Bevor ihre Boygroup auf die Bühne dürfte, wie die Senderchefs der Mediengruppe RTL Deutschland sich selbst titulierten, gab Chefin Anke Schäferkordt einen Ausblick auf die Herausforderungen des Fernsehmarktes und ihrer Sendergruppe. Natürlich kamen dabei die Klassiker zur Sprache: Zum Beispiel die Marktdurchdringung von neuen mobilen Geräten für die TV-Nutzung. "Deutschland ist ein Entwicklungsland bei der non-linearen TV-Nutzung", urteilte Schäferkordt. Die Gründe dafür lägen in der geringen Rolle des IPTV in Deutschland im Vergleich zu z.B. anderen europäischen Ländern. Und auch PVRs, also digitale Festplattenrekorder, haben sich in Deutschland nie so stark verbreitet wie in den USA und anderen Ländern. Auch die zunehmende Markt-Fragmentierung wurde anschaulich demonstriert.

Doch nach der Wiederauflage bekannter Thesen folgte dann auch eine interessante Richtungsbestimmung. "Die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste große Hit aus den USA kommt, ist gering. Da tut sich in Europa mehr", sagt Anke Schäferkordt und meint den Markt der non-fiktionalen Fernsehunterhaltung. Auch wenn die USA völlig zu recht für ihre Fernsehserien gelobt werden würden, so kommen im Bereich der non-fiktionalen TV-Unterhaltung keine Impulse aus den Staaten. Auch dort verzeichne man sinkende Quoten großer Show-Flaggschiffe und habe noch keinen Ersatz gefunden, der über ähnliche Strecken Programmplätze fülle, wie es jetzt schon über viele Jahre Castingshows tun. Diese Art von verlässlichem Programm ist es schließlich, die sich bei den Werbekunden besonders gut verkaufen lässt.

Im Fiktionalen gehe man in den USA derzeit "auf Nummer sicher". Schäferkordt fasste die Erkenntnisse der LA Screenings auf denen im Mai die Einkäufer vorab die neue Serienware begutachten können, ähnlich zusammen wie DWDL.de. Aber auch wenn der US-Markt sich im Bereich der Serien von der Nische ein Stück weit zurück zum Mainstream bewegt, was für die großen Sender der Mediengruppe RTL Deutschland hilfreicher ist, so betont Anke Schäferkordt derzeit auf der Agentour-Tour von IP Deutschland sehr klar: "Wir dürfen uns nicht auf den amerikanischen Markt verlassen." Denn nicht nur die Attraktivität der Programme sei entscheidend. Wirtschaftlich werden US-Lizenzprogramme für Einkäufer immer unattraktiver durch immer mehr und immer kürzere Verwertungsfenster.

Bis eine Serie im Free-TV Premiere feiert, führt Schäferkordt aus, gebe es inzwischen zu viele Verwertungsfenster, die de facto an der Exklusivität der Serie im Free-TV kratzen. Dafür sollen RTL und Co. nach Wunsch der Hollywood-Studios aber weiterhin sehr ordentlich bezahlen. Das ärgert nicht nur die Kölner. Denn wenn das Publikum Serien auf diversen Wegen schon vorher konsumieren kann, ist die Attraktivität des Programms bis zur Free-TV-Premiere stark gesunken. Diese Veränderung des Marktes müsste sich auch in den Lizenzkosten bemerkbar machen. Doch bislang zeigen sich die Hollywood-Studios da wenig flexibel - stiften sogar eher mehr Verwirrung durch immer neue Unterlizenzen statt für Klarheit zu sorgen.

Deswegen baut Anke Schäferkordt auf Eigen- und Auftragsproduktionen made in germany, wie sie bei der Agenturtour betont. 86 Prozent des RTL-Programms werde derzeit mit solchen Programmen bestückt. Und auch bei VOX kratze man mit dem Anteil der Eigen- und Auftragsproduktionen immerhin schon an der Marke von 70 Prozent. Die Strategie der Sendergruppe fasste Schäferkordt am Ende in drei Punkten zusammen: Es gehe darum, alle Screens zu bespielen und sich nicht allein als Fernsehanbieter zu verstehen, es gehe darum in einem immer größeren Markt konsequent seine Sender- und Programmmarken zu pflegen und im immer schwierigen Lizenzmarkt die Unabhängigkeit vom US-Markt durch Eigenproduktionen zu erhalten.

Die Veranstaltung lief in diesem Jahr zum ersten Mal unter dem Label "Fourscreen Live". Während das eher Kosmetik ist, fiel eins positiv auf: Noch bevor es um das Programm der einzelnen Sender ging, setzten zwei durchaus gelungene Imagetrailer die Leidenschaft der Sendergruppe und ihrer Mitarbeiter für das Medium Fernsehen in Szene. So emotional wie in diesem Jahr präsentierte sich die Mediengruppe RTL Deutschland noch nie. Die subtile Botschaft: Man sei mehr als die Summe der Sender. Ganz ohne Fragezeichen verließ man die Präsentation dann doch nicht. Das lag zum einen daran, dass so manche steile These über die Reichweite von RTL im Vergleich zur Reichweite des gesamten Internet wohl keiner Nachfrage standhält. Und dass ausgerechnet der TV-Vermarkter, der die obere Altersgrenze der Referenz-Zielgruppe auf 59 Jahre anhob, in seinen Trailern ausschließlich junge, hippe Menschen präsentierte.

Mehr über die aktuellen Themen von Vermarkter IP Deutschland, die bei der Agentur-Tour den Werbekunden nahegebracht werden sollten, lesen Sie kommende Woche im Exklusiv-Interview mit IP Deutschland-Geschäftsführer Matthias Dang.