Hätte der deutsche Fernsehmarkt nicht seine etwas eigenen Gesetze - ein starkes duales System mit hohem non-fiktionalen Programmanteil - könnte man das angekündigte Aus von „Wetten, dass..?“ noch unmittelbarer in Zusammenhang mit dem „New Golden Age of Television“ sehen, das derzeit weltweit ausgerufen wird. Nach einem Jahrzehnt der Casting- und Realityshows sind Drama-Serien derzeit das Genre der Stunde. Sie beeinflussen nicht nur inhaltlich die Popkultur so stark wie derzeit kein anderes TV-Genre; sie sind wirtschaftlich durch immer neue Verwertungsmöglichkeiten so attraktiv wie noch nie. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler hat kürzlich bereits eine Offensive mit zahlreichen neuen fiktionalen Programmen angekündigt. Dass diese Ankündigungen noch vor das Aus von „Wetten, dass..?“ platziert wurden, war sicher kein Zufall.

Angesichts fehlender Köpfe (Was macht eigentlich Kerner?), fehlender Formate (Auch „Rette die Million“ ist weg) und fehlender etablierter Sendeplätze für große neue Showkonzepte beim ZDF gewinnt man beinahe den Eindruck, der Genre-Mix im Programm der Mainzer verschiebt sich absichtlich. Man läge damit im Trend, denn genau das lässt sich in den vergangenen Jahren weltweit beobachten, wie die Programm-Monitoring-Agentur TheWit ermittelt hat. In Cannes präsentierte man am Sonntag erstmals den „The Wit Guide for Scripted Formats“ - im Rahmen einer Veranstaltung unter dem Titel „The Explosion of Scripted Formats“, die es so zum ersten Mal gibt in Cannes. Wer es bis dahin noch nicht gemerkt hatte, der bekam es hier noch einmal untermauert: Drama-Serien sind „the next big thing“. Eine auf dem internationalen Markt schon länger zu beobachtende Tendenz, dringt sehr langsam aber sicher auch nach Deutschland.

In einer Zeit, in der die Qualität des deutschen Fernsehens gerade von jüngeren Zuschauern häufig nur noch danach bewertet wird, wann neue US-Ware ihren Weg zu uns findet, wächst die Erkenntnis und Risikobereitschaft von Sendern sehr langsam aber stetig, mehr in fiktionale Produktionen zu investieren. Auch RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann kündigte zuletzt im „Spiegel“ gleich mehrere neue fiktionale Projekte an. In Cannes zeigt sich: TV-Fiktion wird auch zunehmend zu einem Formatgeschäft. Wurden früher fertige Produktionen verkauft, die vom Einkäufer nur noch synchronisiert oder untertitelt wurden, sind heute Remakes von internationalen Erfolgen gerade auf dem US-amerikanischen Markt in Mode gekommen.

Erfolgreiche Serien beispielsweise aus Großbritannien („House of Cards“), Dänemark („The Bridge“) oder Frankreich („The Returned“) werden in den USA - lange ausschließlich ein Exporteur von Fernsehware - importiert und adaptiert. Das ist eine massive Bewegung auf dem internationalen Fernsehmarkt, die Produktion, Verkauf und Lizenzierung eigener Serien attraktiver macht. Aus Deutschland haben zwischenzeitlich auch schon „Danni Lowinski“ und „Der letzte Bulle“ in den USA Interesse geweckt. Es könnte längst mehr deutsche Serien sein, aber die Sender in Deutschland haben zu lange und teilweise heute noch eine falsche Antwort auf die Fragmentierung des TV-Marktes gegeben.

Aus der Angst heraus, in einem immer größeren Wettbewerb unterzugehen, wurden immer neue Abspielflächen geschaffen: Spartensender, die neue Zielgruppen gewinnen oder alte erhalten sollen. Doch Fläche allein nutzt nichts, wenn es an Inhalten mangelt. Statt gleichzeitig starke Programm-Marken zu schaffen, wurden stolz neue Sender-Marken etabliert, doch neue Wettbewerber wie Netflix, Amazon und Co. rücken die Konsumenten längst näher an die Programm-Marken selbst heran. Der Aufbau linearer Sendermarken (über die bestehenden Leuchtturm-Sender hinaus)  wirkt da geradezu anachronistisch. Traurig ist auch, dass über die Positionierung von Sendermarken oft leidenschaftlicher diskutiert wird als über Drehbücher und Ideen.