Seit Jahrzehnten ist die "Tagesschau" eine Institution im deutschen Fernsehen - und daran wird sich wohl so schnell auch nichts ändern. Der Sendeplatz der Hauptausgabe ist gelernt, entsprechend stark ist der Einschaltimpuls um 20:00 Uhr. Da kann das Vorprogramm noch so schwach sein: Der "Tagesschau" kann selbst ein Format wie "Gottschalk Live" nicht schaden (Unterm Strich vom 24. März). Ganz ähnlich ergeht es aber auch RTL: Ein Blick auf die Quoten zeigt, dass auch die Nachrichten der Kölner für viele Zuschauer einen Einschaltimpuls darstellen. Nicht selten schnellt die Reichweite innerhalb weniger Minuten um mehr als eine Million Zuschauer nach oben.

Beispiel gefällig? Das Boulevardmagazin "Exclusiv" verzeichnete am Mittwoch im Schnitt 2,38 Millionen Zuschauer, bei "RTL aktuell" sahen nur wenig später 3,64 Millionen vor dem Fernseher. Unmittelbar nach dem Wetter sackte die Reichweite schlagartig ab - bei "Alles was zählt" waren schließlich sogar geringfügig weniger Zuschauer dabei als zuvor bei "Exclusiv". Selbst "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" konnte längst nicht so viele Zuschauer erreichen wie die Nachrichten mit Peter Kloeppel, war im Gegenzug aber wenig überraschend bei jüngeren Zuschauern gefragter. Auffällig: Nach "RTL aktuell" verliert der Sender jedoch sogar in der Zielgruppe regelmäßig viele Zuschauer an die Konkurrenz.

Die Stärke von "RTL aktuell" liegt somit also nicht am starken Umfeld des Marktführers. Vielmehr zeigt der Quotenverlauf, dass die Marke inzwischen aus sich heraus sehr stark ist. Beim ZDF verhält es sich übrigens anders: Im Falle der "heute"-Nachrichten um 19:00 Uhr ist dieser Effekt nicht erkennbar. Das muss nicht unbedingt heißen, dass es diesen Trend nicht gibt, schließlich lässt sich anhand der nackten Zuschauerzahlen nicht ablesen, wie viele Zuschauer speziell zur "heute"-Sendung einschalten. Fakt ist allerdings, dass die Nachrichten im ZDF nicht selten sogar weniger Zuschauer erreichen als die zuvor gezeigten "SOKO"-Serien.

Matthias Fornoff, Moderator und Redaktionsleiter bei "heute", verwies allerdings schon Ende vergangenen Jahres im DWDL.de-Interview darauf, dass zwischen den "SOKOs" und der "heute" fünf bis zwölf Minuten Werbung liegen. "Das ist einfach viel Zeit, weil dazwischen zu viel verloren geht", so Fornoff damals. An den Machtverhältnissen hat sich seither jedoch wenig verändert: "RTL aktuell" kommt seit Jahresbeginn im Schnitt auf knapp 3,9 Millionen Zuschauer, "heute" hängt mit 3,6 Millionen deutlich dahinter. Doch auch bei RTL kann man nicht ganz zufrieden sein, denn dem Sender gelingt es, wie erwähnt, nicht, die gewonnenen Zuschauer zu halten.

Insofern sei die Frage erlaubt, ob "Alles was zählt" im Anschluss tatsächlich das komplette Quoten-Potenzial ausschöpft. Man darf das mittlerweile erst recht fragen, weil sich die Soap seit geraumer Zeit in einer Schwächephase befindet - so leidet sie unter anderem an der Konkurrenz durch den RTL II-Überflieger "Berlin - Tag & Nacht". Mit im Schnitt nicht mal 16 Prozent Marktanteil liegt die Soap derzeit in der Zielgruppe rund eineinhalb Prozentpunkte unter dem Vorjahresschnitt. Sicher ist dabei nur eines: Die Schuld liegt nicht bei "RTL aktuell".

Was steht an?

Kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft halten sich die Neustarts weiter in Grenzen. Mit "Villa Germania - Forever Young" startet RTL II jedoch am Mittwoch um 22:15 Uhr eine neue Dokusoap. Die namensgebende "Villa Germania" ist eine elfstöckige Wohnanlage in Pattaya in Thailand, in der sich insgesamt 30 deutsche Auswanderer niedergelassen haben. Sie werden für die zunächst acht Folgen umfassende erste Staffel mit der Kamera begleitet. Dass der Sendeplatz kein Selbstläufer ist, zeigte "Notruf - Rettung aus der Luft". Und doch kann sich "Villa Germania" zumindest auf ein ordentlich laufendes Vorprogramm verlassen. "Außergewöhnliche Menschen" lief zuletzt ebenso gut wie "Extrem schön".

Unterm Strich nutzt RTL die Stärke seiner Nachrichten am Vorabend derzeit nur suboptimal - zu viele Zuschauer gehen direkt nach dem Wetter verloren. Sollte "Alles was zählt" insbesondere in der Zielgruppe dauerhaft im Tief verharren, ergäbe sich womöglich die Chance, auf dem nachfolgenden Sendeplatz mit einer anderen Programmfarbe mehr Zuschauer vor dem Umschalten zu bewahren. Doch das ist freilich noch Zukunftsmusik.