Am Anfang von Jacob Freys Karriere steht ein Geschenk: „The Present“ heißt der gerade einmal gut drei Minuten lange Animations-Kurzfilm, den er als Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg erstellt hat. Darin erzählt Frey die Geschichte eines Jungen, der von seiner Mutter einen Hund nach Hause mitgebracht bekommt, dem ein Bein fehlt. Die 2014 erschienene Animation hat einen rührenden Twist und es ist leicht, der feinen Aussage des Films nachzufühlen – und trotzdem ist der Erfolg von „The Present“ außergewöhnlich. Rund 60 Millionen Views bei Facebook, etwa 30 Millionen bei Vimeo und YouTube. Die IMDB weist 23 Preise aus, die Vimeo-Beschreibung listet sogar knapp 60 Auszeichnungen auf. Fest steht: Es sind viele Dutzend.

Mehr als anderthalb Jahre hat Frey an den drei Minuten gearbeitet, die ihm viele Türen geöffnet haben. Heute arbeitet er als einer von sehr wenigen Deutschen beim Animationsgiganten Disney in Los Angeles. „Wir waren ein sehr kleines Team damals. Mein Ziel mit dem Abschlussfilm war es, etwas mit sehr hoher Qualität zu machen, wie eben bei Disney oder Pixar“, erinnert er sich. Die Umsetzung war dann nicht immer einfach. „Am Anfang habe ich gedacht: Das könnte cool werden, aber je länger man daran arbeitet, desto mehr zweifelt man auch“, räumt er ein „Ich versuche, mich in diesen Momenten daran zu erinnern, wie es war, das erste Mal an dem Film zu sitzen und zu denken, dass diese eine Idee es wert ist, viel Zeit hineinzustecken“, sagt er. 

Jacob Frey © privat
„The Present“ hat aber nicht nur eine riesige Breitenwirkung erzielt. „Es gab viele Menschen, die mir berührende Nachrichten geschrieben haben. Die hatten durch einen Unfall einen Arm oder ein Bein verloren. Da war ich sehr gerührt, dass ich mit dem Film anderen Leuten Mut geben konnte“, sagt Frey im Interview. Im Gespräch mit dem heute 38-Jährigen über seinen Werdegang und sein aktuelles Leben in den Staaten soll es nicht die einzige Antwort bleiben, die gleichzeitig angenehm zurückhaltend und offen ausfällt. Zu Beginn aber erklärt Frey seine derzeitige Aufgabe beim größten Unterhaltungskonzern der Welt.

„Normalerweise bin ich Animator, aktuell schaue ich mir als „Head of Workflow Characters“ bei Disney die Abläufe im Studio an und überlege mit anderen Animation Artists, wie unsere Arbeit in den nächsten fünf Jahren optimiert werden könnte“, sagt er. „Welche Software wollen wir nutzen, welche Arbeitsschritte können wir verbessern?“ Nach dieser Aufgabe wird er in wenigen Monaten wieder „Character Animator“ sein. „Da bin ich zuständig für das Acting der Figuren, die man im Film sieht.“

Hunderte Menschen arbeiten an den großen Flaggschiffen des Konzerns. Neben Kollegen, die die Charaktere grundsätzlich gestalten und einer „Rigging“-Abteilung, die deren virtuellen Knochenbau anlegt, gehört er zu einem Team, das nur für die Bewegung zuständig ist. „Zusammen mit den Regisseuren diskutieren wir, was in diesem Shot geschehen soll und wie sich die Charaktere fühlen. Daraufhin mache ich einen ersten Entwurf. In der Animationssoftware pose ich die Charaktere und versuche, eine grobe Animation herzustellen, die man als Blocking bezeichnet.“ Der Regie wird dann die frühe Version dieser animierten Bewegung gezeigt, bevor es ans Überarbeiten geht. Zurückgreifen können Frey und die anderen Animatoren an dieser Stelle bereits auf den zuvor aufgenommenen Sound der Sprecher. „Den Ton haben wir in der Animationssoftware. Wir benötigen ihn, damit wir die Dialoge der Charaktere passend animieren können und sich die Lippen im richtigen Moment öffnen.“

 

"Viele an meiner alten Schule hätten nicht gedacht, dass ich es am Ende bis an die USA schaffe"

 

Die Liste der Figuren, die Frey auf diese Art mitgestaltet hat, ist lang und liest sich wie ein Who is Who vieler Kinderzimmer-Lieblinge: Elsa und Anna in „Eiskönigin 2“, „Moana“, „Encanto“, „Raya“ in „Raya und der letzte Drache“ und Ralph in „Ralph reichte 2: Chaos im Netz“ zählen dazu. Und obwohl Frey viel vor dem Rechner sitzt, hält er die Arbeit nicht für einsam. „An einem Film arbeiten Hunderte Menschen, die Arbeit ist sehr stark in einzelne Arbeitsabläufe aufgeteilt und es ist unheimlich wichtig, dass man im Team arbeiten kann - ich habe mich eben konkret auf Animation spezialisiert“, sagt er. Großgeworden im nordrhein-westfälischen Hilden war dieser Weg für ihn bei weitem nicht vorgezeichnet.

„Ich hatte eine total katastrophale Schulzeit“, räumt Frey ein. „Zuerst hatte ich auf dem Gymnasium viele Vieren und Fünfen, bin dann von der Schule geflogen und habe die Schule gewechselt, hin zu einer, die mehr künstlerisch orientiert war“, sagt er. „Meine Eltern haben mich immer unterstützt, aber ich denke mir manchmal, dass ich damals schwierig war und ich hatte mich selbst auf dem Gymnasium auch als hoffnungsloser Fall gesehen“, sagt er. „Viele an meiner alten Schule hätten nicht gedacht, dass ich es am Ende bis an die USA schaffe. Erst auf der neuen Schule hatte ich das Gefühl, ich habe einen Neubeginn.“

Und dann war da dieser Clownfisch. Während er zunächst an einer Karriere im Grafik-Design interessiert gewesen sei, habe er auf Animation umgeschwenkt, nachdem er „Findet Nemo“ gesehen hatte, steht auf seiner Webseite. „Zu dieser Zeit war es schwierig, online viel über Animation zu lernen. Es gab noch nicht viele Ressourcen bei Youtube“, erinnert er sich. „Ich wurde aber inspiriert, dem zu folgen, weil ich Pixar-Filme so toll fand. Dann wollte ich verstehen, wie man das machen kann: Wie funktioniert Animation? Ist das ein Beruf?“

Der junge Frey beginnt mit der Recherche, findet einige Adressen in Deutschland und merkt, dass die Akademie in Ludwigsburg einen höheren Abschluss verlangt, als er auf seiner neuen Schule erzielen wird. Erst nach zwei weiteren Jahren Berufskolleg bewirbt er sich im Alter von 23 Jahren mit Vollabitur in der Tasche bei der Filmakademie.

Die Bewerbung bei Disney führt zu – Stille

Mit einer Animations-Arbeit über seine eigenen Eltern gelingt der Versuch und Frey beginnt sein Studium an der weltweit renommierten Filmhochschule, die sowohl im Real- als auch im Animationsbereich schon Oscar-Preisträger und -Nominierte hervorgebracht hat. Früh hat er die Idee zu „The Present“, Woche für Woche arbeitet er an neuen Bildern und Sequenzen, immer wieder kommentiert von den Kommilitonen. Am Ende steht der Erfolg und es gibt im Internet sogar Artikel, die davon schreiben, dass ihm die vielen Auszeichnungen direkt einen Job bei Disney verschafft haben.

Jacob Frey © privat
„Dass ich nur deswegen den Job bekommen habe stimmt so nicht“, sagt Frey aber dazu. Beworben habe er sich bei Disney auf Traineeprogramm, bei dem die Neuen zwölf Monate lang mit einem Mentor zusammengebracht werden, durch eine Trainingsphase gehen und schließlich an einem Film arbeiten. Schon dabei interessierte er sich für eine Spezialisierung in Animation. „Sie haben mein Reel gesehen, da ging es sehr direkt um die Animation und meine Bandbreite an Projekten; nicht darum, dass ich einen Film gemacht habe, der Preise gewonnen hat.“ Frey bewirbt sich – und hört erst einmal nichts.

Er heuert bei Illumination Mac Guff in Paris an, dem Studio hinter „Ich – Einfach unverbesserlich“, den „Minions“ und „Pets“. Noch während er sich in Paris einlebt, kommt der Anruf von Disney. Ob er nicht vielleicht doch in das Trainee-Programm wolle? Frey will und kommt nach drei Monaten direkt zum Projekt „Zoomania“ – „Besser hätte es nicht laufen können“, sagt er heute.

Der Umzug in die Vereinigten Staaten war für Frey dann ein logischer Schritt. „Dass ich nach Los Angeles gehe, war für meine Mutter härter als für mich. Aus ihrer Sicht ist die Stadt voller Banden und Gangs“, sagt er lächelnd. „Ich habe auch nie gesagt, dass ich auswandere. Für mich war der Gedanke: „Ich gehe nur ein Jahr und dann komme ich zurück.“ Noch heute denke ich manchmal, ich fahre wieder zurück, aber jetzt bin ich schon seit neun Jahren hier und frage mich: „Bin ich jetzt mehr Amerikaner als Deutscher?“

Komplett leicht sei ihm die Umstellung nicht gefallen, das für viele Deutsche typische Fremdeln mit der amerikanischen Smalltalk-Kultur inklusive. „Ich habe relativ lange gebraucht, um mich in den USA zuhause zu fühlen. Ich musste lernen, wirklich Smalltalk führen zu können, auch beispielsweise das Plaudern im Job, wenn man gemeinsam auf eine andere Person wartet. Da war ich am Anfang ein wenig awkward, habe keine Gegenfragen gestellt“, erinnert er sich. Inzwischen genieße er es auch bei den Deutschlandbesuchen manchmal, die Frau an der Supermarktkasse nach ihrem Tag zu fragen.

„Mich stört es auch, dass ich so weit von meinen Eltern weg bin“, räumt er ein. „Ich merke auch daheim, dass sich Dinge ändern und dass sich die Stadt ändert, der ich mich verbunden fühle.“ Aus dieser Wehmut entstand eine neue Arbeit. Im hauseigenen Pitch-Programm „Short Circuit“ hat er als Regisseur den bei Disney+ erschienenen Kurzfilm „Going Home“ verantwortet.

 

Wirklich zögerlich wird Frey nur ein einziges Mal im Gespräch, als es um den professionellen Standort Deutschland geht. Wie kann es sein, dass einerseits im Real-Fiction-Bereich Serien wie „Babylon Berlin“, „Deutschland 83“ und zuletzt auch „Kleo“ viel Aufmerksamkeit finden, während gleichzeitig Deutschlands Animationsausbildung einen weltweit exzellenten und preisgekrönten Ruf genießt – aber dann andererseits die daran anschließende Animations-Produktionslandschaft kaum gesehen wird? Ausführlich kommentieren wolle er diese Frage aus dem fernen Los Angeles nicht.

„Ich kann nur für mich sprechen und sagen, dass ich bei allen Projekten mein Bestes gebe“, sagt er über seine bisherige Karriere „Nach einigen Jahren denke ich dann schon auch, dass ich es hätte besser machen können – aber ich kann auf jedes Projekt zurückblicken und sagen: Zu dem Zeitpunkt war das das Beste, was ich konnte“, erklärt er – und fügt nach kurzem Innehalten an: „Und ohne den Support meiner Eltern hätte ich das alles auch nie geschafft.“