In diesen Monaten sehen wir dem Ende der Globalisierung zu. Natürlich hatten wir all die Jahre komische Gefühle, warum jetzt alles, was Leben heißt, draußen sein soll, warum man am Wegesrand der Geschichte liegen bleibt, wenn man mit 26 nicht mindestens zwei Praktika in Shanghai und Johannesburg, zwei abgeschlossene Magister, drei Bachelors und den vierundzwanzigsten Mandarin-Dialekt verhandlungssicher vorzuweisen hätte.
Die Welt war offen und unbegrenzt, und jeder, der sein Geld im eignen Land verdiente, war ein hoffnungslos rückständiger, dem Untergang geweihter Seuchenvogel, dem das letzte Totenglöckchen den Weg auf die Halde der Verlierer wies.
Das ist nun alles anders?!
Wir verlieren massenhaft Geld, das in großen Teilen massenhaft im Sinne des Wortes "unverdient" war. Die selbsternannten Eliten werden mit klammheimlicher Häme vom Hof gejagt. Der Staat, in den letzten Jahrzehnten der denkbar schlechteste Treuhänder von Geld, kann sich zum neuen Heilsbringer aufschwingen, und das auch noch mit dem immer gleichen Personal, das plötzlich erleuchtet erscheint.
Zeitenwende
Die Deutschen, besonders anfällig für Untergangsstimmungen jeder Art, werden von Ihren Medien in schönstem Dauerfeuer in die Pessimismus-Ecke gequetscht und suchen Halt.
Und finden ihn, schau an, beim ZDF! Unfassbare Reichweiten für "Die Deutschen", vor allem bei jüngeren Zuschauern.
Massenhaft suchen wir den "Schutzschirm" der Qualität der eigenen Wurzeln, nach einem Jahrzehnt des Hedonismus und der Entsinnung, Selbstverleugnung und Berauschung an der Nichtkultur der Globalisierung, in der man MTV Berlin nicht von MTV Tokio unterscheiden kann, H & M den unteren Mittelstand der Welt uniformiert, die Dickleibigkeit der Menschen im Dienste der weltweiten Nahrungsmittelindustrie im wahrsten Sinne aus den USA "rüberschwappt", reift ein Pflänzlein des Kulturhungers. Dem Suchen nach eigener Identität, dem Zusammenrücken und gemeinsamen erleben: DAS SIND WIR!
Hunger nach Kultur
Mitten in der Qualitäts-Diskussion um das Fernsehen stimmt der gescholtene Zuschauer ab.
Ja, wir wollen so etwas. Ja, das ist der öffentlich-rechtliche Programmauftrag. Ja, wir zahlen gerne Gebühren, wenn der Gegenwert stimmt.
Und bitte nicht falsch verstehen: Hier schreibt kein erzkonservativer Nationalist, der sein Stündchen gekommen sieht. Ich lebe von den Segnungen der Globalisierung. Die großen Programmerfolge, an denen ich in Teilen mitarbeiten durfte, waren oft Produkte der Globalisierung.
Aber immer kam es auf die Adaption einer Idee an. Nie wurde und wird in Zukunft wieder Programm gemacht, nur, damit es Quote bringt. Sondern weil es Deutschland gut tut, gefällt und einen inneren Sinn hat. Dazu gehört ausdrücklich "Bauer sucht Frau", in dem die Menschen die Stars sind. Dazu gehört ausdrücklich "Popstars", in dem auch ein Teil Deutschland gezeigt wird, dem der Leistungsgedanke vielleicht hier und da abhanden gekommen ist. Dazu gehört "Wir sind das Volk", in dem ein großes zeitgeschichtliches Ereigniss der Spiegel fiktionaler Unterhaltung ist.
Kulturarbeiter
Dazu gehört aber auch die Gewissheit bei uns Fernsehmachern, dass wir tagtäglich an einem Kulturgut arbeiten, das Menschen beeinflusst, glücklich macht oder verärgert. Wir leben in einem kulturellen Kontext, der uns mit unseren Mitmenschen, für die und von denen wir leben, verbindet. Es ist für einen Kulturarbeiter in einem Massenmedium daher unabdingbar, diesen Kontext zu kennen.
Es war die hohe Zeit der Globalisierer, als ich mitten in Oberbayern als Rheinländer einem ägyptischen Israeli aus Los Angeles und einem Belgier in einer für alle mehr oder weniger fremden Sprache erklären musste, dass Bully lustig ist und Winnetou ein deutsches Phänomen und Werbung für die Free-TV-Premiere des „Schuh des Manitu“ sich ganz sicher für ProSieben lohne.
In solchen Fällen bleiben dann nur Zahlen. Und selbst die können nicht stimmen, wenn man solche Gespräche führen muss.
Ahoi!Grübelt, denkt, zweifelt, spinnt, träumt und visioniert.
Aber bitte mit Mut, Zuversicht und Lautstärke.
Tanzt,
tanzt,
vor allem aus der Reihe.
Diese Woche in Dur...
- "Bauer sucht Frau" auf RTL (toll gemacht, fein komponierte Charaktere)
- Ein schnelles Auto gibt Sicherheit (7 Liter bei 300 PS – Respekt)