Viele ProSiebenSat.1-Mitarbeiter verfügen über eine gehörige Portion Selbstironie und Galgenhumor. Glücklicherweise. An den Scherzen über die Dauerbaustelle in ihrer Konzernstruktur können sie sich somit lebhaft beteiligen. Immerhin sind schon etliche Jahre ins Land gezogen, seit Berufsspötter wie Christoph Maria Herbst, Oliver Pocher oder früher Harald Schmidt ihr Gag-Arsenal bei hauseigenen Vermarktungsshows mit den ständigen Chefwechseln auffüllen ("Wer ist eigentlich momentan Sat.1-Geschäftsführer? Muss man sich den Namen merken oder lohnt sich das nicht?").

Die Personal- und Strukturrochade als Dauerzustand überlagert in Unterföhring jenen Wandel, der eigentlich schon seit Jahren dringend nötig wäre. Hin zu einer nachhaltigen Programmstrategie, die über das Quartal hinausreicht. Hin zu einer klaren Markenführung, die beim Zuschauer ankommt. Und hin zu den überfälligen Investitionen in attraktive, wertige Inhalte, die Marktanteile steigern helfen. Weil man stattdessen permanent mit sich selbst beschäftigt ist und immer unterwegs von Posten A zu Posten B, gelangt keiner richtig in die Tiefe.



Manche Mitarbeiter sind darüber zynisch geworden und betrachten die Taktik ihrer Konzernführung als eingebaute Dauerentschuldigung für Misserfolge. Wer soll am Ende für ein Format verantwortlich gemacht werden, wenn zwei von drei Abteilungen, durch die es in seinem Entwicklungsprozess gewandert ist, bis zur Ausstrahlung umstruktiert sind oder gar nicht mehr existieren? Selbst bei entspannterer Sichtweise bleibt dies ein unbefriedigender Zustand.

Denn höchst selten geht es bei den Personalrochaden von ProSiebenSat.1 ja darum, unfähige Manager zu entsorgen. Eher hat sich die Struktur zu einem modernen Gott entwickelt, der mit schöner Regelmäßigkeit seine Manager-Opfer fordert. So wie man in archaischen Kulturen Menschenopfer darbringen musste, um die Götter gnädig zu stimmen. Diesmal hat es Jürgen Hörner erwischt - so wie vor ihm schon Andreas Bartl, Matthias Alberti, Joachim Kosack, Thilo Proff, Guido Bolten und viele andere mehr, die Unterföhring als Berater oder Medienunternehmer verließen und teilweise auch operative Anschlussverwendung fanden.

Dabei ist es von nebensächlicher Bedeutung, wer gehen wollte und wer gehen musste. Mehr als einmal war zu beobachten, wie kluge, erfahrene, erfolgreiche TV-Manager mit Leidenschaft und Bauchgefühl nach und nach an der Struktur scheiterten. Wie sie ihren Elan ob unzähliger Nebenkriegsschauplätze und unrealistischem Renditedruck langsam, aber sicher verloren und am Ende nicht mehr in der Lage waren, sich gegen die Abwärtsspirale zu stemmen.

Rund anderthalb Jahre war Jürgen Hörner Vorsitzender der Geschäftsführung der ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH, wenn man die kommissarische Zeit nach dem Ausscheiden seines langjährigen Weggefährten und Freundes Andreas Bartl mitzählt. Das ist keine lange Zeit - jedenfalls nicht, wenn es darum geht, Fernsehprogramme zu entwickeln und Senderimages zu verändern. In seinen 20 Jahren bei der Sendergruppe hat Hörner viel geleistet. Wollte man etwa Deutschlands beste Programmplaner nennen, käme er sicher ganz weit vorn. Sat.1 geht es dagegen nach anderthalb Jahren Hörner auch nicht besser als nach zwei Jahren Bartl.

Man weiß nicht so recht, ob man Wolfgang Link nun zur Beförderung gratulieren soll. Einem Missverständnis ist er bereits in seinem Antrittsstatement aufgesessen: "Durch meine neue Rolle rücke ich noch näher an das Programm und die Entwicklung erfolgreicher Inhalte für all unsere Sender." Hundert Prozent seiner Vorgänger haben bisher das Gegenteil bewiesen. Dabei ist auch Link ein kreativer, leidenschaftlicher Programmmacher. Seine TV-Karriere begann vor gut zehn Jahren, als Ute Biernat ihn vom Theater holte und zum "DSDS"-Producer machte. Für Sat.1 und ProSieben hat er vor allem in der großen Show ("The Voice", "Got to Dance") Nennenswertes bewegt und bewirkt.

ProSiebenSat.1-Vorstandsboss Thomas Ebeling wird seine Gründe für die jüngste Personalentscheidung haben, die über die zurecht lobenden Worte für Link und Hörner in der offiziellen Pressemitteilung hinausgehen. Und doch stößt das erneute Zuschlagen der Permanent-Rochade zum jetzigen Zeitpunkt ganz besonders auf. Mit knapp zwei Drittel aller Aktien im Streubesitz und nur noch 32,6 Prozent bei den Finanzinvestoren KKR und Permira befindet sich ProSiebenSat.1 in der Post-Heuschrecken-Ära. Ebeling hat diesen Zustand vor Monaten als Wunschzustand bezeichnet und durchblicken lassen, dass sich mancher Druck dadurch etwas reduzieren könnte.

Doch auch jetzt kommt die TV-Familie noch nicht zur Ruhe. Noch ist kein Trend zu längerem Atem und tieferem Bohren absehbar. Geschweige denn zu mehr Investitionen ins Programm. Mehrere Produzenten stellen dem Vernehmen nach derzeit Sendungen fertig, für die sie erst Anfang 2014 eine Rechnung schicken sollen. Sie hätten nicht mehr ins 2013er Budget gepasst, werden aber dringend gebraucht. Innerhalb der vergangenen drei Jahre ist der Aktienkurs von ProSiebenSat.1 um rund 280 Prozent gestiegen. Der Marktanteil von Sat.1 hat im gleichen Zeitraum weitere 13 Prozent verloren, der von ProSieben sechs Prozent. Höchste Zeit, dass sich etwas mehr ändert als nur Personalien und Strukturen.