Im Feuilleton mögen Daily Soaps ja nicht den besten Ruf genießen. Branchenintern allerdings gilt die Arbeit am Seifenopernfließband gemeinhin als perfekter Ausbildungsbetrieb der Film- und Fernsehbranche. Mit wenig Personal und Material, Zeit und Geld Tag für Tag Resultate in Reihe zu liefern, ist Luisa Hardenberg aus fünf Jahren „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, wo sie bis 2016 die Skripte wechselnder Writers Rooms drehtauglich redigiert hatte, also hinlänglich vertraut.
Wer diesem Hamsterrad einigermaßen schadlos entkommt, dürfte nachhaltig gestählt sein für ein Metier, dessen Produktionsbedingungen von Jahr zu Jahr zu Jahr selbstausbeuterischer, also härter werden. Ungefähr so kompliziert also wie ihre Arbeit an der Instant-Fiction „Liebe.Jetzt!“, die sie 2020 im Lockdown geschrieben hatte. Oder, sagen wir, das Arbeitsdasein heillos erschöpfter Hebammen. Und damit dazu, was Luisa Hardenberg als Bildschirmheldin unseres angeblich postheroischen Zeitalters prädestiniert.
Im März nämlich feierte ihr kleines Meisterwerk „Push“ bei ZDFneo Premiere – eine Art Aktualisierung der BBC-Serie „Call the Midwife“, die seit 2012 den Alltag britischer Geburtshelferinnen vor 60, 70 Jahren beleuchtet. Hardenbergs Sechsteiler, den das Kind zweier Gynäkologen aus dem Nähkästchen ihres Berliner Elternhauses schreiben konnte, erzählt dagegen die Geschichte dreier Hebammen im äußerst aktuellen Sweatshop einer gewöhnlichen Säuglingsstation. Und was die Headautorin dem Cast da auf die glaubhaft erschöpften Leiber geschrieben hat – das hebt den Begriff „Milieustudie“ auf ein völlig neues, geistreich authentisches Niveau.
Denn wie ihr Drehbuch entnervte, aber unbeugsame Mütter mit gutmeinenden, leicht linkischen Vätern austariert, wie es nebenbei die Privatleben fast aller Beteiligten ins bürokratische Chaos profitorientierter Kliniken stürzt, wie es – gewollt oder zufällig – den angeblich kinderlieben Pharisäern von CSU bis AfD Blut, Schweiß und Tränen vor Schmerz brüllender Frauen vor den patriarchalen Latz aufwandsloser Abtreibungsgegnerschaft knallt: das war eines der haltungsstärksten Statements 2024, zu denen Fernsehunterhaltung in der Lage ist. In der Lage sein sollte.
Das findet zumindest eine Headautorin mit Abschluss in Film- und Fernsehproduktion an der Babelsberger Filmuniversität Konrad Wolf, deren Format bewusst dazu beitragen will, „dass ein stärkeres Bewusstsein dafür wächst, was Frauen da leisten, was sie aushalten, was sie brauchen, damit sie sich mit ihren Gefühlen rund um das Kinderkriegen nicht so allein gelassen fühlen“. Schlimmer noch: schämen. Auch deshalb konfrontiert „Push“ sein Publikum unablässig mit der schambehafteten Drastik naturalistischer Allerweltsvorgänge wie dem Gebären, die beides will: Informieren und positionieren, also wahrhaftig Partei ergreifen.
Und zwar keineswegs nur für Geschlechtsgenossinnen, etwa in der weiblichen Ghetto-Ballade „Para – Wir sind King“; auch Männer können sich Luisa Hardenbergs literarische Solidarität verdienen, sofern sie wie der verwitwete „MaPa“ Metin alleinerziehend mit Baby gegen die Mauern eines fortpflanzungsfixiert nachwuchsfeindlichen Systems laufen. Dieser Unwucht setzt Luisa Hardenberg streng parteiische Zuneigung für ihre – männlichen ebenso wie weiblichen – Objekte und Subjekte entgegen. Wenngleich, ohne sie in Watte zu packen.
Denn genau das macht „Push“ vom handelsüblichen Work-Place-Drama zur soziokulturell relevanten Gesellschaftsanalyse, die mehr will als fiktive Figuren auf plausible Lebenslagen zu verteilen. Luisa Hardenberg will unterhaltsam verstören und den Ausnahmezustand stinknormaler Vorgänge damit für alle sichtbar, spürbar, erlebbar machen. Hauptsache nicht berechenbar, stereotyp, geschweige denn klischeehaft. Dafür, sagte sie zum Serienstart, könne sie sich „gut vorstellen, noch viele weitere Geschichten für 'Push' zu erzählen“. Und das müssen ja nicht gleich so viele sein, wie in einer Daily Soap, aber mehr dürfen es gerne werden.