Wenn Aushängeschilder den Absprung planen, gehen sämtliche Alarmglocken an. Das ist im US-Markt nicht anders als in Deutschland - und bei YouTube-Netzwerken nicht anders als bei TV-Sendern. Für Maker Studios, eines der größten Multi-Channel-Networks der Welt, stellt sich derzeit gar die Frage, ob es nächstes Jahr noch jene bis zu 950 Millionen Dollar wert sein wird, die sein neuer Eigner Walt Disney für die Übernahme gezahlt hat.

Dann muss Maker nämlich aller Voraussicht nach ohne seinen Topstar, den Schweden Felix Kjellberg alias "PewDiePie", auskommen. Das globale Vorbild aller "Let's play"-Kanäle, die ihre Gefolgschaft mit abgefilmten Videogames unterhalten, will seinen Ende Dezember auslaufenden Vertrag nicht verlängern, stattdessen lieber unabhängig weitermachen und künftig sogar ein eigenes MCN gründen. Mit ihm gehen 32 Millionen Abonnenten und 350 Millionen monatliche Videoabrufe. Nach eigenen Angaben hat PewDiePie im vorigen Jahr 4 Millionen Dollar an Werbeerlösen verdient. Dennoch fühlt er sich von dem Netzwerk, das 55.000 YouTube-Kanäle managt, allein gelassen.



Der Sprung von PewDiePie zu LeFloid ist insofern nicht weit - auch wenn die beiden YouTube-Stars rund 30 Millionen Abos auseinander liegen und völlig unterschiedliche Genres bedienen. Der 27-jährige Berliner Florian Mundt alias LeFloid hat von seinem bisherigen MCN, Mediakraft Networks, genug und daher gekündigt. Noch läuft die vertragliche Kündigungsfrist. Er habe feststellen müssen, dass "Netzwerke ihren ursprünglichen Netzwerk-Gedanken in Gänze verloren haben", so Mundt gegenüber "Vice". Es sei in Vergessenheit geraten, "was gegenseitige Unterstützung eigentlich heißt und dass man bei einem Problem eben nicht eine E-Mail an irgendeinen Praktikanten schreiben muss".

Die schiere Größe, die für die Bündelung halbwegs ansehnlicher Werbereichweiten und damit fürs Geschäft der MCNs notwendig ist, erweist sich zunehmend als Fluch. Auch wenn Mediakraft nur rund 2.000 Kanäle managt und damit in etwa so viele Abrufe erzielt wie PewDiePie allein, scheint das öffentlich gern gepflegte Bild der intensiven Betreuung jedes YouTubers absurd. Ähnlich glaubhaft wäre es, wenn der RTL-Chef behaupten würde, jeden Laiendarsteller aus "Verdachtsfälle" genauso zu pflegen wie Günther Jauch. Die enorme Abhängigkeit der Netzwerke von einzelnen Topstars wird dann zur Gefahr, wenn diese keinen Bock mehr haben, wenn sie realisieren, dass sie das Netzwerk nicht mehr brauchen.

Solche Absetzbewegungen - mal in die Unabhängigkeit, mal einfach nur zu einem rivalisierenden MCN mit besseren Konditionen - bekommen nationale wie internationale Netzwerke derzeit zuhauf zu spüren. Da liegt es nahe zu fragen: Was wäre Mediakraft ohne Y-Titty und ApeCrime? Was wäre Divimove ohne Kollegah? Was wäre Studio71 ohne Gronkh und Sarazar? Was wäre Endemol beyond ohne US-Beautyblogger-Ikone Michelle Phan? Dass es auf diese theoretischen Fragen in der Praxis meist keine Antwort gibt, liegt nicht am individuellen Scheitern der Verantwortlichen, sondern eher daran, dass MCNs in ihrer heutigen Form nur eine Art Übergangslösung sind. Eine Übergangslösung, die verschwinden wird, sobald die noch junge Online-Video-Branche bessere Organisationsformen gefunden hat.

Das System YouTube an sich hat hingegen eine solche Marktmacht erlangt, dass sein Verschwinden schwer vorstellbar sein dürfte. Doch auch die Video-Verantwortlichen bei Google sind erkennbar dabei, eine neue Richtung einzuschlagen. Drei Jahre nach Start des "Original Channels"-Programms investieren sie gerade erneut in Premiuminhalte, diesmal allerdings gezielt in einige wenige ausgewählte Top-Creator. Bis zu 4 Millionen Dollar sollen dabei laut "Hollywood Reporter" pro Projekt fließen. Das scheint notwendig, weil sich der Wettbewerb zusehends auch auf Plattform-Ebene diversifiziert. So steht Ex-Hulu-CEO Jason Kilar kurz vorm Launch seiner mit Spannung erwarteten Videoplattform Vessel, und einige Ex-YouTuber sind im Sommer mit Victorious an den Start gegangen, um Videomachern die Verbreitung exklusiver Inhalte über mobile Apps zu ermöglichen.

Diese und weitere neue Anbieter wollen das alte YouTube-Problem der vergleichsweise niedrigen Tausend-Kontakt-Preise (TKP) von vornherein erledigen: Weil sie nur hochwertig produzierte Qualitätsinhalte und keine Katzenvideos anbieten, können sie den Werbekunden höhere Tarife abverlangen. Dazu werden Top-YouTuber mit üppigen Vorschüssen angeworben. Die gefragtesten Kanalbetreiber können ihre Machtposition so weiter ausbauen und ihre Inhalte künftig - ähnlich wie in der TV-Branche - in verschiedenen Auswertungsfenstern an verschiedene Lizenznehmer verkaufen.

Helfen dem großen Rest der vielen kleinen YouTuber dann noch die MCNs weiter? Unwahrscheinlich. Mit ihrem eingebauten Zwang zu Wachstum und Klick-Optimierung betreiben sie vielmehr die kreative Verödung eines ganzen Systems. Während das Fernsehen noch Jahrzehnte brauchte, um sich selbst zu formatieren und Erfolgswahrscheinlichkeiten durch das Prinzip "more of the same" zu erhöhen, ist das der YouTube-Landschaft in gerade einmal zwei bis drei Jahren gelungen. MCNs trichtern den jungen Talenten ein, welche viereinhalb Formate sie immer und immer wieder zu verwenden haben.

"Schlimm finde ich, dass sich die Inhalte angleichen", zitiert Stefan Niggemeier die YouTuberin Marie Meimberg in seiner lesenswerten "Krautreporter"-Geschichte über den Berliner Creator-Verein 301+, der genau dieser Entwicklung entgegenwirken will. "Heute werden Nachwuchs-YouTuber herangezüchtet, mit dem Versprechen, sie werden der nächste große, geile Shit - und das betrifft jedes einzelne Netzwerk, nicht nur Mediakraft", sagt Florian Mundt alias LeFloid, einer der Mitgründer des Vereins. So eng wie das inhaltliche Korsett ist in der Regel auch das vertragliche, das dem MCN alle erdenklichen Rechte sichert - ohne allzu große Verpflichtungen. Wie TV-Produzent Friedrich Küppersbusch es gerade erst bei DWDL.de formulierte: "Aus Sicht eines Produzentenverbands läge die Überlegung nahe, ob deren Konditionen nicht als sittenwidrig einzustufen sind."

Die wirtschaftliche Überhitzung des MCN-Markts ist in diesem Jahr greifbar geworden - mit drei Mega-Transaktionen in jeweils dreistelliger Millionen-Dollar-Höhe: Maker ging an Disney, Fullscreen an AT&T und die Chernin Group, StyleHaul an die RTL Group. In bescheidenerem Ausmaß hat Mediakraft zwei Finanzinvestoren für eine Kapitalerhöhung um 16,5 Millionen Euro gewonnen. Hinter jeder dieser Transaktionen stehen Gründer und Altgesellschafter, für die ein lukrativer Exit immer noch das bessere Geschäftsmodell darstellt, als das Eintreffen der eigenen Prognosen abzuwarten. Spannend wird es für Mediakraft im Juni 2015. Dann ist es genau zwei Jahre her, dass Mitgründer Christoph Krachten dem "kressreport" sagte: "Ich rechne damit, dass wir in zwei Jahren eine Milliarde Videoviews haben werden und ab dann Gewinn machen." Noch ist die Hälfte davon nicht geschafft.