"Ich ertrage diese Oberflächlichkeit nicht mehr" – Julia* Siegel, 19.01.09
Im Grunde führe ich ein prima Leben. Ich komme viel rum. So war ich letztens mit lieben Bekannten und meiner noch lieberen Freundin Sina in Lappland, nördlicher Polarkreis. Tags vor unserer Anreise hatte es minus 32 Grad (also ungefähr Deutschland-Niveau dieser Tage). Viel los ist da eigentlich nicht, aber man kann prima Snowcat fahren, ständig in der Sauna rumhängen und danach mit einem formidablen Alibi (Kälte) erhebliche Mengen sehr milden Vodkas (Finlandia) in sich hineinschütten.
Das kann auch die Erklärung für die Sprache sein, die aussieht, als hätten die Finnen täglich ganz viele Buchstaben mit ganz, ganz vielen Umlauten in der Hand, welche sie in die Luft werfen, auf den Boden fallen lassen und dann daraus jedes Mal neue Wörter wie Häälläällää Laappii und ähnlichem kreieren. Zumindest ist aus meiner Sicht das gute Abschneiden bei den Pisa-Studien erklärt, da zumindest orthographisch da jeder machen kann was er will.
Nachdem ich ja ein dufter Fernsehmanager bin (schütteln Sie etwa den Kopf?) und meine Kanzlerschaft bei dieser Konkurrenz nur noch eine Frage der Zeit sein kann, darf ich auf dem Höhepunkt meines Schaffens nach Lappland nunmehr auch behaupten, ein veritabler Hundeschlittenführer (unfallfrei) zu sein. Schade, dass die Neuverfilmungen des „Seewolf“ für mich zwei Jahre zu früh kamen.
In diesen Tagen bin ich in der einzigen Tätigkeit, für die ich bezahlt werde, wieder viel auf Reisen, um karges Brot zu erwerben. Und das geht so: Fernsehmann bucht Reise in relevante Agenturstadt, meist gekoppelt an Tage mit wichtigen, sehr wichtigen und allerwichtigsten Branchen-Abendveranstaltungen, auf denen dann wichtige und sehr wichtige, um nicht zu sagen allerwichtigste andere Manager dabei zusehen, wie höchstwichtigen Kollegen komische Preise geschenkt werden. Und anschließend bei verstärktem Maulaffenfeil halten über den jeweils nicht anwesenden oder gerade entschwundenen Kollegen zu fabulieren, warum der auch wieder seinen Job verlieren wird, den neuen nicht verdient hat oder bekommen wird und überhaupt alles schrecklich, furchtbar, desaströs und...ach grauenhaft. Wenn man doch nur mal selbst gelassen würde...
Unglück Kunde
Und überhaupt ist der Kunde schuld. Der streicht Budgets, will Deflation in der Rezession, der Sender X verschenke ja seine Media, der Verlag Y stehe kurz vorm Abgrund, die Konditionen (eben noch verschenkte Media) wären viel zu schlecht, keine Planungssicherheit, zu wenig Leute, zu viel Personalballast, die Regierung, das erste Quartal sei jetzt schon durch (hatten nicht die Kunden die Budgets noch gar nicht freigegeben?), Uri Geller gesehen (Augendreh), Dschungel wohl das letzte mal, RTL wird der Verlierer des Jahres sein, die Visibilität der Märkte, Untergang, Blutbad, Hinrichtung.
Und Barack Obama werde auch bald entzaubert.
Ende. Aus. Mickymaus.
Klein und groß
Willkommen in Deutschland. Endlich sind wir wieder unten. Können jammern. Die Reiter der Apokalypse in vollem Ornat. Hoffnung gibt es keine. Koch bleibt Ministerpräsident, das neue Tandem des Stillstands heißt wohl Merkel/Westerwelle, was nun wirklich nichts verheißt, nicht mal Böses. Gesundheitsmurks. Sat.1-Streik. Abwrackprämie.
Und was der Mann in USA da macht, kommt uns gänzlich fremd vor.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin verzaubert. Von der Kraft der Hoffnung, des Pathos, des Glaubens an das Bessere. Von der Freundlichkeit, mit der dieser Mann brutalste Wahrheiten ausspricht und uns zeigt, dass durch klare, eindeutige, ungeschmückte Sprache diese Horden von Lügenbaronen und Schwerkriminellen aus den Ämtern gekippt werden. Sowas ginge auch bei uns. Aber wir schaffen es ja nicht mal zu Schwerkriminellen.
Das Gute ist zurück!
Aber auch an die Philister der Meinungsmache, Wichtigtuer in Machtnähe, die weißen Vögel auf den Rücken der Nashörner: haltet Eure Mäuler, hört auf zu spekulieren und zu phrasieren, schafft selber etwas, geht Eurer Wege und arbeitet endlich mal, anstatt zu lamentieren und interpretieren.
Benennt Skandale als Skandale; zieht Konsequenzen, sendet Botschaften und Führung, nehmt Verantwortung wahr, fordert sie ein.
Sie fragen sich: wen meint er nur? Wenn ja, müssen Sie sich die Mühe machen, diese Frage selbst zu beantworten.
Und ich hätte gern auch noch in paar Antworten:
- Hab ich geträumt, dass die ARD die Tour de France wieder übertragen will?
- Würden Sie für 50.000 Euro (oder weniger) in den Dschungel gehen?
- Sind deutsche Politiker optisch international konkurrenzfähig?
- Hätten Sie gedacht, dass Norbert Schramm mit einer Frau verheiratet ist?
- Darf ein Auto 12 Liter (egal wann, wie und wo) verbrauchen, das in der Headline mit 6.8 wirbt?
- Wird Köln im Sommer 2009 nach Poldis Rückkehr offiziell zum Irrenhaus ernannt?
- Wann wird der Spiegel nur noch 44 Seiten Umfang haben?
- Warum wird Akte 09 live ausgestrahlt?
- Und was macht eigentlich Wolfram Winter?
Wissen Sie was? Es wird ein tolles Jahr. Müssen wir halt wieder mal etwas mehr kämpfen als sonst. Ist gut für die Figur.
Ahoi!
Kai Blasberg
Grübelt, denkt, zweifelt, spinnt, träumt und visioniert.
Aber bitte mit Mut, Zuversicht und Lautstärke.
Tanzt, tanzt, vor allem aus der Reihe.
*Sie glauben mit Giu...? Glauben Sie...
Diese Woche in Dur...
- Meine Freundin Sinaida (Nerven wie Drahtseile)
- Die Krankenhaus-Doku auf 3sat am Montag
- Klink, Liedig Werbeagentur, München (unberechtigt unbekannt)
...und in Moll
- Alles gut