Nach der Trillerpfeife kommt der Teleprompter
Der 25. Juni diesen Jahres in Berlin war ein warmer, sonniger Samstag. Wie üblich waren die Straßen- und Schnellbahnen zu voll und zu heiß, und die Straßen zwischen dem Kurfürstendamm und der Straße des 17. Juni so eruptiv und laut gefüllt, dass es Manne Dumke aus dem braunen Plüsch gehoben und seinen 1:50000-Fernsehturm von der Fensterbank gefegt haben muss. Jenseits des Yuppie-Paradeplatzes Mitte oder dem gemäßigten Ableger Prenzlauer Berg brach sich ein stämmiger, properer Zug von Lesben und Schwulen eine Schneise durch die Touristengegenden Westberlins. „Unser Europa gestalten wir!“, so die Ansage der Veranstalter, die gut 400.000 Gäste, geschminkte Gesichter, Federboas, Trillerpfeifen, Lackstiefel und Perücken auf die Straße brachten.
Am Ende des rot-grünen Projekts mit seiner vielbeschworenen Homo-Ehe sind diese Bilder zumindest im Urbanen zur Routine und für den Berliner neben dem 1. Mai oder dem Karneval der Kulturen zur Eventkultur geworden. Die Gleichstellungspolitik der Bundesregierung hat den Homosexuellen neue Rechte beschert und die politische Dimension von Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day zumindest relativiert. Zunehmend interessant wird dagegen die Kaufkraft der oft kinderlosen Schwulen und Lesben: Der Parade in Berlin mangelt es nicht an Sponsoren wie Heineken, Jägermeister oder T-Com, das zuletzt als Hauptsponsor der Love Parade ausgestiegen war. Das Schicksal der Raververanstaltung, die an ihrer ausschließlich kommerziellen Ausrichtung gescheitert ist und von Jahr zu Jahr ein größeres Image-Problem bekam, droht dem Aufmarsch der pinken Trillerpfeifen allerdings nicht.
Die Zielgruppe Rosa mit ihren Botschaftern in Film und Fernsehen wird auch abseits der schrillen Massenveranstaltungen und der boomenden Clubkultur in den Großstädten reizvoller. Cirka 40% aller Schwulen lesen laut einer TNS-Emnid-Umfrage Gay-Printpublikationen, homosexuelle Werbestars wie Holger und Max in den Iglo-Spots schlagen so die Marktforscher, „ein wie eine Bombe“. Diese Einschätzung muss jedem Fernsehmacher in den Ohren klingeln. Ein Blick auf das Programm zeigt, dass das Potential der Zielgruppe offenbar nicht abgerufen wird. Klar: Die Lindenstraße bildet die Realität des Zusammenlebens u.a. mit Carsten Flöter (Georg Uecker) ab; die lesbische Beziehung zwischen Andrea und Billi trug die Daily Soap „Marienhof“ über ein Jahr, Kathy Karrenbauer kampflesbelt im Frauenknast zwischen korrupten Wärtern und Vergewaltigern, und Andre Zalbertus und Georg Uecker stellen mit „Anders Trend“ eine homosexuelle Speerspitze ins Programm. Allerdings ist dies das bislang einzige professionelle Non-Fiction Format für Homos, neben einer Reihe von idealistischen Bürgerfernseh-Projekten wie „Lesben in Sicht“ (Offener Kanal Hamburg) oder „David“ (FAB), denen oft nach ein paar Monaten der Atem ausgeht.
Gleich ein umfassendes Vollprogramm für Lesben und Schwule zu etablieren, scheint für den deutschen Markt, obwohl er der größte in Europa ist, Utopie. Wie ein rosa Märchen erscheint die Unternehmung, die der in Köln und Berlin vielgescholtene Medienkonzern Viacom unternimmt – neben den MTV-Sendern und CBS ging er am vergangenen Donnerstag mit dem Kabelkanal „Logo“ auf Sendung. Die Ursprünge der homosexuellen Bewegung in Amerika, mithin die Gründe für den erwähnten Ansturm auf Westberlin, transportiert von einer aufwändigen Doku eröffneten das Programm des Free-TV-Experiments. Folgen sollen in der Hauptsache Filme mit dem gewünschten thematischen Einschlag – wie „Being John Malkovich“ oder „Six Degrees Of Separation“ oder Stilblüten wie „Priscilla, Queen Of the desert“.
Aber auch bei den Eigenformaten geht „Logo“ mit einiger Energie an den Start. In einem „Herzblatt“ für Homos reizt Scott Thompson die engen Spielräume der amerikanischen Homo-Ehe-Gesetzgebung aus, mit der „Graham Norton Anthology“ will Logo eine Talk-Sendung machen, die den Host „wirklich mit dem Publikum verbindet.“ Der Ansatz, unterstützt auch mit eigenproduzierten Dokus, wird dem Zielpublikum gefallen. Es soll nicht nur um Sex gehen – eine Dokumentation über schwule Surfer habe damit nichts zu tun, so der Viacom-Verantwortliche Brian Graden.
Wie groß die Identifikation einer umworbenen Zielgruppe mit dem „eigenen“ Sender ist, und ob es „Jackass“- und „The Osbournes“-Macer und MTV-Entertainment-Präsident Graden schafft, den Special-Interest-Kanal profitabel zu machen, bleibt aber offen. Es könnte entscheidend von der Qualität der Programmierung abhängen. TNS-Emnid hat zumindest für Deutschland einen Trend ausgemacht: Schwule und Lesben sehen eher öffentlich-rechtlich, Nachrichtensendungen „gerne mal mit einem knackigen Sprecher“ und Spielfilme. Der amerikanische Markt könnte aber auch davon leben, dass mit der aggressiv homophoben Rhetorik und der eher repressiven Gesetzgebung der Neocons neue Schauplätze des Befreiungskampfes entstehen.
Wie die Homos den Ravern die Straße des 17. Juni genommen haben, könnte auch in Deutschland bald ein solches TV-Experiment an den Start gehen. „GTV“ will 2006 digital das Programm aufnehmen. Einen Mix aus „jeder Menge Eigenproduktionen und international eingekauften TV-Formaten“ verspricht die Produktionsfirma Praivit Media aus Köln. Dann könnte Manni Dumbke auch von der geliebten Couch aus beobachten, was für ein Zug da durch seine Stadt lärmt.