Matthias Schweighöfer hat ganz offensichtlich Feuer gefangen. Im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de vermittelt er den Eindruck, als sähe er einen gewichtigen Teil seiner beruflichen Zukunft im Seriengeschäft. Nach der Fertigstellung von sechs Folgen "You Are Wanted" arbeitet Schweighöfers Produktionsfirma Pantaleon Films bereits an mehreren neuen Serienkonzepten. Eines davon ist dem Vernehmen nach so weit, dass zwei konkurrierende Angebote von potenziellen Abnehmern vorliegen.

Man spürt bei diesem PR-Termin im Waldorf Astoria Berlin, einem der Hauptmotive von "You Are Wanted", wie es den zum Workaholic neigenden Schauspieler, Regisseur, Musiker und Produzenten innerlich fast zerreißt, weil er noch nichts über den neuen Stoff verraten darf, der ihn gerade so begeistert. Schließlich beißt er sich professionell auf die Zunge und schwärmt stattdessen ebenso enthusiastisch von seinem Seriendebüt, das ihm dank Amazon nicht nur die Tür zu 200 Ländern gleichzeitig öffnet, sondern auch zu einer inhaltlichen Abkehr vom ewig gleichen Romantic-Comedy-Kino-Blockbuster-Muster.



"Ich finde es manchmal schade, dass unsere Kinolandschaft in Deutschland diese Ernsthaftigkeit nicht zulässt", klagt Schweighöfer. Dass das Experiment "You Are Wanted" – nicht nur seine erste Serie, sondern auch sein erster Thriller als Regisseur – für ihn schon vor Veröffentlichung aufgegangen ist, daraus macht der omnipräsente Star keinen Hehl. Gelernt hat er eine deutlich effizientere Produktionsweise, als er sie vom Film gewohnt war. "Im Vergleich zu unserer Position im Kinomarkt sind wir hier die Underdogs", so Schweighöfer. "Wir hatten nicht wahnsinnig viel Geld. Und wir hatten nur 52 Drehtage. Beim Film hat man mehr Zeit als bei der Serie. Fürs Kino drehe ich in der Regel 35 Einstellungen am Tag. Für 'You Are Wanted' sind wir an manchen Tagen mit drei Units auf 90 Einstellungen gekommen."

Eine Erfahrung, die auch Alexandra Maria Lara hervorhebt. Der international gefragte Filmstar spielt in der Serie Schweighöfers Ehefrau Hanna Franke, die mit ihrem Mann in den bedrohlichen Strudel von Computerhack und Identitätsdiebstahl gezogen wird und irgendwann nicht mehr weiß, wem sie noch vertrauen kann. "Wir mussten pro Drehtag ein ziemliches Pensum schaffen – das kann bei Kinoproduktionen tatsächlich auch anders sein", so Lara im Gespräch mit DWDL.de. "Aber ich war vorbereitet: Mein Mann hatte kurz vor mir zum ersten Mal eine Miniserie für die BBC gedreht, und da habe ich als Partnerin natürlich mitbekommen, wie viele Stunden er immer am Set sein musste." Gemeint ist der im Februar angelaufene Sechsteiler "SS-GB", in dem Laras Ehemann Sam Riley die Hauptrolle spielt.

Der Regisseur Schweighöfer bekommt von seiner Schauspielkollegin ein Glanzzeugnis ausgestellt. "Matthias ist ein großartiger Schauspieler und wir sind schon lange befreundet", sagt Lara. "Aber ich habe mich vorher natürlich gefragt, wie das sein würde, wenn man von einem Kollegen plötzlich Regieanweisungen erhält. Da hat er mich dann aber wirklich sehr beeindruckt mit seinem unermüdlichen Enthusiasmus, mit seiner Art, mit Menschen umzugehen und das Team zusammenzuhalten." Sie habe sich bei der Arbeit sehr frei gefühlt. Schweighöfer, so Lara, reagiere beim Dreh auf den Moment und halte nicht zwingend an dem fest, was schwarz auf weiß geschrieben stehe. "Er folgt seinem Impuls, und das lieben Schauspieler. Manchmal gibt es eben Dinge, die sich im Drehbuch zwar gut lesen, in der Realität aber anders anfühlen."

Der Produzent Schweighöfer wiederum ist kaum ohne seinen Businesspartner Dan Maag, Vorstand der expandierenden Pantaleon Entertainment AG, denkbar. Über sieben Jahre hinweg haben die beiden aus der Popularität des Stars strategisch klug ein Kreativ-Imperium aufgebaut, aus dem zuletzt auch das eigene VoD-Portal Pantaflix hervorging. Die Produktion von "You Are Wanted" nennt Maag rückblickend eine "sportliche Herausforderung, weil wir weder dieses Genre noch diesen Kanal zuvor bespielt haben. Warner Bros. Deutschland hatte die Idee und ist damit auf uns zugekommen. Wir haben extrem viel Arbeit hineingesteckt, aber das fühlte sich zu jedem Zeitpunkt konstruktiv an, weil sich mit Amazon, Warner und uns drei Partner zusammengefunden haben, die ein gemeinsamer Herzschlag eint." Im Kino arbeitet Pantaleon seit jeher mit den Verleihern von Warner Bros. zusammen, bei der Serie sind sowohl die Hamburger Film- als auch die Kölner TV-Tochter des Time-Warner-Konzerns Koproduzenten.

Obwohl Maag meist eine Spur zurückhaltender bleibt als sein prominenter Partner, bekräftigt auch er die unternehmerische Hoffnung, die sich fortan auf weitere Serien richtet: "Es ist gut, dass es jetzt endlich auch VoD-Originals aus Deutschland gibt. Da fühlen wir uns wohl und nehmen das als Zukunftsoption neben dem Kino sehr ernst." Der Drang, es künftig auch linearen TV-Sendern recht zu machen, scheint dagegen nicht sonderlich stark. Beim Gespräch mit DWDL.de sitzt der Auftraggeber in Gestalt von Amazon-Video-Deutschland-Chef Christoph Schneider gleich daneben – und bremst wie aufs Stichwort überzogene Euphorien. "Gute Stoffe liegen nach wie vor nicht auf der Straße", betont Schneider. "Was sich aber verändert hat, ist, dass wir inzwischen aus dem deutschen Produktionsmarkt besser für uns geeignete Stoffe angeboten bekommen. Am Anfang kamen viele Produzenten zu uns mit den Projekten, die zuvor vom linearen TV abgelehnt worden waren. Mittlerweile sehen wir deutlich mehr neue, originäre Ideen, die gar nicht fürs Free-TV gepitcht werden."

Im Fall von "You Are Wanted" haben Schneider und seine US-Kollegen von Amazon Studios die übliche Rolle eingenommen, die VoD-Plattformen immer wieder gern kommunikativ unterstreichen, die nach übereinstimmenden Schilderungen der Macher freilich auch der Wahrheit entspricht. "Wir waren ein kritischer Beobachter – aber das war's auch schon", stapelt Schneider tief. "Wir wollen doch nicht, dass Matthias hinterher sagt: Die Serie ist nichts geworden, weil Amazon mir ständig reingequatscht hat. Ich erkläre das gern mit diesem Bild: Wir haben einen Sternekoch engagiert, also ist der auch fürs Menü verantwortlich. Ab und zu durfte ich zwischendurch mal probieren."

An einem Punkt allerdings wurde Schneider von sich aus aktiv: Es war seine Idee, "You Are Wanted" auf einen Schlag in allen 200 Ländern zu starten, in denen Amazon Video verfügbar ist, und nicht nur – wie ursprünglich geplant – in Deutschland und Österreich. Als im Spätherbst 2016 klar war, dass der Dienst quasi weltweit expandiert, und als Schneider die ersten Rohschnitte von Schweighöfers Werk gesehen hatte, machte er sich konzernintern dafür stark und stieß auf offene Ohren. Die dadurch veränderte Rechte-Arithmetik dürfte auch die ursprünglich geplante Finanzierungskonstellation zwischen Amazon und Koproduzent Warner Bros. verschoben haben. Wenn Amazon selbst die Serie in 200 statt in zwei Ländern auswertet, bleibt entsprechend weniger externes Weltvertriebspotenzial übrig. Und das, obwohl offenbar auch einige europäische TV-Sender Interesse signalisiert hatten. Schneider sagt dazu auf Nachfrage nur: "Das konnten wir intern gut lösen. Es ist ja klar: Wenn man mehr Rechte hat, hat man auch mehr Pflichten." 

War zunächst nur vorgesehen, die sechs Folgen für die anderen Märkte zu untertiteln, so setzte Schneider schließlich sogar Synchronfassungen in Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch durch, um der Serie möglicherweise ein breiteres Auslandspublikum zu erschließen. "Natürlich haben auch einige Kollegen am Anfang Bedenken geäußert, dass sich das in den USA wenige synchronisiert anschauen", so Schneider. "Dann sage ich: Warten wir doch einfach mal ab. Wir stellen beides zur Verfügung, der Kunde kann entscheiden." 

Inhaltlich verändert – darauf legen Schweighöfer und Maag Wert – habe sich "You Are Wanted" durch die Aussicht auf einen globalen Launch nicht. "Ganz wichtig war es unserem langjährigen Partner Warner Bros. und unseine deutsche Serie zu machen", sagt Maag. "Es ging überhaupt nicht darum, die Welt zu erobern. Was jetzt passiert, ist natürlich großartig. Aber so ein Ding muss erst einmal mit beiden Beinen auf dem lokalen Boden stehen, von dem es stammt. Wir haben nie versucht, ein zwangsinternationalisiertes Produkt zu kreieren." Ob ihnen das Vorhaben geglückt ist, können die Abonnenten von Amazon Prime Video ab 17. März feststellen.