Vorurteil der Woche: Volksmusik im Fernsehen ist die Pest.

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Wenn über volkstümelnde Unterhaltung im Fernsehen gespottet wird, ist Florian Silbereisen mit seinen "Festen der Volksmusik" als Zielscheibe oftmals erste Wahl. Dabei ist die "Volksmusik" schon lange aus dem Titel gestrichen, die Shows heißen jedes Mal anders albern – und weil Silbereisen dieses Wochenende beim "Großen Fest zum Jubiläum" im Ersten (Resttickets für die Generalprobe im MDR-Ticketshop zu je 18,50 bzw. 37 Euro, eingeschränkte Sicht mgl.) auch noch zehn Jahre Florian Silbereisen im Ersten feiert, check... – äh: überprüfen wir jetzt mal, ob der Spott denn verdient ist.

Womöglich nämlich nicht.

1.  Kein anderer Moderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zeigt soviel Einsatz

Er ist durch brennende Feuerreifen gesprungen, über heiße Kohlen und Herdplatten gelaufen, er hat glühende Verehrerinnen im Publikum weltrekordgeknutscht und wenn Stefan Raab morgen bekannt geben würde, sich zur Ruhe setzen zu wollen, könnte Pro Sieben künftig nahtlos mit "Schlag den Silbereisen" weitersenden. Fakt ist: Kein anderer Moderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zeigt bei seinen Shows soviel Einsatz wie Florian Silbereisen.

"Wir haben die Stars des Jahres eingeladen, und alle haben zugesagt", kündigte der 32-Jährige zu Beginn des "Fests der Besten" im Januar an. Dann hat er sich einen Helm aufgesetzt, ist in ein bereit stehendes Stunt-Auto gehüpft und – während im geteilten Bild unten rechts die Eurovisionshymne lief – backstage ins Berliner Velodrom gerast, wo eine Betonschranke dem Gefährt mit seinen geduckten Insassen das Dach wegfetzte. Silbereisen ist rausgehechtet, durchs Treppenhaus gehetzt, hat eine Mauer aus Pappmaché durchsprungen und ist auf ein Gerüst geklettert, um sich dort an ein Seil zu haken, über den Zuschauerraum durch die Halle zu rutschen, punktgenau vor den Fackelträgern, Cheerleadern, Trapeztrommlern, Blechbläsern und Fahnenschwingern auf der Bühne zu landen und zu fragen: "Meine Damen und Herren, sind Sie auch bereit für das große Fest der Besten?"

Florian Silbereisen beim 'Großen Fest der Besten'© DasErste/MDR

Das Publikum war bereit. Und Silbereisen hat gesungen: "Heut werden hier die Besten gekührt, denn Ehre, wem Ehre gebührt."

2. Die "Feste" sind die ideale Anschlussverwertung für DSDS- und "Supertalent"-Stars

Wer bei RTL das Feuerbad der Dieter-Bohlen-Bewertung durchgestanden hat, kann sicher sein, künftig freundlicher behandelt zu werden. Denn nach der Plackerei bei "Deutschland sucht den Superstar" und beim "Supertalent" lassen sich die Ex-RTL-Kandidaten vom MDR-Publikum feiern. Die Einladung zum "Fest" kommt ganz bestimmt. Man muss, wie Joey Heindle, vorher nicht mal gewonnen haben. Es hilft natürlich, um vor seinem Auftritt einen so schönen Film geschenkt zu kriegen wie neulich die DSDS-Vorjahressiegerin Beatrice Egli.

Deren Familie hat das "Feste"-Kamerateam einen Besuch in der familieneigenen Dorfmetzgerei am Zürichsee abgestattet, wo die Mama und der Bruder berichteten, dass die Beatrice früher so gerne belegte Brötchen fürs Catering geschmiert habe, und wo das Konterfei der berühmten Tochter bzw. Schwester jetzt mit dem rätselhaften Spruch "Von Herzen für Herzen" von einem Poster über der üppigen Wurstauswahl grüßt.

Anschließend sang Egli in der Halle ihren neuen Hit: "Sieben rote Rosen lagen heute vor der Tür, sieben mal betrogen, ich hass dich so sehr dafür."

Ausschnitt aus dem 'Großen Fest der Besten'© Das Erste/MDR

3. Die Abschreibung ostdeutscher Mehrzweckhallen ist auf Jahre gesichert

Mit seinen "Festen" hat Silbereisen schon zigmal den Osten Deutschlands durchreist und dazu beigetragen, dass die dort errichteten Mehrzweckhallen nicht vor sich hin gammeln, bloß weil Mario Barth auf seinen Livetours immer gleich ins Olympiastadion drängelt. Suhl, Erfurt, Magdeburg, Riesa und Halle stehen bei der Ortsauswahl deutscher Fernsehmacher sonst eher selten auf der Agenda. Dabei ist das Publikum dort bestens eingeklatscht.

4. Mediale Brauchtumspflege

Während sich Konkurrenten wie "Wetten das...?" peinlich ans junge Publikum ranwanzen und per Einblendung zum verbalen Schlachtfest in den sozialen Medien laden, besinnt sich das Erste bei Informationsangeboten zu seinen "Festen" ganz auf mediale Brauchtumspflege und blendet Hashtags für den so genannten "Teletext" ein.

Teletext-Hashtag beim 'Großen Fest der Besten'© Das Erste/MDR

(Kleiner Service für jüngere Leser: Teletexte sind in "Tafeln" organisiert, z.B. "ARD 453" bzw. "ORF 366", und erfordern die Aktivierung einer App ["Text"] und die anschließende Eingabe der genannten Zahlenkombination – über die Fernbedienung! Ein Facebook-Login ist nicht möglich.)

5. Die Musik

Gut, das ist ein echter Schwachpunkt. (Und man kriegt schnell Alpträume von den dazu tanzenden Schneemännern.)

Tanzende Schneemänner beim 'Großen Fest der Besten'© Das Erste/MDR

6. Die komplette Volksmusik ist Grundversorgung pur

In seinem 4. Rundfunk-Urteil von 1986 hat das Bundesverfassungsgericht den Grundversorgungsauftrag von ARD und ZDF festgelegt. Wenn wir davon ausgehen, dass dazu auch die Unterhaltung zählt und alle Altersgruppen gleichermaßen vom Programm angesprochen werden sollen, hat Volksmusik nicht nur ihre Berechtigung, weil ältere Zuschauer damit gerne ihren Samstagabend verbringen. (Von 5,45 Mio. Zuschauern beim "Fest der Besten" waren im Januar lediglich 0,74 Mio. zwischen 14 und 49 Jahren alt.) Sie wäre – theoretisch – auch die Garantie dafür, dass die ARD zwischendurch Unterhaltung fürs junge Publikum ausstrahlt. (Macht sie halt nicht.)

Dass ARD und ZDF Volksmusik-Sendungen so sehr zusammengestrichen haben – Hansi Hinterseer war das letzte Opfer –, ist ein Zeichen dafür, dass sie sich von zielgruppengerechten Programme verabschieden. Stattdessen wird mit großer Gleichmacherei versucht, alle auf einmal anzusprechen. Mit Sendungen, die möglichst niemandem weh tun dürfen und jedem irgendwie ein bisschen gefallen können. Also: mit Krimis.

Manche Krimis sind lustig, manche altmodisch, manche volkstümelnd, manche – hui! – von den Vorbildern im Ausland inspiriert. Aber am Ende sind es immer: Krimis. Werktags am Vorabend, samstags, sonntags nach der "Tagesschau", sonntags spätabends, als Wiederholung in den Dritten, überall. Die Sender haben ein Fernsehen verlernt, das sich an ganz spezifische Zielgruppe richtet und diese richtig glücklich macht.

Nur die Volksmusik funktioniert noch so. Sie ist vielleicht nicht Ihr Ding, und auch nicht meins.

Aber das Vorurteil: stimmt nicht.