Jetzt geht es also ran ans Herz - nur vier Monate nachdem die neue Struktur und Führung der Mediengruppe RTL Deutschland überhaupt bekannt wurde. Die Verstärkung mit Tanit Koch, ehemalige "Bild"-Chefredakteurin, erfolgte sogar erst einige Wochen später und manche designierte Führungskraft muss ihren Job in Köln-Deutz gar erst noch antreten. Aber Bernd Reichart, CEO der Mediengruppe RTL Deutschland, hält das Tempo beim Umbau des Hauses konstant hoch. Manch einer sorgt sich fast, ob es nicht vielleicht sogar etwas zu schnell geht. Die zügigen strategischen Umbauten nach dem Ausscheiden der langjährigen Chefin Anke Schäferkordt zeugen von der Auffassung, dass dringend benötigte Reformen zu lange aufgeschoben wurden. Jetzt werden die Redaktionen neu organisiert.

Mit der Verpflichtung von Tanit Koch holte die Mediengruppe RTL Deutschland nicht nur eine neue Chefin für den Nachrichtensender n-tv ins Haus. Schon bei der Personalmeldung Ende Februar wurde angekündigt: Sie werde als Chefredakteurin der ganzen Gruppe eine gemeinsame Redaktions-Einheit aufbauen, die das inhaltliche Fundament für alle journalistischen Produkte der Mediengruppe RTL bilden soll. Es gehe um "ein gut orchestriertes Zusammenspiel von TV, Digital und Social". Dabei werde sie mit n-tv-Chefredakteurin Sonja Schwetje, RTL-Chefredakteur Michael Wulf sowie sowie Jan Rudolph, dem Chefredakteur von RTL Interactive, zusammenarbeiten. Große Umwälzungen waren damit zu erwarten. Seit zwei Wochen wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mediengruppe nun ein bisschen mehr.

Zentralredaktion war gestern, in Köln-Deutz spricht man lieber vom "Inhalteherz". Das klingt weniger brutal und im wahrsten Wortsinne herzlicher. Trotzdem verbirgt sich letztlich das Gleiche dahinter: Eine gemeinsame Redaktion für alle Ausspielwege der Mediengruppe RTL Deutschland. "Wir bauen unser Inhalteherz, weil ein starkes und crossmediales Informationsangebot den klaren Unterschied macht:  Zu lokalen Wettbewerbern ebenso wie zu globalen Streaminganbietern", erklärt Christian Körner, Sprecher der Mediengruppe RTL Deutschland, gegenüber DWDL.de.

Ein solch grundlegender Umbau eines Hauses, das nach eigener Angabe 800 Journalistinnen und Journalisten beschäftigt, wäre ohnehin schon ein Mammut-Projekt. Doch Tanit Koch steht noch vor einer weiteren Herausforderung: Jahrelang war man bei der Mediengruppe RTL Deutschland besonders stolz auf die Kontinuität von Strategie und personeller Besetzung. Das führt angesichts großer Veränderungen teils zu stoischer Verteidigungshaltung der Kategorie "Wir haben das immer schon anders gemacht und es hat auch geklappt", wie aus einigen Leserbriefen an DWDL.de hervorgeht. Tanit Koch muss also nicht nur für eine Idee, sondern auch gegen Sorgen kämpfen.

Stellenabbau ist nicht geplant

Nach den ersten Gesprächen mit den Redaktionen des Hauses Mitte Mai wurde im Intranet der Mediengruppe RTL Deutschland eine Information über das Projekt für alle veröffentlicht, auch um kursierende Gerüchte und ein eskalierendes Stille-Post-Prinzip einzufangen. Viele Antworten aber gibt es auch dort noch nicht, aber auf DWDL.de-Nachfrage beteuert Christian Körner. "Ein Stellenabbau ist nicht geplant. Der Aufbau unseres gemeinsamen Inhalteherzes wird Veränderungen mit sich bringen, das liegt in der Natur der Sache, denn wir wollen ein für uns zentrales Programmgenre stärken und weiter ausbauen."

Bislang sind bei der Gestaltung des neuen Inhalteherzens bereits mehr als 200 Kollegen involviert. Schritt für Schritt sollen mehr Redaktionen eingebunden werden. Erste Ressorts, die mit der inhaltlichen Pilotphase gestartet sind, wären demnach Wetter, Life (Ratgeber-Themen) und ein neues "Turboteam", das laut Intranet-Mitteilung künftig ermöglichen soll, besondere Themen mit hoher Aktualität zu produzieren. Diesen Wunsch teilt übrigens explizit auch Jörg Graf, Geschäftsführer RTL Television. Wie auch sein Vorgänger Frank Hoffmann in seinen ersten Jahren, will auch Graf mit dem Sender flexibler auf aktuelle Nachrichtenlagen reagieren können.

Ein Beschleuniger für diesen Gedanken war der Brand von Notre Dame in Paris. Gerne wäre Graf laut Deutzer Flurfunk dort aktuell drauf gegangen. Wenige Wochen später dann gab es eine weniger akute aber aktuelle Situation, in der RTL tatsächlich zum ersten Mal seit Jahren kurzfristig das Programm für den gleichen Abend umgeschmissen hat: Der Tod von Niki Lauda. Mit einem Themenabend aus aktueller Information, Reportage und Spielfilm fuhr der Sender letztlich gut. Dass sich bei großen Nachrichtenlagen die Verfügbarkeit von Informationen in den Angeboten der Mediengruppe RTL Deutschland jedoch stark unterscheidet, manche Nachrichtenlagen in der Primetime bei RTL nicht berücksichtigt wurden oder aber das neue, ach so ambitionierte RTL.de lieber Urlaubsgrüße von Peter Kloeppel zum Topthema macht und die Kompetenz von n-tv bisher selten darüber hinaus genutzt wurde - all das speist die Idee hinter einer Zentralredaktion.

"Das Inhalteherz ist eine Wachstumsgeschichte. Wir wollen durch die Weiterentwicklung unserer Prozesse noch besser werden", erklärt Jan Wachtel, Geschäftsführer digitale Medien & journalistische Inhalte der Mediengruppe RTL Deutschland. "Wir werden durch bestmöglichen Austausch in den Redaktionen sicherstellen, dass Formate, Plattformen und Sendungen ihre journalistische Einzigartigkeit behalten. Die Expertise dafür ist da. Sie wird künftig sogar bei noch mehr Kollegen vorhanden sein, denn crossmedial bedeutet für uns, voneinander zu lernen." Wachtel und Koch kennen sich übrigens gut: Vor ihren Wechseln zur Mediengruppe RTL Deutschland waren schließlich beide bei Axel Springer: Koch als "Bild"-Chefredakteurin und Wachtel als COO der "Bild"-Gruppe.

Erstmals seit dem Managament-Wechsel im Januar greift die neue Strategie des Führungsteams um CEO Bernd Reichart jetzt mit dem Projekt "Inhalteherz" in den Arbeitsalltag einer Großzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mediengruppe ein. Kein Wunder also, dass es mehr rumort als bisher, wo die Neustrukturierungen sich zunächst nur auf Führungsebenen beschränkte. Neben der zu beantwortenden Frage wie flexibel und agil eine Zentralredaktion unterschiedliche Kanäle bespielen kann, wird bei diesem Projekt auch eine zweite Ebene interessant: Mit jeder spürbaren Strategie-Veränderung muss sich CEO Reichart jetzt auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an seiner Vorgängerin messen lassen, die auch noch viele Fans im Haus hat.

Der neue Weg ist schließlich auch ein Urteil über das Bisherige. Wie schon bei Chefredakteurin Tanit Koch gilt auch bei ihm: Er wird, beginnend mit diesem spürbaren Umbau, sowohl einerseits für die Sache und gegen Vorbehalte kämpfen müssen.