Es ist ein Dauerthema und dennoch dringlich: Drehbuchautoren erfahren im deutschen TV-Markt nach wie vor nicht die gleiche Wertschätzung, wie sie in vielen anderen Ländern längst üblich ist. Oftmals finden sie sich im Verhältnis zu Sender, Produzent und Regisseur als schwächstes Glied der Kette wieder. Keine gute Voraussetzung für den internationalen Qualitätswettbewerb, der in aller Regel von der Vision starker Urheber getrieben wird.

Nach ihrem Erfolgserlebnis vom Januar rund um den Deutschen Fernsehpreis – nach heftiger öffentlicher Kritik hatten die Sender ihre Nominierungs- und Einladungspraxis geändert (DWDL.de berichtete) – wollen die Autoren nun möglichst kraftvoll nachlegen, um für Bewegung in der Branche zu sorgen: 92 Drehbuchautorinnen und -autoren haben den "Kontrakt '18" unterzeichnet – eine Selbstverpflichtungserklärung, die ab Anfang Juli gilt und bestimmte Vertrags- und Verhandlungsstandards für Serien und Filme sicherstellen soll.

"Es ist der richtige Zeitpunkt, mit unseren Anliegen an die Öffentlichkeit zu gehen und hoffentlich eine breitere Diskussion in der Branche anzuzetteln", sagt Annette Hess, Schöpferin von "Weissensee", "Ku'damm 56" und "Ku'damm 59", im Gespräch mit DWDL.de. "Die Kontroverse um das Nominierungs- und Einladungsverfahren des Deutschen Fernsehpreises im Januar hat ein deutliches Schlaglicht darauf geworfen, wo es mit der Wertschätzung für Autorenleistung hapert. Daran knüpfen wir jetzt selbstbewusst an."

Hess hat die Initiative "Kontrakt '18" im Februar gemeinsam mit ihren Kollegen Kristin Derfler ("Brüder", "Ellas Entscheidung"), Orkun Ertener ("KDD", "Die letzte Spur") sowie Eva und Volker A. Zahn ("Das Leben danach", "Zarah – Wilde Jahre") ins Leben gerufen. Bei einem Treffen in Köln entstand der erste Entwurf für die Erklärung. Ende Mai waren es bereits 30 Autoren, die in Berlin zusammenkamen, um ihre Forderungen zu diskutieren und schließlich den "Kontrakt '18" gemeinsam zu beschließen. Inzwischen trägt der 6-Punkte-Katalog 92 Unterschriften, darunter Namen wie Rolf Basedow, Anika Decker, Christian Jeltsch, Oliver Kienle, Arne Nolting und Jan-Martin Scharf, Dorothee Schön, Heide Schwochow, Marc Terjung, David Ungureit, Anna Winger oder die HaRiBos, Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad.

Alle Unterzeichner verpflichten sich, ab 1. Juli nur dann in Vertragsverhandlungen einzutreten, wenn ihnen fünf Optionen angeboten werden: die Verantwortung für das Buch bis zur endgültigen Drehfassung; ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Regie; eine Einladung zu den Leseproben; das Recht, die Muster und den Rohschnitt frühestmöglich sehen und kommentieren zu können; sowie die namentliche Nennung in allen Pressemitteilungen und Programmhinweisen. Hinzu kommt ein sechster Punkt, mit dem sich die Unterzeichner dazu verpflichten, Aufträge zu Drehbuch-Überarbeitungen nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kollegen verständigt haben.

Kontrakt '18© Laura Klein

Geballte Autoren-Power beim "Kontrakt '18"-Treffen im Berliner Savoy-Hotel: 1. Reihe v.l. Dorothee Schön, Clemens Murath, Thorsten Wettcke, Joahnnes Betz, Gerrit Hermans, Marc Terjung; 2. Reihe v.l. Annette Hess, Sarah Schnier, Heide Schwochow, Kristin Derfler, Esther Bernstorff, Volker A. Zahn; dahinter v.l. Thomas Wendrich, Sebastian Orlac, Richard Kropf, Bob Konrad, Oliver Kienle, Hanno Hackfort, Rolf Basedow, Susanne Schneider, Britta Stöckle, Katrin Bühlig, Christian Jeltsch, Orkun Ertener, David Ungureit, Michael Comtesse, Kai Hafemeister, Eva Zahn, Stefanie Veith

"Einige der Unterzeichner und auch ich haben diese Punkte in Verträgen schon durchsetzen können", so Annette Hess. "Aus eigener Erfahrung, insbesondere bei 'Ku'damm', weiß ich, dass es zur erzählerischen Stringenz einer Serie beitragen kann, wenn man als Erfinderin und Urheberin diese umfassende Verantwortung übernimmt." International sind die Optionen vielfach üblich – hierzulande dürften sie auf Widerstände stoßen. Nicht selten greifen Regisseure oder Redakteure ins Buch ein, ohne ihre Bearbeitung mit dem Autor abzustimmen. Längst nicht jeder Autor wird zu Leseproben oder Rohschnittabnahmen eingeladen oder gar an der Auswahl des Regisseurs beteiligt.

"Jetzt ist die Zeit reift!", findet Kristin Derfler. "Deutschland ist noch Entwicklungsland, wenn es um die Wertschätzung von Autorenleistung und um deren wertsteigernden Einsatz für viele Projekte geht. Die übertriebene Regiehörigkeit und sonstige Übergriffigkeiten in Stoffentwicklungsprozessen sind nicht mehr zeitgemäß, wenn wir qualitativ zu anderen Märkten aufschließen wollen." Die Unterzeichner seien bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und noch mehr für ihr Geld zu arbeiten. In der Tat enthält der "Kontrakt '18" keinerlei finanzielle Forderungen, wie sie etwa den Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD) in seinen Verhandlungen beschäftigen. "Wir ziehen hier ja nicht in Tarifverhandlungen", sagt Orkun Ertener. "Was wir einfordern, kostet keinen Cent extra. Im Gegenteil: Wir bieten mehr Arbeit für ein besseres Produkt an."

"Wenn sich ein Produzent bezüglich der Optionen quer stellt, lasse ich das Projekt notfalls platzen"

Kristin Derfler, Drehbuchautorin und Mitinitiatorin von "Kontrakt '18"

 

Ertener hofft nach eigenen Angaben, dass sich "die Branchenkultur zum Positiven verändert, dass wir Drehbuchautoren mehr Anerkennung erfahren und die kreative Kontrolle über unser eigenes Werk behalten. Es geht nicht darum, dass wir die Macht übernehmen wollen, sondern nur darum, einen angemessenen Ausgleich zu schaffen." In den nächsten Wochen rechnen die "Kontrakt '18"-Initiatoren mit weiteren Unterschriften. Im Dezember wollen sie bei einem großen Autorentreffen Zwischenbilanz ziehen und über weitere Schritte beraten. Für Austausch und Vernetzung sorgen unterdessen eine geschlossene Facebook-Gruppe und eine öffentliche Website.

"Autoren sind oftmals Einzelkämpfer", so Ertener. "'Kontrakt '18' steht jedoch für zunehmende Vernetzung und Solidarität." Mancher Sender oder Produzent werde natürlich auch künftig "um jeden einzelnen Punkt schachern", glaubt Annette Hess. "Da ist es an uns, hart zu bleiben. Wichtig ist doch, dass wir diese Diskussion überhaupt erst einmal konsequent führen." Von der Transparenz und dem Austausch untereinander erwartet Kristin Derfler "ganz sicher eine disziplinierende Wirkung". Sie sei fest entschlossen: "Wenn sich ein Produzent bezüglich der Optionen quer stellt, lasse ich das Projekt notfalls platzen."

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