Ich bin gescheitert.

In meinem missionarischen Drang, die Menschen zur Bahn zu verführen, bin ich gescheitert. An mir, an der Bahn , an der Realität. Im Rahmen meiner Tätigkeit fahre ich recht viel Bahn und fliege so gut wie nie. Nicht weil ich ein Öko-CO2-Zähler bin, sondern weil ich lieber reise als hetze.

Am Dienstag sah mein Reisen so aus: Zwei Einzelsitze vor mir reiste ein unterfränkischer Kamerad, dem sich die Segnungen des mobil Telefonierens offensichtlich noch nicht vollständig erschlossen haben. Er brüllte derart in sein Handy, dass jeder der Mitreisenden annehmen durfte, der Angerufene höre ihn auch ohne elektronische Hilfe. Und dies in diesem gänzlich unterprivilegierten Idiom.

Vorne rechts am Vierertisch waren Amerikaner. Mutter, Vater, Oma und Kind. Kind war etwa acht Monate alt und versuchte von München bis Frankfurt auf die ihm gegebene Möglichkeit zu kommunizieren. Bis auf die Oma erwiderte niemand die Kommunikation, was Kind (natürlich für das gesamte Zugabteil) hörbar erzürnte. In mir erstarb kurzzeitig jeglicher Kinderwunsch.

Vis a vis gab es bis Frankfurt ebenfalls Amerikaner, die sich bis auf den weiblichen Teil des Paares ruhig verhielten. Nämliche jedoch hustete sich in Rhythmus und Regelmäßigkeit in tuberkulotische Dimensionen. Ihre Stelle nahm ab Frankfurt ein Pakistani ein, dessen etwa 320 Kilo schwerer Koffer zunächst umfiel und dies auf meine Knie. Bis Köln hatte ich Angst vor dem Mann, dem Koffer und dem bevorstehenden Attentat.

Ich bin gescheitert. Denn so kann ich für die Bahn nicht werben.

Überhaupt: das Scheitern. Kaum etwas ist so omnipräsent in unserem Alltag wie das Scheitern. Trotzdem meiden wir jedes Denken oder Diskutieren über das Scheitern und verlagern das Faseln gern und oft auf den Erfolg, der doch so viel weniger präsent ist. 

Jürgen Klinsmann scheitert, der Mercedes-Fahrer vor mir scheitert, George Bush ist skandalös konsequent gescheitert, unsere Wirtschaftsprognosen scheitern nach oben wie nach unten, am Sonntag scheitert die CSU.

Sido oder Bushido (ich behaupte ja, das ist eine Person, wie früher Baghwan und Osho, wie Prince und Symbol) scheitert fulminant, ausgerechnet an Natascha Kampusch seine Zivilität zu demonstrieren und sich außerhalb seines Ghettos zu Fragen des Seins zu äußern. Frau Kampusch wiederrum scheitert im Ringen um die Erkenntnis, dass Opfer gerne am Nasenring vorgeführt werden, insbesondere wenn unglaublich begabte deutsche Extremschauspielerinnen Galas in güldenen bayerischen Höfen geben, wo sich die tolldreiste Gesellschaft wöchentlich selbst feiert. Und hierzu wechselnde Anlässe benutzt, um sich a) verdammt gut und wissend zu geben, b) wieder ne Nacht für umsonst um die Ohren bekommt und c) sich dabei abknipsen lassen kann, auf das die ganze Welt erfahre, wie wahnsinnig befreundet alle sind, dass man selbst doch soviel Glück habe und dies jetzt mal zurückgeben müsse. Nicht an die Armen, nein, an den selbst erfundenen Verein des Gatten, frei erfundene Daten ("jedes vierte bis fünfte (!!!) Kind ist Opfer von Missbrauch") und der routiniert bekannten Weinkrampf-Inszenierung in Antje-Vollmer-Tremolo. 

Leider ist dies Scheitern auf Kosten anderer. Und ich sag es vorweg: für Gegendarstellungen ist in dieser Kolumne kein Platz.

Scheitern hat also viele lustige und eklige Fratzen. Meist lechzen wir sogar nach dem Scheitern (natürlich gerne dem der Anderen). In Wirklichkeit ist das Scheitern bei uns verpönt und der Erfolg nahezu ein Fetisch ohne Sinn und Verstand.

"Gerades Scheitern steht höher als ein krummer Sieg." Wir lesen zu wenig Sophokles. Und eines können wir uns auch mal merken:
"Wenn der Erfolg da ist, merkst Du, dass es ihn nicht gibt". Albert Einstein.

Lassen wir also das Scheitern zu und werfen es zusammen: auf den großen Scheiterhaufen, der Leben heißt. Dabei lächeln und sich freuen, nicht alles so ernst nehmen und nie die Haltung zu den Dingen verlieren, vor allem aber protestieren und kämpfen, wenn's des Kampfes bedarf.

By the way: Stellen Sie sich vor, sie machen eine Party, laden 100 Leute ein, 80 sagen zu, 40 kommen, von denen Sie 30 nicht kennen, aber wissen, dass die gar nicht eingeladen waren. Wie heißt das? 

Auflösung (vielleicht ) nächste Woche...

Grübelt, denkt, zweifelt, spinnt, träumt und visioniert. Aber bitte mit Mut, Zuversicht und Lautstärke. Tanzt, tanzt, vor allem aus der Reihe

Ahoi!
Kai Blasberg

 

Diese Woche in Dur...

  • Spielfilm „Oktoberfest“ Sonntagnacht in der ARD
  • Helmut Schmidt bei Beckmann (BEIDE waren Klasse)
  • Endlich wieder Wiesn
  • Meine Tele-5-Crew (richtig geiles Senderchen) 
  • Karl Lagerfeld
...und in Moll
  • Sinnlose Preisverleihungen (MIRA oder so hieß das)
  • BUNTE als Zentralorgan der CSU (Politikerportraits interessieren kein Schwein)
  • Scheitern ohne Lächeln