Im vergangenen Sommer in Hamburg präsentierte RTL-Geschäftsführer Frank Hoffmann zum ersten Mal vor versammelter Presse seine pläne für den erfolgreichsten deutschen Privatsender, der zuletzt ins Straucheln kam. Er scheute dabei nicht vor einer Wortwahl zurück, die ihm zunächst einmal um die Ohren zu fliegen drohte. Hoffmann kündigte an, RTL „noch stärker journalistisch zu positionieren.“ Das war gefundenes Fressen für all diejenigen, die sich an die zahlreichen Verfehlungen von RTL in den Jahren zuvor erinnern. An Überheblichkeit, an Zuschauer-Verarschung, getrickste Beiträge und immer lautere Krawall-Unterhaltung inklusive „Fickfrosch“ bei „Deutschland sucht den Superstar“.



Ausgerechnet RTL steckte sich also plötzlich qualitative Ziele. Zyniker meinten, dass das in Zeiten der Fragmentierung vermutlich doch einfacher ist als sich an Reichweitenzielen messen zu lassen. Doch wer den beruflichen Werdegang von Frank Hoffmann und seine Leidenschaft für TV-Journalismus und Magazin-Fernsehen kennt, der lachte nicht laut. Seine Ankündigung war ernstgemeint und erste Erfolge mit „Das Jenke-Experiment“ und „Team Wallraff“ untermauerten das bereits. Neun Monate später macht RTL innerhalb der vergangenen Tage gleich zweimal mit investigativem TV-Journalismus Schlagzeilen. Erst Enthüllungen beim Online-Händler Zalando (an dem pikanterweise Wettbewerber ProSiebenSat.1 Anteile hält) und am Montagabend eine schockierende Undercover-Recherche bei der Fast-Food-Kette Burger King, die so viel gehaltvoller war als mancher belanglose „Markencheck“ im Ersten.

Wer „Team Wallraff - Reporter Undercover“ gesehen hat, sah ekelerregende Bilder und besorgniserregende Arbeitsbedingungen. Das ganze natürlich flott in Szene gesetzt und doch nachvollziehbar und gründlich aufbereitet. RTL lieferte Erkenntnisse, die weit tiefer und wichtiger sind als wenn der „Markencheck“ im Ersten doch tatsächlich enthüllt: Mit dem Junior Menü will McDonalds Kinder locken! Nein! Doch! Oh! Wie kurios das Jahr 2014 doch ist, wenn RTL die Öffentlich-Rechtlichen bei einer investigativen Verbraucherstory in diesem Fall sehr alt aussehen lässt. Natürlich: Manch einer mag sich all die Enthüllungen, die RTL am Montagabend über den Sender schickte, schon insgeheim gedacht haben. Doch RTL konnte es eben belegen. Noch dazu demonstrierte man Zweiflern, dass es sich nicht um einen Ausrutscher bzw. Einzelfall handele - und selbst die Anfrage an die Betroffenen und die eingeräumte Reaktionszeit wurde thematisiert.

"Team Wallraff" ist klug umgesetzt und verzichtet darauf, aus Mücken einen Elefanten zu machen. Die realen Recherchen sind schlimm genug und werden für Privatfernsehen vergleichsweise nüchtern vorgetragen, ohne alberne Spielereien. Es ist nicht die Neuerfindung des Rades, zu der man RTL beglückwünschen kann. Man könnte sagen: Es geht mehr darum, dass man sich in Köln-Deutz daran erinnert hat, wo man das Rad einst hat stehen lassen. Unter der Führung von Frank Hoffmann hat man es wieder ins Rollen gebracht - in die richtige Richtung.

Die Burger King-Enthüllungen sind relevanter TV-Journalismus von einem werbefinanzierten Sender, der in diesem Fall journalistische Maßstäbe höher schätzt als potentielle Werbegelder eines möglicherweise verschreckten Werbekunden. Dabei könnte Burger King als Lizenzgeber dankbar sein für den Hinweis auf die Missstände bei Franchisenehmer, schließlich fällt es auf eine international agierende Marke zurück. Das Risiko geht RTL ein - eine bewusste Entscheidung. Das ist ein mutiges Umfeld in dem man auch eine kritische Comedy-Show wie „Wie bitte?“ neu auflegen könnte. An eine Sendung dieser Art, die möglicherweise Werbekunden auf den Schlips treten könnte, traute sich in den vergangenen Jahren kein werbefinanzierter Sender mehr. Gleichzeitig stimmten am Montagabend auch die Quoten: 3,79 Millionen Zuschauer schalteten ein und bei den 14- bis 49-Jährigen gab es für die Reportage sogar den Tagessieg.

„Team Wallraff - Reporter undercover“ und „Das Jenke Experiment“ machen allein natürlich noch keinen Sender. Aber Fernsehjournalismus mit einem Aufwand wie bei dieser Burger King-Recherche und diesen Kosten (schließlich lässt sich so etwas kaum wiederholen und ist ggf. mit juristischen Auseinandersetzungen behaftet) kann man auch nicht rund um die Uhr programmieren. Deswegen bleibt RTL logischerweise weiterhin ein Gemischtwarenladen. Der Kölner Sender steht deshalb vorerst auch weiterhin für Krawall-Unterhaltung mit Dieter Bohlen, leider immer noch trashige Nachmittagsunterhaltung und ein leider sehr überschaubares Programmangebot bei der eigenproduzierten Fiktion. Doch auch in diesen Bereichen tut sich etwas - nur deutlich langsamer. In der Primetime setzt RTL mit „Rising Star“ immerhin bald mal auf Casting ohne Bohlen. In der Daytime probiert man neue, nicht gescriptete Unterhaltungsformate aus und bei den fiktionalen Eigenproduktionen will man erklärtermaßen vom peinlichen „Helden“-Desaster gelernt haben und neue Wege einschlagen.

Ein Tanker wie RTL ändert seinen Kurs nur langsam, doch die schon jetzt erkennbare Richtung ist richtig und ist über Köln-Deutz hinaus ein richtiges Signal für das deutsche Fernsehen. Das braucht Relevanz um sich abzuheben von immer neuen VoD-Angeboten. Durch zu exzessives Berieselungsfernsehen in Wiederholungsschleife haben sich die linearen Programmanbieter über Jahre hinweg selbst ins Abseits geschossen. Es braucht Anker im Programm, die wieder das sind, was die Amerikaner als Must-See-TV bezeichnen. Diese Relevanz kann entstehen, wenn Fernsehen einen Mehrwert liefert wie bei den Erkenntnissen durch „Team Wallraff“ oder eine Nation darüber spricht und man es gesehen haben muss, um mitzureden. „Der Weg ins Feuilleton führt manchmal durch den Dschungel“, scherzte RTL-Geschäftsführer Hoffmann vergangenen Sommer selbst. Er sprach vom Stachel den RTL nicht verlieren will. Deswegen wird es bei RTL auch weiterhin die große Unterhaltung geben über deren Relevanz und manchmal auch Qualität man streiten kann.

Wenn dazwischen aber Programmfarben wie „Team Wallraff“ oder auch „Das Jenke Experiment“ einen Platz finden, ist jedoch schon viel gewonnen. Kurs halten, Kapitän Hoffmann.