Die ganze Welt spricht derzeit über "Game of Thrones", nachdem die vorletzte Staffel gerade zu Ende gegangen ist - nur bei der in rund zwei Wochen anstehenden Verleihung der Primetime Emmys wird die in den letzten Jahren wohl meistdiskutierte Serie diesmal keine Rolle spielen. Nicht etwa, weil sie den Academy-Mitgliedern, die über den bedeutendsten Fernsehpreis bestimmen, nicht mehr auszeichnungswürdig erschien, sondern schlicht aus formalen Gründen: Der maßgebliche Zeitraum für die Emmys orientiert sich an der klassischen US-Season - sprich: Nominiert werden kann alles, was bis zwischen dem 1. Juni des Vorjahres und 31. Mai des gleichen Jahres gelaufen ist. Aus produktionellen Gründen ging "Game of Thrones" diesmal aber erst im Juli an den Start und kann somit erst im kommenden Jahr berücksichtigt werden.

Das macht das Emmy-Rennen im Bereich der Drama-Serien aber in diesem Jahr um so spannender, weil der ansonsten gesetzte Top-Favorit gar nicht dabei ist. Und mehr noch: Auch in den Kategorien Beste Hauptdarstellerin und Bester Hauptdarsteller stehen die Vorjahressieger diesmal gar nicht mehr zur Wahl. Die Überraschungs-Siegerin des Vorjahres Tatiana Maslany hat das gleiche Problem wie "Game of Thrones": Die finale fünfte Staffel startete erst im Juli. Und die zweite Staffel von "Mr. Robot" gefiel den Emmy-Mitgliedern deutlich schlechter als die erste, sodass weder die Serie selbst, noch Hauptdarsteller und Vorjahressieger Rami Malek erneut nominiert wurden.

In diesem Jahr finden sich nun stattdessen erstaunlich viele neue Serien unter den Nominierten in der "Königskategorie". Von den altbekannten blieben nur "Better Call Saul" und "House of Cards" übrig, die beide seit ihrer jeweils ersten Staffel im Jahr 2015 bzw. 2013 durchgehend jedes Jahr zum Nominiertenkreis zählten, sich aber nie durchsetzen konnten. Doch "House of Cards" hat seinen kreativen Zenit wohl eher bereits überschritten, "Better Call Saul" überzeugt mehr mit einem herausragenden Hauptdarsteller als mit der ganzen Serie - in der Favoriten-Rolle sind daher in dieser Kategorie eher die Neulinge.

Und hier scheint das Rennen tatsächlich noch ziemlich offen. Da wäre zum Beispiel "This is us" zu nennen - die erste Network-Serie seit "The Good Wife", die es überhaupt mal wieder zu einer Nominierung brachte. Die Serie schaffte es wie kaum eine andere, ihre Zuschauer emotional zu packen und zu Tränen zu rühren. Und schon allein die Tatsache, dass durch ihre hohe Reichweite die Wahrscheinlichkeit, dass die Academy-Mitglieder sie auch tatsächlich gesehen haben, recht hoch ist, macht sie zu einem Mit-Favoriten. Gefesselt hat viele auch die Reminiszenz an den 80er-Jahre-Grusel in "Stranger Things", insbesondere auch wegen der herausragenden Schauspiel-Leistung des jungen Casts. Letztlich wäre die Auszeichnung für eine Horror-Serie aber trotzdem eine Überraschung - andererseits hatte man das auch bei einer Fantasy-Serie gesagt, bis "Game of Thrones" kam.

Höhere Chancen werden trotzdem einer anderen Netflix-Serie eingeräumt: "The Crown". Das auf mehrere Staffeln angelegte epische Werk über das Leben von Queen Elizabeth II sicherte sich Anfang des Jahres schon einen Golden Globe Award, ging aber in der britischen Heimat bei den BAFTA Awards überraschend völlig leer aus. Ins Beuteschema der Academy passt die Produktion aber gut, auch wenn sie sehr britisch ist. Schon allein durch die schiere Anzahl an Nominierungen zum Mitfavoriten schwingt sich ein anderes HBO-Epos auf: Insgesamt 22 Preise könnte "Westworld" mit nach Hause nehmen, darunter eben auch jenen in der Königskategorie. Alles andere als Außenseiterchancen hat aber auch "Handmaid's Tale". Die Hulu-Serie ist längst nicht nur eine Nacherzählung eines 30 Jahre alten Romans, sondern entfaltet Relevanz für die Gegenwart - mit einer glänzenden Elisabeth Moss in der Hauptrolle.

Und das macht Moss auch zu einer der Top-Favoritinnen in der Kategorie der Hauptdarstellerinnen in einer Drama-Serie. Elisabeth Moss war in der Vergangenheit schon fünf Mal für ihre Rolle in "Mad Men" nominiert, stets ging sie leer aus. Womöglich waren ihre Chancen aber noch nie so gut wie in diesem Jahr mit "Handmaid's Tale". Sie bekommt es aber mit starken Hauptfiguren aus diversen anderen Serien zu tun, darunter Claire Foy aus "The Crown", die zum ersten Mal überhaupt für einen Emmy nominiert ist. Den Reiz des Neuen bringt auch Evan Rachel Wood für "Westworld" mit, mit der in jedem Fall zu rechnen ist.

Mit Viola Davis ist auch eine bereits mit einem Emmy für ihre Rolle ausgezeichnete Darstellerin mit auf der Nominiertenliste: Für ihre Rolle der Annalise Keating in "How to get away with Murder" gewann sie den Preis 2015 - doch inzwischen ist die Serie längst nicht mehr so angesagt wie damals, eine erneute Auszeichnung käme daher eher überraschend. Bleiben noch Robin Wright und Keri Russell. Robin Wright hat wie "House of Cards" selbst etwas das Problem, dass sie schon zum fünften Mal nominiert ist, sich bislang aber nie durchsetzen konnte und damit etwas in die Rolle der Ewig-Nominierten-Aber-Sieglosen rutscht, von dem ja beispielsweise auch Elisabeth Moss ein Lied singen kann. Keri Russel ist mit "The Americans" zwar auch schon in Staffel 5, allerdings dauerte es bis zum vergangenen Jahr, ehe die Academy die Serie überhaupt entdeckte. Sie ist in diesem Jahr womöglich die beste Chance für die Serie, eine der Trophäen mit nach Hause zu nehmen.

Ihr Serien-Ehemann Matthew Rhys findet sich wiederum unter den als Bester Hauptdarsteller Nominierten, die generell etwas stärker von bereits bekannten Namen dominiert wird. Liev Schreiber etwa ist zum dritten Mal für seine Rolle in "Ray Donovan" nominiert, Kevin Spacey zum fünften Mal für seine Darstellung des Frank Underwood in "House of Cards", beide blieben bislang stets sieglos und auch diesmal gehören sie eher nicht zu den Top-Favoriten. Gut möglich hingegen, dass "This is us" in diesem Jahr einem seiner Hauptdarsteller einen Emmy beschert - wenn sie sich nicht gegenseitig die Stimmen wegnehmen. Denn sowohl Sterling K. Brown als auch Milo Ventimiglia sind für ihre Rollen nominiert. Während Ventimiglia zum ersten Mal auf einen Emmy hoffen darf, hat Sterling K. Brown übrigens im vergangenen Jahr sogar bereits einen gewonnen: Für eine Nebenrolle in "The People v. O.J. Simpson: American Crime Story".

Gewissermaßen veredelt wird die Liste der nominierten Haupdarsteller durch Anthony Hopkins. Der Oscar-Preisträger stand für die erste Staffel von "Westworld" vor der Kamera und bringt noch etwas mehr Hollywood-Glanz zu den Emmys. Ein Sieg in dieser Kategorie wäre trotzdem eher überraschend: Hopkins zeigt sich zwar in Topform, allerdings ist es eher keine Rolle, die die Serie wirklich trägt. Das ist bei Bob Odenkirk ganz anders: Er ist wie in den vergangenen beiden Jahren auch diesmal wieder für seine Rolle des Jimmy McGill in "Better Call Saul" nominiert. Und gehört wie auch in den letzten Jahren zu den Mit-Favoriten.

In den kommenden beiden Wochen beleuchten wir auch die anderen Kategorien und weitere spannende Emmy-Aspekte ausführlich. DWDL.de ist in diesem Jahr sowohl bei den Creative Arts Emmys als auch bei den Primetime Emmys vor Ort und berichtet direkt aus Los Angeles. Alle Infos gibt's in unserem Emmy-Special.