Mehr Schwerpunkte zu aktuellen gesellschaftlichen Themen, eine Ausweitung des europäischen Publikums und ein stärkeres Engagement für koproduzierte Serien: Es sind ambitionierte Pläne, die Peter Boudgoust am Freitag mit nach Hamburg gebracht hat. Seit 1. Januar ist der SWR-Intendant auch Präsident des deutsch-französischen Gemeinschaftskanals Arte. Bei der Vorstellung des Programms und der Ziele für die kommenden Monate ging es Boudgoust zunächst aber um die Rolle des Senders in einem sich verändernden Europa.

"Die Ereignisse des vergangenen Jahres, die Finanzkrise, die aktuellen Flüchtlingsströme, der Umgang damit und das Erstarken europaskeptischer und extremistischer Parteien machen uns als Sender mit europäischem Auftrag nachdenklich", sagte Boudgoust in Hamburg – und bekräftigte zugleich: "Arte sieht sich als verbindendes Element in einem von Krisen erschütterten Europa."

Um diese Verbindung zu festigen, werden seit November Teile des Arte-Programms für europäische Zuschauer untertitelt, die weder Französisch noch Deutsch sprechen, dafür aber Englisch oder Spanisch. Bis Ende des Jahres soll im Pilotprojekt, das durch die Europäische Kommission ko-finanziert wird, auch Polnisch dazu kommen.

Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil Arte gerade entschieden hat, die seit 2001 bestehende Zusammenarbeit mit dem polnischen öffentlich-rechtlichen Sender TVP zu unterbrechen (DWDL.de berichtete). Als Grund dafür nennt Arte das umstrittene Mediengesetz der neuen Regierung in Polen, das die Unabhängigkeit des Rundfunks einschränke und TVP zur "Vermittlung von Patriotismus" verpflichte. "Pluralismus und redaktionelle Unabhängigkeit sind für Arte Grundvoraussetzungen für Partnerschaften mit anderen europäischen Sendern", erklärte Boudgoust in Hamburg. Wenn diese Voraussetzunge wieder erfüllt seine, könne man jederzeit über eine Fortsetzung der Zusammenarbeit reden.

"Pluralismus und redaktionelle Unabhängigkeit sind für Arte Grundvoraussetzungen für Partnerschaften mit anderen europäischen Sendern."

Arte-Präsident Peter Boudgoust

Wie dabei eine Strafaktion hilfreich sein soll, hat Boudgoust nicht erklärt. Einen Kontinent zu verbinden, indem man sich nicht mehr mit Sendern auseinandersetzt, denen ein europäischer Austausch mehr denn je gut täte, ist zumindest eine fragwürdige Strategie. Zumal der SWR gerade schlechte Erfahrungen mit der Einstellung gemacht hat, politische Strömungen zu ignorieren, mit denen man sich nicht auseinandersetzen möchte.

Im Programm selbst wird es in den kommenden Monaten dagegen zahlreiche Schwerpunkte geben, die sich mit den diversen europäischen Krisen und deren Ursachen befassen. Geplant sind Thementage zum Syrienkrieg sowie zum Rechtsruck in Europa.

Fiction-Koproduktion mit dem SWR

Noch im Entwicklungsstadium befindet sich eine fiktionale Serie, die sich mit der Flüchtlingsthematik befasst: "Arte will mehr denn je Vorreiter sein und für europäische Serienkompetenz stehen", sagte Boudgoust. Seine Stellvertreterin, Anne Durupty, konkretisierte die Pläne in Hamburg: Geplant ist die Serie in Zusammenarbeit mit dem SWR unter der Regie von Edward Berger (u.a. "Deutschland 83"). Es wird einen Writers Room geben, in dem deutsche und französische Autoren kooperieren. Auf ein Ausstrahlungsdatum wollte sich Durupty im Gespräch mit DWDL.de aber noch nicht festlegen. Das Vorhaben klingt jedoch interessant, ist es doch die erste Arte-Koproduktion für eine serielle Produktion zwischen Deutschen und Franzosen.

Im Netz ist Arte seit jeher flotter als so manch anderer Sender unterwegs – und die in Hamburg angekündigten Projekte bestätigen den Eindruck, dass das so bleibt. In der für iOS und Android verfügbaren App "Arte 360°" können Nutzer selbst ihre Perspektive in einer Dokumentation steuern, zu Beginn bei einer Besichtigung des französischen Schlosses Fontainebleau.

Zudem arbeitet der Sender daran, das komplette lineare Programm eines Tages online auf Arte +7 bereits ab 5 Uhr morgens verfügbar zu machen. Zuschauer bräuchten damit nicht auf die abendliche Ausstrahlung eines Filmes oder einer Dokumentation zu warten, sondern können schon vorher durchs Programm scrollen. "Der Tag wird zu einer Art Playlist", erklärte der stellvertretende Arte-Programmdirektor Bernd Mütter.

Ein Thementag für die Tankstelle

Inhaltlich setzt der Sender im ersten Halbjahr 2016 auf die bekannte Genre-Vielfalt. Zu den Höhepunkten gehören der in schwarz-weiß gedrehte Film "Wir sind jung, wir sind stark" über die Angriffe auf Flüchtlingsheime in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 (u.a. mit Jonas Nay). Mit zahlreichen Sendungen erinnert Arte im April an den 400. Todestag von William Shakespeare. Im Mai läuft die Puccini-Oper "Gianni Schicchi" in der Inszenierung von Woody Allen. Und die gewünschte europäische Serienkompetenz wird mit der Ausstrahlung der  Mysterythriller-Serie "Jordskott" aus Schweden (im Mai) und "Legacy" ("Die Erbschaft") aus Dänemark (im Juni) unterstrichen.

Zuvor bekommt schon die Tankstelle ("der romantischste Ort der Gegenwart") einen eigenen Thementag – und eine 10-teilige Dokureihe mit Friedrich Liechtenstein, der "Tankstellen des Glücks" aufsucht. Dokumentationen gibt's u.a. zum europäischen Energiemarkt ("Die große Strom-Lüge") und zum Weltfrauentag im März ("The Power of Women").

"Es geht immer um verschiedene Blickwinkel und Perspektiven", hat Arte-Präsident Peter Boudgoust am Freitag erklärt und gab sich überzeugt: "Quotenerfolge und Qualität schließen sich nicht aus." Im vergangenen Jahr blieb der Marktanteil von Arte beim deutschen Publikum (Zuschauer 3+) mit 1 Prozent stabil, was die Verantwortlichen angesichts der zunehmenden Fragmentierung als Erfolg werten. In Frankreich schaffte Arte ein kleines Plus auf 2,2 Prozent.

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