dagegen der SPD-Spitzenkandidat nicht mehr Teil der Auseinandersetzung.

Erklärbar waren die Besetzungen solche Zwei- oder Dreikämpfe in der Vergangenheit stets mit Blick auf bestehende Machtverhältnisse oder Umfragewerte. Doch was, wenn in Umfragen eine Partei hohe Zustimmungswerte genießt, obwohl sie in Teilen als "gesichert rechtsextremistisch" gilt? In Thüringen stellt sich diese Frage in diesen Tagen ganz besonders: Dort wird der Landesverband der AfD zwar seit einigen Jahren vom Landesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft - und doch wird der Nachrichtensender Welt dem Spitzenkandidaten Björn Höcke, der nach einem Gerichtsurteil als "Faschist" bezeichnet werden darf, am Abend eine Bühne bieten.

Der AfD-Mann, dessen Partei in Umfragen in Thüringen derzeit mit rund 30 Prozent an der Spitze liegt, soll 45 Minuten lang mit dem CDU-Politiker Mario Voigt vor laufenden Kamera diskutieren - befragt von TV-Chefredakteur Jan Philipp Burgard und Tatjana Ohm, der Chefmoderatorin des zu Springer gehörenden Kanals. Der Anlass dafür, dass sich Voigt und Höcke zu dem TV-Duell herausgefordert haben, war, so lässt Welt wissen, ein Streit über die Existenzberechtigung der Europäischen Union. Voigt hatte Höcke vor einiger Zeit falsch zitiert und ließ sich daraufhin auf dessen Forderung nach einem Duell ein.

Nicht dabei ist hingegen Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, der schon vor Monaten eine derartige TV-Debatte mit Höcke ausgeschlossen hatte. "Früher ist man bei Duellen davon ausgegangen, dass die Duellanten beide ehrenhafte Leute waren. Das kann von Herrn Höcke aber nicht sagen", erklärte der Linken-Politiker in einem Interview mit "Ippen Media". Tatsächlich ist Ramelow nicht der einzige, der das so sieht. Sein Parteikollege, Linken-Chef Marin Schirdewan, sagte der "Welt": "Wer Höcke eine Bühne bietet, macht sich zum Komplizen."

 

 "Die Strategie, Parteien vom Diskurs auszuschließen, hat offenkundig nicht funktioniert."
Welt-TV-Chefredakteur Jan Philipp Burgard

 

Jan Philipp Burgard © Welt/Andreas Hornoff Jan Philipp Burgard
Welt-TV-Chefredakteur Jan Philipp Burgard, 2021 von der öffentlich-rechtlichen ARD gekommen, verteidigt das Duell zwischen Voigt und Höcke. "Eine öffentlich ausgetragene politische Diskussion ist Ausdruck der Vitalität unserer Demokratie", erklärte er im Vorfeld der Live-Sendung. "Die Strategie, Parteien vom Diskurs auszuschließen, hat offenkundig nicht funktioniert. Das TV-Duell ist der Versuch, Aussagen kritisch zu hinterfragen - unabhängig davon, ob sie den eigenen Werten entsprechen."

Ohnehin stellt sich auch mit Blick auf die nächste Bundeswahl, die spätestens im Herbst 2025 stattfinden wird, mehr denn je die Frage, wie es die deutschen Fernsehsender mit der AfD halten, schließlich liegt die Partei selbst in bundesweiten Umfragen seit Monaten auf dem zweiten Rang - weit vor den regierenden Ampelparteien. Sie aus dem medialen Diskurs auszuschließen, würde im Zweifel das oft bemühte AfD-Narrativ der Opferrolle noch verstärken.  

"Vielfältige Perspektiven für Ihre Wahlentscheidung"

"Grundsätzlich ist unsere Haltung, dass wir zu einem möglichen Kanzlerduell/-triell/-quadruple alle Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen einladen würden, die auf dem Boden der Verfassung stehen und eine realistische Regierungsoption haben", sagte Sven Pietsch, Chefredakteur von ProSiebenSat.1, gegenüber DWDL.de. Und auch Gerhard Kohlenbach, Chefredakteur Politik, Gesellschaft & Nachrichten bei RTL News, klingt ganz ähnlich: "Wir nehmen unsere Verantwortung als Medienunternehmen zur demokratischen Meinungsbildung sehr ernst. Daher werden entsprechend alle demokratisch legitimierten Parteien im Rahmen der Bundestagswahl bei RTL stattfinden. Unsere journalistische Einordnung orientiert sich dabei an der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Mit unserer Berichterstattung liefern wir den Menschen die nötigen Fakten und vielfältige Perspektiven für Ihre Wahlentscheidung."

Es sind Aussagen, die Raum zur Interpretation lassen. Wie groß die Bühne ausfallen wird, die das Fernsehen der AfD bieten wird, steht also noch nicht abschließend fest. Das macht auch ARD-Chefredakteur Oliver Köhr deutlich. "Bezüglich der Bundestagswahl 2025 gibt es in dieser Sache seitens der ARD noch keine Festlegungen", sagte er auf DWDL.de-Nachfrage. "Wir beobachten die Entwicklung natürlich und werden im Vorfeld der Bundestagswahl im Lichte der Einschätzung, welche Kandidatinnen und Kandidaten realistische Chancen auf das Kanzleramt haben, dazu entscheiden." Das ZDF gibt sich indes kurz angebunden: Mit Kanzler-Duell oder -Triell werde man sich beschäftigen, "wenn die Parteien Kanzlerkandidaten oder -kandidatinnen benannt haben".

Nun, weniger als ein halbes Jahr vor der Landtagswahl in Thüringen, steht aber ohnehin erst einmal das TV-Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt an. Letzterer sah sich jüngst übrigens dazu genötigt, seine Teilnahme zu verteidigen. "Das TV-Duell mit Björn Höcke ist eine Gelegenheit, die ich ergreife, um zu zeigen, was er für ein Risiko für unser Land und den Wohlstand ist", schrieb der CDU-Politiker auf der Plattform X. "Die Auseinandersetzung mit Herrn Höcke ist von zentraler Bedeutung, um seine gefährlichen Ideologien offenzulegen und der Spaltung in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken". Man sei der Diskussion zehn Jahre aus dem Weg gegangen, dennoch stehe die AfD derzeit bei 29 Prozent in Thüringen. "Ich trete in diesem Duell für die Werte unserer Demokratie ein."

"Das Duell: Björn Höcke gegen Mario Voigt" am Donnerstag um 20:15 Uhr bei Welt