Fünf Geschäftsführer in fünf Jahren: Wäre Sat.1 ein Fußballverein, hätte man den Sender in den Jahren 2007 bis 2012 getrost als dauerhaften Abstiegsaspiranten bezeichnen können. So gesehen muss "Feuerwehrmann" Nicolas Paalzow einiges richtig gemacht haben, dass er es schaffte, sich ziemlich genau drei Jahre lang auf einem der schwierigsten Posten des deutschen Fernsehens zu halten. Dabei sprechen die Zahlen erst mal gegen ihn: Bevor Paalzow seinen Job im Oktober 2012 antrat, lag der Marktanteil von Sat.1 bei 9,6 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe. Im gerade zu Ende gegangenen September waren es nur noch 9,2 Prozent. Sein großes Ziel, den Marktanteil wieder in den zweistelligen Bereich zu führen, erreichte Paalzow nur ein einziges Mal. All das relativiert sich freilich, wenn man bedenkt, dass ProSieben im selben Zeitraum in größerer Höhe verloren hat – und der Marktführer RTL seither sogar gut drei Prozentpunkte einbüßte.

Viel spannender als die Betrachtung nackter Zahlen ist allerdings ohnehin die Frage, was sich in den drei Jahren unter Paalzow programmlich getan hat. Und das ist gar nicht mal so wenig: Dem brachliegenden Nachmittag, den Sat.1 einst jahrelang mit seinen Gerichtsshows dominierte, hat er neuen Schwung verliehen, wenngleich er der nicht unumstrittenen Programmfarbe Scripted Reality treu geblieben ist. Den Zuschauern schmeckt die Mischung, wie die jüngsten Quoten von Formaten wie "Auf Streife" zeigen. Gleichzeitig trennte sich Paalzow von peinlichen Altlasten wie „Schwer verliebt“ und setzte im Show-Bereich stärker als bisher auf international erfolgreiche Show-Formate, die das Risiko eines Flops zumindest ein Stück weit reduzieren sollten, was rücklickend betrachtet mal mehr und mal weniger gut funktionierte.

Ob sich sein Nachfolger darüber freuen darf, den Kids-Ableger der gerade erst bei ProSieben gefloppten Tanzshow „Got to Dance“ noch in der Schublade liegen zu haben, darf bezweifelt werden. Und ob die Neuauflage von „Rette die Million“ mit Wayne Carpendale erfolgreicher sein wird als die Neuauflage von „Deal or no Deal“, ist ebenfalls ein Stück weit fragwürdig. Auf der Habenseite steht allerdings in jedem Fall „Promi Big Brother“. Trotz der aus vielerlei Gründen enttäuschenden ersten Staffel glaubte Paalzow an das Format – und führte es mit den richtigen Leuten im zweiten Anlauf doch noch zum großen Erfolg. Neben „The Voice of Germany“, das in diesem Jahr bereits in die fünfte Staffel geht, ist die Realityshow also zu einem zweiten Leuchtturm-Format für Sat.1 geworden. Doch zwei Leuchttürme sind unterm Strich zu wenig, um einen Sender wie Sat.1 auf Dauer zu stabilisieren.

Man kann Nicolas Paalzow keinswegs vorwerfen, zu wenig probiert zu haben. Und in vielen Fällen war sogar ganz schönes Fernsehen dabei. So ist „The Taste“ ohne Zweifel ein tolles Format. Auf dem Sendeplatz am Mittwochabend, den man seit dem Verlust der Champions-League-Rechte nie mehr so recht in den Griff bekommen hat, wirkt es allerdings ebenso verloren wie die meisten anderen Shows, die Sat.1 zuletzt dort zeigte. Auch die Neuauflage von „Nur die Liebe zählt“, an die man sich vor knapp einem Jahr wagte, wirkte in sich stimmig. Bloß sehen wollte sie letztlich fast niemand. Andere Formate wie das "Körperquiz", Jürgen von der Lippes Ausflug in die Tierwelt oder "Die perfekte Minute" ohne Ulla Kock am Brink hätte sich Sat.1 dagegen sparen können.

Ein Sender ohne Serien-Erfolge

Während der Sender in Sachen Shows unter Paalzow zumindest viel probierte, wurde der Serien-Bereich fast schon sträflich vernachlässigt -  sieht man mal von den importierten Produktionen ab, die inzwischen sogar gleich drei Abende pro Woche füllen. Bisweilen hatte man gar das Gefühl, als verschlafe die gesamte Gruppe die aktuelle Serienwelle. Als Paalzow übernahm, konnte er zumindest noch auf „Danni Lowinski“ und den „Letzten Bullen“ bauen. Inzwischen jedoch kann der Sender, der einst wie kaum ein anderer Privatsender mit deutscher Fiction verbunden war, in diesem Genre nicht mal mehr einen Erfolg sein Eigen nennen. Gerade erst ging Sat.1 mit seinen „Frauenherzen“ baden. Es muss eine böse Überraschung gewesen sein, schließlich hatte sich der Pilotfilm mit mehr als drei Millionen Zuschauern doch noch äußerst wacker geschlagen. „Josephine Klick“ konnte in diesem Umfeld auch nichts mehr retten.

Immerhin: Mit „Einstein“ und „Berlin Eins“ sind für die laufende Saison noch zwei Projekte angekündigt, die ihre Sache besser machen können als die beiden Rohrkrepierer der noch jungen Saison. Das ist schon alleine deshalb bitter nötig, weil die US-Serien des Senders inzwischen ernsthafte Abnutzungserscheinungen vorweisen. Holte „Navy CIS“ vor drei Jahren noch regelmäßig Marktanteile von 15 Prozent, so kann Sat.1 heute, im Herbst 2015, froh sein, wenn der einstige Krimi-Hit am Sonntagabend die Marke von zehn Prozent überspringt. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb Sat.1 trotz manch behobener Baustelle heute unterm Strich nicht besser dasteht als zu Beginn von Paalzows Amtszeit. Es liegt nun an seinem Nachfolger, auf diese Entwicklung mit neuen Ideen zu reagieren.

Keine Lösung für den Vorabend

Gescheitert ist Nicolas Paalzow letztlich aber nicht etwa, weil „Navy CIS“ nicht mehr das ist, was es einmal war. Gescheitert ist er vor allem am so wichtigen Vorabend, für den er bis zum Schluss keine tragfähige Lösung fand. Erst waren es unspektakuläre Flops, dann denkwürdige Pleiten. Die Liste der Fehler, die sich Sender und Produktion beim millionenschweren „Newtopia“-Experiment erlaubten, hat im Laufe der Monate eine stattliche Länge erreicht – und als man dachte, die Quoten könnten nicht noch weiter sinken, traten „Mila“ und „Unser Tag“ an, um das Gegenteil zu beweisen. Und so endet Paalzows Amtszeit gewissermaßen wie sie begonnen hat: Mit der Absetzung eines Magazins um 19:30 Uhr. Alleine schon daran zeigt sich, dass es mit Blick auf das kommende Jahr einen echten Neuanfang am Vorabend braucht. Nicht erst punktuell und nur um 19 Uhr, sondern auch schon davor.

„Sat.1 zu führen, ist nicht nur die größte Herausforderung im deutschen Fernsehen, es ist auch die schönste Herausforderung. Weil wir einfach sehr viele Möglichkeiten haben, jetzt Dinge neu und anders zu machen“, sagte Nicolas Paalzow vor etwas mehr als zwei Jahren, als er mit DWDL.de ungewöhnlich offen über seine Arbeit und den Sender sprach. In den vergangenen Monaten dürfte die Herausforderung für ihn eher groß als schön gewesen sein, sodass er sich nun dazu entschied, mit seinem Abschied einem drohenden Rauswurf zuvorzukommen. Auch diesmal fand Paalzow wieder klare Worte. „Der Start in die Herbst-Season ist Sat.1 misslungen", gab er am Mittwoch unumwunden zu und klang dabei ein wenig wie der Fußballtrainer eines Abstiegsaspiranten. Dass er den Abstieg drei Jahre recht erfolgreich abwehren konnte, ist sein Verdienst. Nun aber braucht's einen neuen Feuerwehrmann. Noch ist das Spiel nämlich nicht vorbei.

Mehr zum Thema