Seit dem Sendestart 1982 steht Channel 4 damit vor einem konzeptionell eingebauten Dilemma: Um sich über Werbung finanzieren zu können, muss der Sender ein entsprechend großes Publikum erreichen. Zugleich muss er jedoch seinen Programmauftrag erfüllen, welcher gerade nicht eine Massenattraktivität des Sendeangebots in den Mittelpunkt stellt. Eine Strategie, mit diesem Problem umzugehen, besteht in einem Ausbalancieren von anspruchsvollen und weniger anspruchsvollen Sendungen. So ist Channel 4 beispielsweise auch das britische Zuhause von „Frauentausch“ und „Super-Nanny“. Und auch „Big Brother“ lief in Großbritannien ursprünglich auf Channel 4, bis das Format 2010 auf Grund schwächelnder Einschaltquoten abgesetzt wurde.

Der Sender hat wegen seines Zwitter-Status zwischen öffentlich-rechtlichem und kommerziellem Fernsehen immer wieder Kritik auf sich gezogen – und für erregte Diskussionen in Industrie und Öffentlichkeit gesorgt. Konkurrenten beklagen, dass die Begünstigungen, die Channel 4 als öffentlich-rechtlicher Sender erfährt (so muss der Sender beispielsweise keine Gebühr für die Nutzung von Frequenzen an die britische Regierung entrichten), eine Wettbewerbsverzerrung darstellen. Von publizistischer Seite wird derweil immer wieder die Sorge laut, dass der Sender zu „populist“ wird – sein Programm also im Gegensatz zu seinem Auftrag zu stark am Massengeschmack ausrichtet.

Dessen ungeachtet bringt Channel 4 allerdings immer wieder Sendungen hervor, die von der Kritik sehr geschätzt werden. Siehe beispielsweise das für seine ungewöhnliche Produktions- und Erzählweise gefeierte Teenager-Drama „Skins“, welches gegen jede kommerzielle Vernunft alle zwei Jahre seinen Cast ausgetauscht hat. Und welches – auch das unter rein ökonomischem Gesichtspunkt unverständlich – trotz anhaltend guter Zuschauerzahlen nach sieben Staffeln beendet wird. Gerade weil sich der Sender seinem Auftrag verpflichtet fühlt, immer mal wieder etwas Neues auszuprobieren. Und dazu gehört auch, dass man sich von älteren Formaten trennt, wenn diese ihren kreativen Höhepunkt erreicht haben. Bei Channel 4 sind eben immer beide Logiken – die öffentlich-rechtliche und die kommerzielle – am Zug: Der Programmauftrag verpflichtet den Sender zu Mut und Innovation, die Werbefinanzierung zwingt ihn jedoch dazu, dabei auch den Zuschauer nicht aus dem Auge zu verlieren.

Das Faszinierende an Channel 4 ist, dass der Konflikt, welcher das öffentlich-rechtliche Fernsehen sowieso stets verfolgt: die Erfüllung eines wie auch immer qualifizierten Anspruchs, ohne dabei in die quantitative Bedeutungslosigkeit abzurutschen, durch das paradox scheinende Konstruktionsprinzip des Senders offen nach außen getragen und in eine – zumindest gemessen an den bisherigen Resultaten – kreative Spannung umgesetzt wird.

Dabei verdankt sich der institutionelle Aufbau von Channel 4 gar nicht einmal so sehr der planungsvollen Absicht, einen System-Hybriden zu erschaffen, sondern vor allem einem zwei Jahrzehnte andauernden politischen Streit darüber, wie der vierte Kanal im terrestrischen Spektrum zu belegen sei. Während die linksgerichtete Labour Party ihn der BBC zuschlagen wollte, neigten die konservativen Tories eher dazu, ITV einen zweiten Kanal zu geben. Auf Grund einer schnellen Folge von Regierungswechseln in den 60er und 70er Jahren hatte jedoch keine der beiden Seiten genug Zeit, ihre jeweiligen Pläne auch umzusetzen. Und so kam 1982 schließlich als eine Art Kompromiss Channel 4 heraus.

Ungeachtet der Frage, ob ein Konstrukt wie Channel 4 nachahmenswert wäre oder nicht, zeigt das Beispiel aus Großbritannien auf jeden Fall, dass Werbefreiheit keineswegs ein unverzichtbar notwendiges Kriterium ist, um ein profilstarkes öffentlich-rechtliches Programm auf den Weg zu bringen.