Weltweit ändert sich in den so genannten postindustriellen Gesellschaften das Verhalten der Fernsehzuschauer. Die zeitliche Flexibilität, welche die heutige Arbeitswelt den Beschäftigten abverlangt, und die beispiellose Vielfalt an Freizeitangeboten, welche um das Zeit- und Finanzbudget der Konsumenten buhlen, haben ihren Niederschlag in veränderten medialen Rezeptionsformen gefunden. Das lässt sich gerade in Großbritannien sehr gut beobachten.

Der Zuschauer will nicht länger an die Vorgaben der Programmplaner gebunden werden, denen er oftmals auch durch die Anforderungen von Beruf und Familie überhaupt nicht nachkommen könnte, selbst wenn er wollte. In Großbritannien steht deshalb inzwischen in gut der Hälfte aller TV-Haushalte ein Festplattenrekorder (Personal Video Recorder – PVR). Stand Oktober 2011 fand die Gesamtfernsehnutzung bereits zu zehn Prozent zeitversetzt statt. Tendenz weiter steigend. Dabei werden, wie auch zu erwarten, vor allem die Genres Drama (32 Prozent) und Soap (16 Prozent) im Time-Shifting genutzt, während Sport (1 Prozent) in dieser Kategorie naturgemäß das Schlusslicht bildet.

Für die erfolgreiche Science-Fiction-Serie „Doctor Who“ hat die englische Zeitung The Guardian einmal folgende Beispielrechnung aufgemacht: Der Staffelauftakt „The Impossible Astronaut“ wurde im vergangenen Jahr von 4,8 Millionen Zuschauern live, das heißt genau zum Zeitpunkt der Ausstrahlung auf BBC One gesehen. 4,1 Millionen Zuschauer sahen die Folge – entweder noch am gleichen Tag oder im Laufe der folgenden Woche – zeitversetzt. Davon allein 2,7 Millionen auf den Festplattenrekordern von Sky.

Wie schon bei der Digitalisierung des Sendesignals war BSkyB auch bei der Verbreitung der digitalen Speichertechnik Vorreiter: Bereits 2001 hatte der Satellitensender damit begonnen, unter dem Label Sky+ Festplattenrekorder an seine Abonnenten zu vertreiben. 2009 waren dadurch schon fast sechs Millionen Geräte im Umlauf. Als Pay-TV-Anbieter, der nicht primär auf Werbeeinnahmen angewiesen ist, konnte es sich Sky natürlich auch leisten, einer Technologie zum Durchbruch zu verhelfen, die neben vielen anderen Vorzügen auch das bequeme Überspringen von Werbung ermöglicht.

Für die werbefinanzierten Sender dagegen stellt das zeitversetzte Fernsehen natürlich ein Problem dar. Für welches sie allerdings ein faszinierendes Lösungskonzept entwickelt haben: Den +1-Kanal. Mit der Umstellung von der analogen zur digitalen Verbreitung und dem damit einhergehenden größeren Platzangebot im terrestrischen Frequenzspektrum haben zahlreiche Sender damit begonnen, ihr Programm auf einem zweiten Kanal um meist eine Stunde nach hinten versetzt auszustrahlen. Mehr als 40 (!) solcher Kanäle gibt es bereits, darunter ITV1+1, E4+1 und FX+ (einer der wenigen Kanäle mit zwei Stunden Verzögerung).

Man sollte meinen, dass ein derartiges Angebot im Zeitalter von PVR und Internet eigentlich redundant sei. Tatsächlich scheint sich für die kommerziellen Sender das Unterfangen aber sehr wohl zu lohnen, immerhin geben sie damit dem Publikum eine zweite Chance nicht nur das Programm, sondern auch die Werbung zu sehen. Knapp die Hälfte des zeitversetzten Fernsehens mittels PVR findet noch am gleichen Tag statt. Warum also nicht ein Angebot kreieren, welches auf genau dieses Bedürfnis abzielt – und damit zugleich dabei hilft, die sinkenden Zuschauerzahlen abzufedern? Channel4+1 kam bereits ein Jahr nach dem Start auf einen Marktanteil von 0,7 Prozent und trug damit immerhin knapp 10 Prozent zum Gesamtmarktanteil von Channel 4 bei.

Mehr als nur eine zeitliche Flexibilisierung bieten derweil die Catch-up-Angebote der Sender im Internet. Auch im Hinblick auf die Endgeräte erhält der Zuschauer damit die Wahl, ob er Fernsehinhalte lieber auf dem PC, Tablet oder Smartphone schauen will. Seit 2006 bietet Sky mit Sky Go (ursprünglich: Sky Player) seinen Abonnenten die Möglichkeit, verpasste Sendungen online nachzuholen. 2007 ging nach einer längeren Testphase der BBC iPlayer online, 2008 folgte der ITV Player. Vor allem der iPlayer der BBC ist mittlerweile für die Briten zum Inbegriff einer Sender-Mediathek geworden. Schon der Start übertraf in puncto Abrufzahlen alle Erwartungen. Im vergangenen Jahr verzeichnete der iPlayer insgesamt 1,94 Milliarden (!) Einzelabrufe in seinem Radio- und TV-Angebot. Knapp 10 Prozent des gesamten Web Traffics in Großbritannien gehen heute auf den iPlayer zurück.