Was für ein Sommer! In Berlin stolpert eine Sonnenkönigin von der eigenen Bedeutung geblendet übers italienische Parkett und tut dabei für den Reform-Diskurs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mehr als es alle Kritikerinnen und Kritiker in Jahren vermochten. In Unterföhring wiederum wird man weiterhin ausgebremst durch Joyn, dem Problem-Kind aus der wilden Ehe mit Discovery. Die sind längst mit Warner Bros. verheiratet ist, aber das Sorgerecht ungeklärt bleibt. Ein neuer Campus will endlich fertig werden und beim neuen Mammut-Projekt für die Sat.1-Daytime gilt schon vor dem Start "Land unter".

Doch nirgendwo kracht es - neben dem RBB - seit Mittwochvormittag so laut wie bei RTL Deutschland, wo die Stimmungen nach der Personalie zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt so nah beinander liegen, dass man nicht unterscheiden kann, ob es Champagner-Korken sind, die knallen oder Köpfe auf Tischplatten. Der bisherige Co-CEO Stephan Schäfer ist raus, Thomas Rabe übernimmt. Was wird jetzt anders? Und wird es auch besser? Auf zunächst instinktive Erleichterung folgt bei vielen die Erkenntnis: Mit Thomas Rabe übernimmt jetzt der, der vor einem Jahr explizit Schäfer und nicht Reichart wollte.

Im Hause RTL Deutschland wie auch in ersten Kommentaren zur Personalie wird die Sachlage etwas zu gefällig dargelegt: Mit Stephan Schäfer sei der vor die Tür gesetzt, der als Inhalte-Chef all die Fehler der vergangenen Monate zu verantworten habe, was zuletzt am Dienstag im Eingeständnis mündete, dass das große Prestige-Projekt RTL+ als "One App, All Media" gar nicht zu realisieren ist, wie es seit letztem Jahr stolz und vorschnell ankündigt wurde. Doch so einfach wird es nicht, für Thomas Rabe und andere.

Während das Auftreten von Stephan Schäfer als oberster Gruner+Jahr-Vertreter im fusionierten RTL Deutschland nicht nur bei den neuen TV-Kolleginnen und -kollegen in Köln als trocken und emotionslos kritisiert wurde, wurde der von ihm im vergangenen Jahr eingeleitete Kurswechsel des Hauses zunächst einmal euphorisch gefeiert. Es waren Monate des Neustarts, in denen sich RTL Deutschland im Frühjahr und Sommer 2021 für das Abschneiden alter Zöpfe und eine neue positive Unterhaltung feiern ließ.

Bis dann die ersten Misserfolge kamen, sich häuften und letztlich sogar die spektakuläre Trennung von Dieter Bohlen auf peinliche Art und Weise rückgängig gemacht wurde. Für den Rauswurf Bohlens im Frühjahr 2021 war aber nicht allein Stephan Schäfer verantwortlich. Bei dem persönlichen Treffen in Hamburg, welches Dieter Bohlen unverdächtig als Kennenlern-Termin angekündigt wurde, waren es Stephan Schäfer und Henning Tewes, die den lange hofierten Poptitan in der laufenden Staffel abservierten.

In einem Konzern mit Doppel- und Dreifachstrukturen für alles fällt es schwer, Verantwortlichkeiten genau zuzuordnen, doch als Co-CEO von RTL Deutschland hat Stephan Schäfer wahrlich nicht jede einzelne Programmentscheidung bei RTL gefällt, die sich als Fehler entpuppte. Fürs Programm bei RTL verantwortlich ist Henning Tewes sowie sein Stellvertreter Sascha Schwingel. Irgendwie aber auch Frank Trösken, er ist RTL-Programmdirektor. Doch nicht nur unterhalb von Co-CEO Stephan Schäfer haben mehrere Köpfe den bisherigen Kurs mitgetragen und geprägt: Auch Thomas Rabe wollte es so haben.

Wer jetzt behauptet, der starke Bertelsmann-CEO Rabe mache RTL Deutschland zur Chefsache, der übersieht: Er macht das nicht aus einer Position der Stärke. Viel mehr muss er dringend aufräumen, was er selbst angerichtet hat - angefangen von der unbedingt gewollten Fusion von Gruner+Jahr und Mediengruppe RTL Deutschland. Sie spiegelt sich in dem Wunsch, RTL+ zu "One App, All Media" auszubauen. Jedes Mal, wenn man im Haus betonte, dass man mit diesem Projekt absolute Pionierarbeit leiste, weil sich das weltweit noch keiner getraut habe, starb irgendwo ein Funke Vernunft, der vor dem Ableben noch leise hauchte: "Vielleicht aus gutem Grund".

Seit dieser Woche ist klar: Das Prestige-Projekt ist technisch gar nicht so machbar wie lange propagiert und dauert dazu länger als geplant. Jetzt wurde nur Musik integriert, aber nur ins Abo nicht in die App - denn von "One App, All Media" mag keiner mehr reden. Das ist einer der zwei aktuellen Tiefschläge. Das katastrophale Tagesergebnis von RTL am vergangenen Sonntag mit gerade einmal noch 5,1 Prozent Tagesmarktanteil - und allein "RTL aktuell" als Lichtblick - war der andere.

Thomas Rabe hat ein Problem: Unter ihm schrumpft das Mediengeschäft von Bertelsmann gerade. Auf internationaler Ebene hat die RTL Group bereits diverse Aktivitäten in Europa abgestoßen oder hofft es noch, dies durchzubekommen. Mit "Supertalent" und "DSDS" enden zwei große Fremantle-Formate im größten TV-Markt Europas und mit Gruner+Jahr sowie Mediengruppe RTL Deutschland wurden zwei eigenständig agierende Medienhäuser fusioniert, vorrangig um die drohenden roten Zahlen des Verlages nicht sichtbar werden zu lassen. Aus der Not formulierte man die Tugend und sah in "One App, All Media" für RTL+ sogar die Chance, international Pionier zu sein.

Diese Euphorie ist empfindlich gebremst und der Fußabdruck von Bertelsmann als dem großen deutschen Medienhaus mit Tradition wird kleiner. Das schlägt sich bislang noch nicht spürbar in den Bertelsmann-Finanzen nieder, doch Rabe wird verständlicherweise nervös, wie der am Mittwoch angekündigte Sparkurs angesichts von rückläufigen Umsätzen bei RTL Deutschland im zweiten Quartal deutlich macht. Gelegentlich aufkommende Gedankenspiele einer Übernahme von ProSiebenSat.1 kommen auch nicht von ungefähr. Alte Größe durch Zukauf als letzte Option.

In Köln-Deutz gibt es unterdessen viel pragmatischere Fragen nach diesem turbulenten Mittwoch. Wer macht jetzt die Ansagen, wäre eine davon. Die Trennung von Schäfer allein ändert schließlich nichts an der aktuellen Situation. Also braucht es Korrekturen, doch wird Rabe als Interims-Vorsitzender der Geschäftsführung diese Richtungsentscheidungen vorgeben und damit dem von ihm gesuchten neuen Führungskopf gleich die Richtung diktieren? Oder wartet er? Doch mehrere Monate Stillstand sind das letzte, was RTL Deutschland gerade braucht. Gefragt ist auch ein Narrativ, an dem sich die Belegschaft orientieren kann.

Insbesondere braucht es eine ehrliche Bewertung der Situation und es sind hier nicht die bösen Kritiker, die ein dramatisches Bild zeichnen: Das hat Rabe selbst in seinen Gesprächen mit der "FAZ" und dpa getan. Die Zusammenfassung: Erfolge müssen her und die Kosten runter. Nichts leichter als das? Alles steht und fällt mit der Entwicklung von RTL+, auch weil man dort zuletzt das meiste Geld investierte. Im Linearen wiederum müssen die Reichweiten-Verluste gestoppt werden. Mit der Retro-Welle fährt RTL eigentlich sehr gut, bald startet noch die "100.000 Mark Show" mit Ulla Kock am Brink. Doch weiterhin hält man sich für Innovationsführer statt einzuräumen, dass man ganz gut damit fährt, wenn man den Menschen gibt, was sie kennen und lieben.

Von einem Sommerloch kann in dieser Branche 2022 wahrlich keine Rede sein. ARD, Seven.One und RTL Deutschland stehen aus unterschiedlichsten Gründen vor unterschiedlichen Herausforderungen. Und was ist eigentlich mit dem ZDF? Aus Mainz hört man in diesen Wochen nicht viel, was einerseits daran liegen könnte, dass man dem Wettbewerb inzwischen so weit enteilt ist, dass das laute Lachen vom Lerchenberg über den großen Abstand zum Rest des Feldes verhallt. Oder aber die Mainzelmännchen checken gerade noch einmal ganz genau alle Verträge und Quittungen im Haus. Auf Rundfunkrat - oder in diesem Fall Fernsehrat - als Kontrollorgan sollte man schließlich nicht zu viel geben, wie wir jetzt wissen.

Ergänzung: Bertelsmann weist darauf hin, dass der Konzern insgesamt im Geschäftsjahr 2021 gegenüber dem Vorjahr nicht etwa geschrumpft, sondern ganz im Gegenteil um 1,4 Mrd. Euro auf 18,7 Mrd. Umsatz gewachsen ist. Allein die Mediengeschäfte des Unternehmens sind in diesem Zeitraum um 825 Mio. Euro gewachsen.