Vorurteil der Woche: Fernsehshows funktionieren nur noch mit Kandidaten, die prominent sind.

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Fünfzig Jahre und fünfunddreißig Tage nachdem "Einer wird gewinnen" erstmals im deutschen Fernsehen lief, lässt die ARD an diesem Samstagabend wieder Quiz-Kandidaten aus acht Ländern zur Eurovisionshymne einlaufen. Moderiert wird diese – vorerst einmalige – "Hommage an eine Legende des deutschen Fernsehens", den Entertainer Hans-Joachim Kulenkampff, von einem seiner Nachfolger, Hans-Jörg Pilawa. Der kehrt nach dreieinhalb Jahren Fernsehexil zurück in die Sendeheimat. Und wird sich gleich ganz wie zuhause fühlen.

'Einer wird gewinnen' mit Jörg Pilawa© Das Erste

Denn anders als beim Original spielen bei der Neuauflage der Europa-Show keine Jurastudenten aus Irland, keine Bankangestellten aus der Schweiz, kein Kantinenpersonal aus Italien und kein Schullehrer aus Belgien mit.

Sondern Schauspieler, Sportler und Prominentengattinnen. So wie das inzwischen meistens der Fall ist im deutschen Fernsehen. Wenn Jörg Pilawa moderiert.

Dabei wäre es angesichts der aktuellen europäischen Verhältnisse ja auch keine schlechte Idee gewesen, Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenzubringen, die sich gegenseitig sonst nur aus dem letzten Partysaufurlaub kennen, allenfalls noch aus den Nachrichten, wenn die einen gegen die Europapolitik der Regierung der anderen auf die Straße gehen. So ein Abend könnte ganz hervorragend Vielfalt und Vorzüge eines vereinten Europas demonstrieren. Sei es auch nur, um zu testen, ob in der Live-Sendung die irre CSU anruft, um die Armutsshowzuwanderung aus dem Osten zu geißeln.

Stattdessen lässt das Erste nun herkömmliches Prominentenpersonal wie die Schauspieler Francis Fulton-Smith für Großbritannien und Ornella Muti für Italien, Boris-Becker-Gattin Lilly für die Niederlande und Außenminister Jean Asselborn für Luxemburg antreten.

ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber erklärt auf Anfrage, warum: Weil es sich um eine Hommage zum 50. Geburtstag der Show handele, habe man Prominente gesucht, die "die Sendung aus ihrer Jugend kennen und auch zu Kuli etwas sagen können". Unbekannte Briten oder Franzosen mit guten Deutschkenntnissen zu finden, sei "auch nicht so ganz einfach". (Einfacher ist es hingegen, wie bei "Wetten dass..?" bekannte Briten oder Franzosen zu finden, die gar keine Deutschkenntnisse haben.)

Die Besetzungsänderung bei "EWG" ist trotzdem schade. Immerhin war das länderübergreifende Kennenlernen ja mal eine der Grundideen der Show, die sich die jüngeren unter den Lesern vielleicht am besten als eine Art "Quizduell"-Vorläufer vorstellen, nur ohne Smartphone. (Ist schwer, ja.) Noch dazu zu einer Zeit, in der das öffentlich-rechtliche Fernsehen es cool fand, ganz normale Menschen ins Fernsehen zu holen, damit die dort aus ihrem Alltag berichten.

Rudi Carrell stellte die Leute ans "Laufende Band"; Mike Krüger verfrachtete bei "4 gegen Willi" ganze Familien samt Wohnzimmereinrichtung ins Fernsehstudio, um sie zum Schluss an einer riesigen Leinwand einen elektronischen Hamster fangen zu lassen; und Jürgen von der Lippe demonstrierte bei "Geld oder Liebe", dass so ein Abend mit flirtenden Durchschnittsdeutschen allemal interessanter sein kann als Kurztalks mit internationalen Stars, die nach dem Floskelaustausch wieder zum Flieger müssen.

Davon ist im Jahr 2014 nicht mehr viel übrig geblieben.

Seit Jahren schon sitzen immer dieselben Prominenten in immer denselben Shows und beantworten Quizfragen oder turnen durch Quatschspielchen. Es hat ja auch seinen Reiz, einigen dabei zuzusehen, wie sie sich unter Zeitdruck schlagen und ob sie tatsächlich so spontan sind wie sie sich sonst inszenieren. Außerdem wissen Guido Cantz und Markus Maria Profitlich, wenn sie demnächst das dritte Mal bei der Neuauflage von "Dalli Dalli" zu Gast sein sollten, haargenau, was die Zuschauer von ihnen sehen wollen.

Aber das ist doch kein Grund, all den normalen Leuten Fernsehverbot zu erteilen. Außer natürlich: Die normalen Leute, die zuhause auf dem Sofa sitzen, wollen sich da selbst nicht mehr sehen. Als Matthias Opdenhövel vor zwei Jahren mit "Opdenhövels Countdown" Show-Premiere im Ersten feierte, kämpften eine Weinkönigin, ein Managementstudent, eine alleinerziehende Mutter und ein Feuerwehrmann um den 100.000-Euro-Jackpot. Die Quoten waren nachher so mies, dass zur Fortsetzung wenige Monate später Til Schweiger, Sonja Zietlow, Horst Lichter und Christine Neubauer antreten mussten. (Hat aber auch nix mehr geholfen.)

Ausnahmen gibt es nur wenige – und nur für sehr spezielle Typen, wenn zum Beispiel bei "Schlag den Raab"  wieder rettungsfliegende Handballolympioniken mit Bundeswehrkarriere gebraucht werden. Der Rest soll sich bitteschön bei einer der zahlreichen Castingshows bewerben, um über mehrere Wochen gerade so viel Bekanntheit in sich hineingepumpt zu kriegen, dass die Prominenzkriterien für eine Wiederverwertung im Privatfernsehen erfüllt sind.

Dort ist der "Promi"-Bedarf inzwischen so riesig, dass jeder, der nachmittags zuhause mal mit dem Wäschekorb am eingeschaltetem Fernseher vorbeigelaufen ist, schon als berühmt gelten kann. Jedenfalls wenn er sich darauf einlässt, bei "Familien im Brennpunkt" mit anderen Laien lose getextete Streits zu improvisieren oder als "Makler" vermeintlichen Umzugsinteressenten angeblich freie Wohnungen zeigen, die bloß ein paar Stunden für den Dreh gemietet sind. Und schon kann Vox – wie in der vergangenen Woche – wieder zweieinhalb Stunden Sendezeit mit dem "mieten, kaufen, wohnen Spezial" vom "Perfekten Promi-Dinner" füllen.

Nebenbei gesagt ist das ja auch die gute Nachricht für Otto Normalzuschauer: dass ihm die Fernsehkarriere nur so lange versagt bleibt, bis er sich durch ein paar Unterinstanzen der TV-Industrie geboxt und anschließend automatisch das Promidiplom in der Tasche hat gilt. Manchmal reicht's sogar, an einer schleimigen Kuppelsoap teilzunehmen, um danach als "der neue Bachelor" die berufliche Umorientierung zu starten.

Mag also sein, dass Fernsehshows nur noch mit Kandidaten funktionieren, die prominent sind. Aber diese Voraussetzung zu erfüllen war nie so leicht wie heute.

Das Vorurteil stimmt.

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