Über vier Jahre zogen ins Land, bis sich im deutschen Fernsehen wieder ein Plätzchen fand für "Big Brother". Bei Sixx hat der große Bruder nun also seine neue Heimat gefunden – doch obwohl der Frauensender kein Schwergewicht in der Fernsehlandschaft ist, versprachen die Verantwortlichen im Vorfeld, keine Sparversion des Realityshow-Klassikers an den Start bringen zu wollen. Nach der dreistündigen Einzugsshow, die am Dienstagabend live ausgestrahlt wurde, lässt sich sagen: Sixx hat Wort gehalten. Die Produzenten von Endemol Shine haben eine stimmige und moderne Show auf die Beine gestellt, die gleich am ersten Abend eine ganz eigene Tonalität entwickelte.

Dabei wurde allerdings schnell deutlich, wie viel sich seit der ersten Staffel, über die vor 15 Jahren quasi die ganze Nation diskutierte, verändert hat. Nein, mit den "Normalos" von nebenan – mit den Manuelas, Kerstins und Jürgens von einst – haben die Bewohner der nunmehr zwölften Staffel nur wenig zu tun. Sie sind in einer Welt zuhause, in der es um Likes geht und die Frage, wie man in den sozialen Netzwerken im Idealfall über Nacht zum Helden wird. So gesehen ist es dann auch kein Wunder, dass sich ein vergleichsweise großer Teil der diesjährigen Bewohner schon vor dem Einzug auf verschiedenen Wegen begegnet ist. "Irgendwie ganz viele bekannte Gesichter", stellte eine Kandidatin etwas entlarvend fest, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt gerade mal die Hälfte der Truppe beschnuppert hatte.

Zu dieser Truppe gehört etwa die Österreicherin Lusy, die mit Vorurteilen aufräumen möchte, sich aber gleich mal für einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel entschied. Sie hat den langbärtigen Wiener Hans-Christian in der Vergangenheit schon über Facebook kennengelernt und über Umwege auch von Muskelprotz Manuel Notiz genommen. Christian, vor zwei Jahren zum "Mr. Thüringen" gewählt, ist hingegen bereits mit der voluminösen Kölnerin Àsa vertraut, die wiederum über YouTube einen Freund von Jungfrau Tim zum Bekanntenkreis zählt. Man kennt sich, man schätzt sich. Nun ist die Welt ja bekanntlich kleiner als man denkt, doch die Auswahl der Kandidaten lässt erahnen, dass von den 7.500 Bewerbern vermutlich nur ein überschaubarer Kreis für die Teilnahme an der Show in Frage gekommen sein dürfte.

Es ist ein Stück weit schade, wie wenig man bei der Besetzung offensichtlich dem Zufall überlassen wollte – auch auf die Gefahr hin, manchen Fan der ersten Stunde, der auf möglichst wenig Extravaganz und Kameraerfahrung unter den Bewohnern hoffte, zu enttäuschen. So aber hat man es mit Protagonisten zu tun, die die Teilnahme an "Big Brother" allen Ernstes als "schönsten Tag in meinem Leben" feiern und in ihrer Freizeit gerne prominente Menschen treffen, wie Frisörin Isabell in ihrem Einspielfilm freimütig zugab. Darin gestand sie dann auch, dass sie auf "Dominantität" steht und sich "halt sehr gemüsemäßig und so" ernährt. Was man eben so sagt, wenn die Kamera läuft.

Und doch haben die Macher von "Big Brother" eine Wohngemeinschaft zusammengestellt, die in den kommenden Wochen und Monaten durchaus funktionieren könnte. Der gelungenen Dramaturgie der ersten Live-Show ist es jedenfalls zu verdanken, dass die Zuschauer innerhalb kürzester Zeit bereits erste Sympathien und Antipathien entwickeln konnten. Den Einzug der Kandidaten, die im Idealfall 92 Tage und Nächte für einen möglichen Gewinn von 100.000 Euro unter Dauerbeobachtung verbringen möchten, gestaltete sich überraschend abwechslungsreich. Kaum ein Einzug glich dem anderen, und die Idee, die Bewohner eigenständig Paare bilden zu lassen, erwies sich als spannender Ansatz, weil nur jene zur Wahl standen, die gerade neu hinzukamen und die Auswahl dadurch von Einzug zu Einzug geringer wurde. 

Gleich zuschlagen oder abwarten – so lautete die Devise. Und so manche Fassade bröckelte noch vor dem ersten Abspann. Als die Kölner Wuchtbrumme Àsa plötzlich im Raum stand, wurde es sogar unter psychologischen Gesichtspunkten spannend, weil keiner der bereits anwesenden Kandidaten mit ihr ein Team bilden und schon gar nicht ein Bett teilen wollte. Statt herzlicher Begrüßung gab's also verschämte Blicke und skurrile Entschuldigungen: "Für mich wär' das kein Problem, aber das wär ein bisschen eng", rechtfertigte sich Manuel, den die Redaktion zuvor noch während der Live-Show mit seinem Einzug überraschte. Am Ende durfte Àsa übrigens selbst entscheiden – und wählte ausgerechnet Manuel ("Ich nehm' den Großen!"), der sich nun schon mal auf die erste gemeinsame Nacht im kuscheligen Bettchen freuen darf. Eine schöne Pointe.

Big Brother© Sixx/Willi Weber

Kandidatin Ása mit Moderator Jochen Bendel

All das macht tatsächlich Lust auf mehr und lässt hoffen, dass sich die Verantwortlichen der Show für die kommenden drei Monate weitere Kniffe überlegt haben, mit denen sich die wilde Horde aufmischen lässt. Die besteht übrigens trotz der Paarbildung deshalb aus dreizehn Kandidaten, weil einer von ihnen die ersten Nächte zunächst alleine im kargen Strafbereich im Freien verbringen muss. Dass die Zahl der Bewohner schon in einer Woche auf ein Dutzend reduziert werden soll, dürfte ein frühes Wettrennen um die Aufmerksamkeit der Zuschauer nach sich ziehen und ganz im Interesse des Senders sein. Daraus Abend für Abend eine spannende Tageszusammenfassung zu liefern, wird die große Herausforderung der Macher sein, die hinter dem Großen Bruder stehen.

Zum über weite Strecken gelungenen Auftakt von "Big Brother" bei Sixx haben allerdings nicht nur die Team-Spielchen beigetragen, sondern auch Moderator Jochen Bendel. Der wirkte anfangs zwar reichlich aufgeregt, fand dann aber schnell hinein in die Rolle des neugierigen und schlagfertigen Gastgebers. Sein größtes Pfund ist der Spaß an dem Format. Man nimmt ihm ab, "Big Brother" zu mögen. Die Voraussetzungen für eine unterhaltsame Staffel sind also gegeben. Und wenn's dennoch völlig öde werden sollte: Zumindest ein paar Likes sollten für die Bewohner durchaus drin sein. Was will man mehr im Jahr 2015?

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