Sie haben absolut keine Lust auf diese eine Verabredung und überlegen abzusagen. Sind Sie jetzt ehrlich oder erfinden doch eine kleine Geschichte? Und was, wenn Sie diese Not-Lüge in Teufels Küche bringt? Über Dilemma dieser Art - mal dramatischer, mal noch nebensächlicher - erzählt „Master of None“ viel mehr als man dieser neuen Netflix-Comedy vielleicht zunächst zutrauen mag. Sie spiegelt das Drama im absolut Alltäglichen auf eine so vertraute und nachvollziehbare Art und Weise, dass man Aziz Ansari einfach lieben muss - sowohl als Hauptdarsteller als auch Co-Creator der neuen Netflix-Serie, die er zusammen mit Alan Yang erfunden hat. Die beiden kennen sich sehr gut aus ihrer gemeinsamen Arbeit für die NBC-Comedy „Parks & Recreation“, in der Ansari wohl seine bislang bekannteste Rolle spielte und Yang als Autor arbeitete.

Mit „Master of None“ dürfte sich das ändern. Die zehnteilige Comedy avancierte bereits binnen Stunden nach der Veröffentlichungen auf Netflix zum Publikums- und Kritikerliebling. Nach Sichtung aller zehn Folgen der ersten Staffel ist sicher: Das ist Netflix’ nächste große Chance für die Primetime Emmys 2016 und nach diversen Netflix Originals, die eher durchwachsene Kritiken erhielten, endlich wieder ganz großes Fernsehen. Aziz Ansari spielt in „Master of None“ einen angehenden Schauspieler, der sich privat und beruflich durch den Großstadtdschungel von New York schlägt. Es mangelt ganz sicher nicht an Serien, die versuchen sich über diese meist alles überstrahlende Stadt zu definieren. Doch „Master of None“ schafft es mit einer bezaubernden Leichtigkeit, die beste New Yorker Serie seit Jahren zu sein - weil der Big Apple auf sympathische Art und Weise nur Nebendarsteller ist.

Im Mittelpunkt steht der mit mäßigem Ehrgeiz leidlich aufstrebende Schauspieler Dev Shah (Ansari), der sich privat und beruflich so gut es geht durch den Großstadtdschungel schlägt. Was „Master of None“ abhebt, ist der Fokus auf Beziehungen jeglicher Art. In zehn Folgen wird ein Feuerwerk an Begegnungen abgefeuert, die uns als Zuschauer so herzlich auflachen lassen, weil man all diese Alltagssituationen nur zu gut kennt. Die Netflix-Serie setzt dabei nicht auf Schenkelklopfer-Humor sondern trumpft in vielen Momenten viel mehr mit einem Humor auf, in dem sich Loriot ganz sicher wiederfinden würde. Man spürt eine ähnliche Liebe zu den kleinen, alltäglichen Momenten und ihrem Potential durch nur ein falsches Kompliment oder eine höflich gemeinte Notlüge rasangt und dramatisch zu eskalieren.

Dazu kommt in den zehn Folgen, die sich jeweils um ein ganz konkretes Thema drehen, ein Spiel mit Stereotypen. Konkreter: Um Vorurteile gegenüber Indern und indisch-stämmigen Amerikanern. Wunderbar ist beispielsweise eine Szene in der Folge „Parents“, in der Dev seinem Vater am Küchentisch die Bitte ausschlägt, ihm bei seinem iPad etwas zu erklären, weil er wirklich rechtzeitig zum Vorprogramm im Kino sein will. Schnitt. Plötzlich springt „Master of None“ stilistisch zu einer Zeitreise durch all die  Probleme, die Devs Vater in Indien und bei seiner Einwanderung in die USA überstehen musste, um Dev ein besseres Leben zu ermöglich. Schnitt. Wir sind wieder am Küchentisch und denken uns unseren Teil über die ausgeschlagene Hilfe. Immer wieder gelingt es der Serie, moralische Fragen aufzuwerfen, ohne Partei zu ergreifen.

Das macht „Maste of None“ auch noch zu einer der tiefgründigsten Comedy-Serien seit Jahren. An Superlativen kann man bei dieser Produktion nicht sparen: Sie ist all das, aber so herrlich beiläufig. Denn nichts davon wirkt angestrengt und immer wieder aus dem Leben gegriffen. Wir erleben alle denkbaren Beziehungen zwischen Menschen und ihr Potential zu Missverständnissen. Aus jeder dieser noch so schwierigen Beziehungen gewinnt die Serie dennoch einen Gag. Kongenial ist auch Devs bester Freund, der gänzlich antriebslose Arnold (gespielt von Eric Wareheim), der mit Dev und ihrer lesbischen Freundin Denise (gespielt von Lena Waithe) das Trio der tragischen Tagträumer bildet. Sie spenden sich Trost und reden sich gegenseitig auch kurzerhand mal aus ihren Problemen heraus. So sei Devs Affäre mit einer verheirateten Frau doch halb so wild: Er ist doch nur ein menschlicher Dildo.

„Master of None“ ist eine Beziehungscomedy mit einem besonders herzlichen Humor, der gleichzeitig und meist beiläufig mit vielen Vorurteilen aufräumt. Das Privatleben des Dev Shah und sein erster Schauspiel-Job beim Horrorfilm „The Sickening“ ziehen sich fortlaufend durch die thematisch aufbereiteten Folgen, von denen man sich möglichst schnell Nachschub erhofft. Was „Transparent“ für Amazon war, kann „Master of None“ für Netflix werden: Eine Comedy, die durch so überraschend viel Herz und Tiefgang weit mehr ist als lustig - und damit neben dem Publikum auch im Sturm die Kritiker begeistert. Es könnte nach „House of Cards“ die wichtigste Serie für Netflix werden. Aziz Ansari jedenfalls ist mit dieser Leistung jedenfalls auf sicherem Emmy-Kurs.