Juni 2020, „Bild am Sonntag“. Der damalige ARD-Programmdirektor Volker Herres sinniert über die Männerdominanz im Unterhaltungsbereich. Ihm falle kein weibliches Pendant zu Kai Pflaume oder generell eine Moderatorin für eine Samstagabendshow ein, allenfalls der Name Barbara Schöneberger kommt ihm noch in den Sinn. „Wir schauen intensiv, wir sind ja sehr viele in der ARD. Aber bisher hat sich niemand aufgedrängt.“ Falls man jemanden übersehen habe, dürfe man sich gerne melden.

Februar 2023, ProSieben, 20:15 Uhr. Helena Sigal kommt wie eine Boxerin im Kapuzenmantel auf die Bühne, stellt sich vor ein Plakat mit der Aufschrift „Mama, ich bin im Fernsehen“, setzt eine Freundin mit Triangel zur Studioband und wird in den kommenden zweieinhalb Stunden mit einer solchen Lässigkeit durch eine Primetime-Show führen, dass nicht nur der etatmäßige Moderator des Formats Joko Winterscheidt staunte. Als der sich von einem zwischenzeitlichen vom Rückstand frustriert aufregte, entgegnete sie herrlich kühl: „Joko, das ist kein Grund so auszurasten. Es ist nur ein Spiel.“

Eine Woche zuvor hatte Joko bereits in der Auftaktfolge der neuen Staffel von „Wer stiehlt mir die Show?“ das Finale – und damit seine Show – erstmals an eine Wildcard-Kandidatin verloren. Diese Möglichkeit war schon immer in dem Format angelegt, doch nach vier Staffeln, in denen es nie zu dieser Situation gekommen war, hatte man das eher als theoretische Möglichkeit abgespeichert und kaum noch damit gerechnet, dass es wirklich passieren könnte.

Dass Helena Sigal, die eigentlich als Schauspielerin arbeitet, derart souverän und sympathisch durch die Show führen könnte, ist neben ihrem offensichtlichen Moderationstalent zu einem guten Teil natürlich auch dem Team von Florida Entertainment dahinter zu verdanken. Es zeigt die Stärke des Formats, dass es generell auch von Leuten präsentiert werden kann, die nur eine kurze Vorbereitungszeit haben. Es zeigt auch, wie gut das Ratepanel aus Sido, Jasna Fritzi Bauer und Bill Kaulitz zusammengesetzt war, das Helena Sigal stets genügend dankbare Anspielstationen bot. Und es kommt nicht von ungefähr, dass Jakob Lundt in diesem Jahr als Head-Autor des Formats mit dem Deutschen Fernsehpreis geehrt wurde.

All das schmälert die Leistung von Helena Sigal in keiner Weise. Es gelang ihr bei ihrer Moderationspremiere in der Primetime vielmehr so zu glänzen, dass die Verantwortlichen in den Chefetagen von Sendern und Produktionsfirmen gleichermaßen ins Grübeln gekommen sein müssten. Wenn es hier quasi nebenbei gelingt, ein solches Moderationstalent zu finden - hat dann in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einfach niemand ernsthaft nach Moderationsnachwuchs gesucht und ihm eine Chance gegeben, weil der Weg, die bereits bekannten Moderatoren nach vorne zu schieben ja stets der einfacher und vermeintlich sicherere war. Nebenbei bemerkt: Johannes B. Kerner war in der Sendung eine Art "Moderationsjoker", den Helena mit einem Durchschnaufbutton rufen konnte. Besser als sie hat er seine Sache nicht gemacht. 

Bleibt zum Einen zu hoffen, dass es nicht das letzte Mal war, dass man Helena Sigal auch auf der großen Bühne zu sehen bekommen hat. Und dass weit mehr Leute ihre Lehren aus diesem Glücksgriff ziehen.