Das Leben von Caroline Kusser in der Glitzerwelt von Los Angeles hat mit einem Irrtum begonnen. „Die Idee war, dass ich ein bis zwei Jahre hierher gehe und dann zurück nach München komme“, erinnert sich Kusser heute. „Aber das ist nie passiert.“

2010 war die heute 49-Jährige für Red Arrow in die Vereinigten Staaten gekommen, weil das Produktionsnetzwerk von Pro Sieben/Sat. 1 dort das US-Geschäft aufbauen wollte. Red Arrow International hat inzwischen einige Häutungen erlebt und zuletzt den US-Teil des Produktionsgeschäfts verkauft und auch Kussers Karriere ist einige Stationen weiter. Im Oktober 2022 kam die Nachricht, dass sie als Executive Vice President zu den mit Constantin verflochtenen Upgrade Productions wechselt.

Dort sucht sie jetzt weltweit nach Serien, die sich mit internationalem Auge produzieren und vertreiben lassen. „Es geht darum, Kreativität zu bündeln und mit dem Partner im Ausland zu schauen, wie wir am besten die Produktion gemeinsam auf die Beine stellen.“, erklärt sie. Rund zwei Dutzend Projekte sind laut Unternehmensangaben in der Pipeline, von australischen Comedians, über spanische Fantasy bis hin zu Mystery aus Japan – einzig in Amerika produziere man nicht, sagt Kusser. Wer sich die Vorhaben anschaut, kommt schnell auf den Gedanken: „Eigentlich müssten die doch nicht in Los Angeles sitzen!“ Kusser widerspricht.

„Es geht darum, Kreativität zu sammeln und mit dem Partner im Ausland zu schauen, wie wir am besten die Produktion auf die Beine stellen“, sagt sie. „Dadurch, dass wir in LA sitzen, haben wir die besten und kürzesten Wege, um Türen zu öffnen – sei es zu den großen Streamern oder beispielsweise zu Premium Pay wie HBO.“

Ein Grund für die L.A-Liebe: besseres Licht

Aus der Ein-Jahres-Idee wurden inzwischen 13 Jahre in den Vereinigten Staaten. Da ist auch die persönliche Liste mit Gründen für die Liebe zur Wahlheimat lang. „Ich finde an L.A. toll, dass es immer einen positiven Impuls gibt, wenn man Ideen hat, die man verwirklichen will. Es gibt kein  Judgement“, sagt sie. „Diese Unterstützung kann manchmal oberflächlich sein, das lernt man mit der Zeit, aber man hat hier einfach einen Push an Energie im Alltag, eine „Yes, we can!“-Mentalität“, beginnt sie aufzuzählen.

Caroline Kusser © Anna McMaster
„In Deutschland herrscht generell etwas mehr Pessimismus, das hat sehr mit der Mentalität zu tun“, findet sie und kommt dann schnell auf dieses spezielle Gefühl für das Wetter zu sprechen – und den Himmel, das für manch einen von außen im grauen deutschen Winter vielleicht komisch klingt, das aber auch all jene verstehen, die selbst mal in den Staaten waren: „Das Licht hier ist einfach ein Traum. Auch an einem kalten oder regnerischen Tag ist hier immer Licht.“

Ihren eigenen Job hätte es vor zehn Jahren in dieser Form nicht gegeben, glaubt Kusser. „In den letzten vier bis fünf Jahren haben sich besonders der US- und der globale Markt massiv geändert, was nicht-englischsprachigen Content angeht. Für uns ist das ein großer Vorteil und deshalb war es für Upgrade der richtige Zeitpunkt, die Firma zu launchen“, sagt sie über das Ende 2021 vom Disney+- und Netflix-Manager Matt Brodlie und Sierra/Affinity-Ghef Jonathan Kier gestartete Unternehmen.

„Wenn du mir zum Beispiel vor fünf Jahren gesagt hättest, dass HBO USA eine zu 100 Prozent italienischsprachige Serie wie „My Brilliant Friend” programmiert, hätte ich gesagt: Niemals!” Dann sei auch wegen der starken Buchvorlage der Erfolg groß gewesen. Die Deutsche in Hollywood findet aber auch, dass es aus ihrem Heimatmarkt immer mehr solche Leuchtturm-Beispiele gibt.

Auch die Constantin-Produktion „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sei ein Beispiel für die neuen Möglichkeiten der vergangenen Jahre. „Das konnte im aktuellen Markt zu einem globalen Erfolg werden, nicht zuletzt dank Amazon, das die Show für zahlreiche Territorien lizensiert hat, unter anderem in den USA und allen englischsprachigen Territorien“, sagt Kusser. „Man hatte von Anfang an eine halb geöffnete Tür durch den Film vor 20 Jahren und dann kam diese moderne Adaption, mit einem Klasse-Soundtrack und dem frischen Look. Alles zusammen hat mit den Marktbedingungen dazu geführt, dass es zu einem Erfolg werden konnte.“ Und wie ist das nun in ihrem Arbeitsalltag mit dem Bild der Deutschen – stimmt die heimische Beobachtung, dass heimische Stoffe weltweit im Kommen sind?

„Die Wahrnehmung deutscher Produktionen hat sich auf jeden Fall verändert, sehr stark zum Beispiel seit „Deutschland 83“. „Bahnhof Zoo“ hat Wellen geschlagen und „Babylon Berlin“ wird immer wieder zitiert“, findet Kusser. Aber auch mehr und mehr deutsche Persönlichkeiten würden Fuß fassen, sagt sie und nennt Edward Berger als Beispiel, der außer bei „D83“ auch Regie bei Stoffen wie „Patrick Melrose“ oder dem Oscar-Beitrag „Im Westen nichts Neues“ führte.

Los Angeles hat aber als Stadt immer schon neue Inspiration aus dem Ausland umarmt, stimmt Kusser zu: „Das ist hier einfach ein Melting Pot und es gibt kaum jemanden hier, der hier geboren und aufgewachsen ist.“ – auch bei ihr sei das so. „Ich werde in der Wahrnehmung der Menschen hier immer die Europäerin bleiben.“ Ein großes Problem ist dieses Label „European who lives in L.A.“ nicht. „Das will ich mir gerne beibehalten, ich fühle mich damit wohl.“

Zuhause in einer Stadt voll TV-Verrückter

Und dann ist da dieses „Mittendrin“-Gefühl für die TV-und Film-Industrie. „Jeden Tag spürst du aufs Neue: Das hier ist die Zentrale für Film und Fernsehen. Auch wenn du Leute triffst, die nichts mit der Branche zu tun haben, weißt du einfach sicher, dass sie am Sonntag die letzte “White Lotus“-Folge geschaut haben.“

Caroline Kusser © Anna McMaster
Und in diesem Umfeld hat Kusser sich inzwischen einen Namen erarbeitet. Nach dem US-Start bei Red Arrow International folgten Stationen bei Fremantle und Mediawan & Leonine. Wenn sie den Job wechselt, sorgt das auch bei den großen US-Branchenseiten wie dem Hollywood Reporter oder Deadline für Schlagzeilen. Zitiert werden darin dann Kollegen, die loben, wie „exzellent vernetzt“ sie sei und welchen „exzellenten Erfahrungsschatz“ sie mitbringt. Ein großer Erfolg für eine Deutsche. Ist sie stolz darauf, es so weit gebracht zu haben?

„Stolz als Wort dafür ist mir zu übertrieben. Aber ich bin froh“, sagt sie. „Los Angeles ist ja am Ende keine einfache Stadt. Hier Fuß gefasst zu haben und mir ein Netzwerk aufgebaut zu haben, war Arbeit. Geholfen hat mir meine Offenheit für alles, auch meine Neugier auf neue und verschiedene Kulturen. Ich bin halb deutsch, halb türkisch, war in München in einem französischen Kindergarten und habe zwei Jahre in Paris gelebt. Das waren gute Ausgangsvoraussetzungen und es passt zu L. A.“

Angekommen auf dem Sunset Boulevard

Komplett nach Deutschland zurückzukehren kann sie sich inzwischen nicht mehr vorstellen. Stattdessen ist sie sehr zufrieden mit einem Leben, das Reisen zwischen Australien, Lateinamerika und Europa ermöglicht und eben nicht nur auf die USA schaut. „Ich bin auch froh darüber, immer noch die Anbindung an Europa zu haben“, sagt sie. „Immer wieder die Heimat besuchen zu können, das ist mir wichtig.“ Als aufreibend und unverbunden zwischen den Welten empfindet die Kusser ihr Leben nicht. Und auch die Überraschung, es in der Glitzerstadt ein gutes Stück weit geschafft zu haben, ist nicht mehr so groß wie zu Beginn.

„Die Momente hatte ich früher manchmal, wenn ich allein über den Sunset Boulevard gefahren bin. Da habe ich gedacht, dass ich wirklich einen meiner Träume verwirklicht habe“, erinnert sie sich. „Ich dachte: Du bist jetzt hier und das ist kein Drei-Tage-Business-Trip und du sitzt nicht in einem Uber. Sondern du sitzt in deinem eigenen Auto und fährst über den Sunset Boulevard!“

Und der kleine Irrtum zu Beginn ihres US-Abenteuers, von einer kurzen Station im Lebenslauf auszugehen? Der hat sich in ein neues Lebensgefühl verwandelt. Kusser sagt: „Meine Heimatstadt ist München, aber mein Zuhause ist Los Angeles.“