Rolf BartoleitEinmal mehr zeichnet sich das neue Geschäftsmodell des Anrufsenders 9 Live ab. In einer Zeit, in der die Fernsehunternehmen vermehrt versuchen, sich von Werbeeinnahmen unabhängig zu machen, öffnet 9 Live "einen Markt, der bisher in Deutschland noch nicht erschlossen wurde": Die neue Sendung "betsson.tv" die den Namen eines Online-Casinos trägt, soll sich neben dem Titelsponsoring vor allem aus Werbung finanzieren. Als "das erste Spielcasino im deutschen Fernsehen" preist der Sender das Format, in dem die Zuschauer mit einem Moderator Roulette spielen, an. Die Sendung läuft täglich von 21:15 bis 21:30 Uhr und von 1:30 bis 2:00 Uhr, und wird je einmal von klassischer Werbung unterbrochen.

Doch so sehr man sich bei 9 Live bemüht, mit der Jubelmeldung von der derzeitigen Misere im Markt für Interaktions-TV abzulenken: Wirklich neu sind weder die Formatidee, noch das Finanzierungsmodell. Zwar besteht man bei 9 Live darauf, mit Casino-TV ein neues Segment zu erobern, doch das Prinzip der Werbefinanzierung bleibt das Prinzip der Werbefinanzierung - egal ob man ein Trendthema aus dem Internet ins Fernsehen verlängert oder eingekaufte Fiction-Ware zeigt. So wie zum Beispiel bei Neun TV - dem ersten Versuch des Internaktions-Senders, im klassischen Fernsehgeschäft Fuß zu fassen -, mit dem man derzeit bei einem Marktanteil von 0,4 Prozent herumdümpelt, den man allerdings beim Sender "zufriedenstellend" nennt.
 

 
Es mutet fast schon absurd an, wenn der einstige Primus der alternativen Finanzierung von Fernsehinhalten plötzlich die Schaffung von Werbeinseln als neues Prinzip feiert. Die neue Casino-Sendung nennt Geschäftsführer Ralf Bartoleit gar "ein neues, wegweisendes Angebot. Damit ist der erste Schritt gemacht, 9 Live als führenden Transaktionssender neu aufzustellen". Das Neue an der Sendung: Die Zuschauer nehmen kostenlos an dem Gewinnspiel teil. Anrufer setzen sich mit einer kostenfreien 0800-Rufnummer mit dem Moderator in Verbindung.

Mit neuen Programmen will man 9 Live, das nicht zuletzt wegen der Anfang des Jahres in Kraft getretenen Gewinnspielsatzung derzeit mit rückläufigen Zahlen zu kämpfen hat, neu aufstellen. Doch von innovativen Konzepten, so wie das Prinzip des Senders selbst es einst war, ist derzeit noch nicht allzu viel in Sicht. Eine klare Ausrichtung gibt es noch nicht, man experimentiert mit verschiedenen Inhalten. Schaut man sich das Programm von 9 Live an, denkt man unweigerlich an einen Gemischtwarenladen. Allerdings verkauft 9 Live - anders als andere TV-Anbieter - keine reinen Programmfenster-Zeiten, sondern partizipiert an den Programmen über die inhaltliche Gestaltung und die Produktion.

"Unsere Stärke liegt darin, dass wir von der Marktanalyse über die Entwicklung bis hin zur Umsetzung, Produktion und technischen Abwicklung eines neuen Formats alles senderintern realisieren können", erklärt 9 Live-Geschäftsführer Ralf Bartoleit. "Unser Ziel ist klar: Wir werden 9Live als führenden Transaktionssender neu erfinden. Call-TV ist nach wie vor in vielen Slots profitabel, aber eben nicht in allen. Daher werden wir unser Portfolio durch neue wegweisende Angebote erweitern", so Bartoleit. Dazu gehören auch die Programmpunkte Astro TV und Homeshopping.

Von wirklicher Innovation ist man da noch weit entfernt. Allerdings will man künftig das Internet stärker ins Visier nehmen, um einer Schwäche des flüchtigen Mediums Fernsehen zu begegnen: "Darüber hinaus baut 9Live die Geschäftsmodelle neu, indem wir unsere Transaktionsformate in das Internet verlängern: Wir entkoppeln den wirtschaftlichen Erfolg vom reinen Impulsgeschäft im Fernsehen und setzen auf einen langfristigen Customer-Value".

Man will die Marke und die Reichweite von 9Live mit einer nachhaltigen Wertschöpfung "verheiraten" erklärt der Senderchef. "Damit haben wir die Chance, als Entwicklungslabor Prototypen neuer Transaktionsformate für die ProSiebenSat.1 Group zu schaffen", so Bartoleits Konzept für die Zukunft. Mit dem Internet hat das Fernsehen seinen Rückkanal, und die Zeiten, in denen man mit Anrufen ohne Inhalt viel Geld verdient - sie scheinen endgültig vorbei.