Immer wieder werden die Television Academy und ihre jährlich verliehenen Emmys als Vorbild für Auszeichnungen angeführt. Die Abstimmung durch die Mitglieder der Academy statt einer Fachjury macht den entscheidenden Unterschied, schwärmen Befürworter insbesondere im Vergleich zu deutschen Jury-Preisen. Das ist einerseits richtig, andererseits amüsant: In den USA wird seit Jahren genau anders herum geträumt. Die Masse der Entscheider bei den Primetime Emmys sei träger und weniger schnell in der Anerkennung neuer Produktionen und Trends. Das mache viele Preisentscheidungen der Primetime Emmys so reaktionär, lautet der in der US-Branche diskutierte Vorwurf. Besonders in einem Jahr der großen Serien-Abschiede, liege damit eine Farewell-Feier näher als die Bepreisung neuer Produktionen.

Nun, eins macht das deutlich: Unumstritten sind auch die aus deutscher Sicht oft sehr schnell gefeierten Emmys nicht. Jede Preisverleihung kämpft in Zeiten von stärker diversifiziertem Angebot und einem immer schwieriger zu definierenden Mainstream-Geschmack mit einer umfassenden und angemessenen Abbildung der gebotenen Leistungen eines Fernsehjahres. Aber eins würde in der Branche trotzdem niemand bestreiten: Kein Fernsehpreis der Welt hat eine solche Strahlkraft wie die Primetime Emmys, die am 2. September bereits zum 71. Mal verliehen werden. Aber was hat man nun von einem Emmy? Kann man sich davon etwas kaufen? Auszeichnungen sei nicht mehr als Lobhudelei und Selbstbeweihräucherung der Branche, unken Kritiker in Deutschland gerne.

Ein Emmy-Gewinn ist definitiv mehr. Kein anderer Fernsehpreis hat ein größeres Prestige und damit größere Auswirkungen auf die Wahrnehmung einer serie, auf internationale Verkäufe oder auf Entscheidungen über Verlängerung oder Einstellung. Wer einen Emmy gewinnt und welches Network wie viele - das ist damit mehr als nur Selbstbeweihräucherung. Das Abschneiden bei den Emmys ist ein jährlicher Performance-Check für eine Kreativbranche, deren Erfolge sich gerade durch intransparente Streamingdienste nicht mehr an der Quote ablesen lassen. Umso wichtiger als die Emmys, bei denen sich unter all dem Glamour von rotem Teppich und Aftershow-Partys - ein Wirtschaftsfaktor versteckt.

Aber wie wurden die Emmys, was sie heute sind? Jedes Jahr vor der Emmys reisen wir dafür einmal zurück ins vergangenen Jahrhundert. Genauer gesagt: In die 40er Jahre, als die Television Academy - die Jahre lang unter dem oft noch verwendeten Titel Academy of Television Arts & Sciences firmierte - entstand. Ihr Initiator Syd Cassyd wollte eigentlich gar keine Preise vergeben. Ihm ging es viel mehr darum, dem neuen Medium Fernsehen und allen, die in dieser experimentellen Branche arbeiteten, mit der neuen Academy eine Plattform zum Austausch zu bieten. Eine Interessengemeinschaft, wenn man so will. Die ersten Emmys wurden 1949 vergeben, damals jedoch nur an TV-Produktionen aus dem Großraum Los Angeles, wo die Academy gegründet wurde. Nur sechs Preise wurden damals vergeben.

Dazu muss man wissen: In den frühen Jahren des Mediums Fernsehen in den USA gab es keine landesweiten Fernsehprogramme. Fernsehen war ein lokales Medium - und ist es in den USA übrigens bezogen auf die großen TV-Networks streng genommen bis heute noch, zumindest organisatorisch. Die ersten Emmy-Verleihungen in Los Angeles wurden wahrgenommen, in den Folgejahren wurden daher auch Produktionen aus anderen Teilen der USA berücksichtigt. Die Emmys waren gerade dabei sich in Los Angeles zu etablieren, da kam Kritik auf bei TV-Produzenten an der Ostküste der USA. Ihnen war die Fixierung der Academy auf Los Angeles nicht ganz geheuer. Kurzerhand wurde in New York 1955 eine zweite Academy gegründet. Eine Trotzreaktion auf die Westküste.

Immerhin: Nach zwei Jahren der Eitelkeiten und Befindlichkeiten fusionierten beide 1957 zur Academy of Television Arts & Sciences. Der neue Name der Organisation spiegelt sich übrigens auch in der Trophäe wieder, die den Emmy-Gewinnern überreicht wird: Flügel auf dem Rücken stehen für die Kunst des Fernsehens, ein in die Luft gestrecktes Atom für die Wissenschaft des Fernsehens. Wissenschaft? Nun, man bedenke: Wir reden von den 50er Jahren, da war die Übertragung von Fernsehsignalen in die Wohnzimmer der Nation für viele noch ein Wunder der Technik. Die Emmy-Statue stand jedenfalls damals und steht auch noch heute für die Balance zwischen Kreativität und Handwerk der Branche.

Von einer schicken und überhaupt vom Publikum wahrgenommenen Veranstaltung nach heutigen Maßstäben war man aber noch weit entfernt. Erst in den 60er Jahren wurde die Emmy-Verleihung professionalisiert. Eine PR-Idee erwies sich als sehr wirksam und wird noch bis heute praktiziert: Die Bekanntgabe der Nominierten wurde, ähnlich wie bei der Oscar-Verleihung, vorab als eigener Event inszeniert. Vordergründig ging es also voran; der Preis war inzwischen für die Fernsehbranche das Maß der Dinge. Doch hinter den Kulissen brodelte der Kampf zwischen West- und Ostküste weiter. Noch heute sind sich die beiden wichtigsten Küsten-Standorte des US-Fernsehens - Los Angeles und New York - gegenseitig suspekt.

Die wilden 70er: Drei Veranstalter, ein Markenname

1969 wurde parallel die International Academy of Television Arts & Sciences gegründet, um künftig auch ausländische TV-Programme mit einem International Emmy Award zu ehren. 1974 wurden dann zum ersten Mal die Daytime Emmy Awards gesondert in einer eigenen Preisverleihung vergeben. Die Emmys erlebten Mitte der 70er ihre erste Blütezeit. Das Fernsehen war das dominierende Massenmedium. Wäre da nur nicht dieser Streit zwischen den Mitgliedern der West- und Ostküste gewesen. 1977, nach Jahren der offenen Feindschaft, entschied man sich wieder zur Trennung - mit interessanten Folgen: Fortan gab es in Los Angeles die Academy of Television Arts & Sciences (ATAS) und in New York die National Academy of Television Arts & Sciences (NATAS).

Beide Organisationen behielten gleiche Rechte an der Marke Emmy. Die ATAS übernahm die Ausrichtung der Primetime Emmys, die NATAS die Verleihung der Daytime Emmy Awards und dann gab es ja noch die internationale Schwester. Und daran hat sich bis heute nichts geändert: Drei unabhängige Veranstalter mit fast identischem Namen verleihen Preise, die so klingen als gehörten sie zusammen - und tun es doch nur indirekt.

Ein Dilemma: Zu viel Preise für nur einen Abend

Doch gehen wir doch noch einmal zurück zu den Primetime Emmy Awards der späten 70er Jahre: Dank des Fernseh-Booms sind so viele neue Kategorien preiswürdiger Arbeit  hinzugekommen, dass man sich 1978 unter Protest von Kreativen gezwungen sah, von 83 Kategorien auf 57 zu kürzen. Ein kleiner Trost also für den Deutschen Fernsehpreis: Auch die berühmten Emmys hatten schwierige Jahre innerhalb der US-Branche. Aber man fand drüben eine Lösung: Es wurden einfach zwei Verleihungen abgehalten. Die Mehrzahl der Preise wurde fortan in einer gesonderten Veranstaltung verliehen, die heute als Creative Arts Emmy Awards firmiert und am Wochenende vor der Live-Verleihung der Hauptkategorien stattfindet. Witzig: Weil die Kategorienzahl immer weiter anwuchs, mussten selbst die Creative Arts Emmys inzwischen nochmal auf zwei Abende - einmal fiktional, einmal non-fiktional - aufgeteilt werden.

Trends zu erkennen und zu adaptieren - in der Geschichte der Emmys war das immer wieder eine Schwäche der Academy, weil Entscheidungen in den meisten Fällen von der Masse der Mitglieder getragen werden müssen und die Masse bewegt sich träge. Beispiel? Erst 1988 wurde den in den 80er Jahren entstandenen Kabelsendern die Teilnahme an den Primetime Emmy Awards gestattet. Zuvor und noch einige Weile parallel gab es deshalb die Cable Ace Awards, die inzwischen aber längst amerikanische TV-Geschichte sind. Doch nicht nur die Kabelsender waren plötzlich neu auf dem TV-Markt: Zu den etablierten US-Networks ABC, CBS und NBC stieß der neue Wettbewerber FOX hinzu.

Lukrative Exklusiv-Deals schadeten den Emmys

Und der wollte so gar nicht kuscheln mit den anderen drei Networks, im Gegenteil: Bislang hatten die drei großen Sender die Primetime Emmys stets im Wechsel übertragen. Doch das Spiel wollte FOX nicht mitspielen. 1987 sicherte sich der neue Sender für damals saftige 3 Millionen Dollar pro Jahr gleich über mehrere Jahre die exklusiven Übertragungsrechte an der Verleihung - und das nur wenige Monate nach dem Start des noch wenig bekannten Senders. Einmal mehr war das Image der Emmys und der Academy beschädigt. Diese rechtfertigte sich: Im Vergleich zu dem, was die Motion Picture Academy mit den Oscars verdiente, wären die Einnahmen durch Vermarktung der Emmys minimal - nicht einmal ein Zehntel. Das lukrative Angebot von FOX sei da genau zur richtigen Zeit gekommen.

Bis 1992 waren die Primetime Emmy Awards also exklusiv bei FOX zu sehen. Für die Verleihung bedeutete das massive Einbrüche bei den Zuschauerzahlen. FOX spielte in seinen ersten Jahren eben noch längst nicht in der gleichen Liga wie die drei anderen US-Networks; der Sender war noch nicht einmal in allen Regionen der USA via Kabel empfangbar. 1993 schlug dann ABC zu. Erneut erhoffte sich die Academy durch einen weiteren Exklusiv-Deal mit nur einem Sender höhere Einnahmen. Immerhin 2,5 Millionen Dollar pro Jahr war ABC bereit zu zahlen. Doch einmal mehr verärgerte die Academy damit die anderen Fernsehsender - und diesmal hatten sie den Bogen überspannt. CBS, NBC und selbst FOX protestierten und boykottierten 1993 zahlreiche Emmy-Veranstaltungen, so dass die Academy of Television Arts & Sciences sich 1994 gezwungen sah, den Exklusivdeal mit ABC vorzeitig aufzulösen.

Erst Mitte der 90er Jahre fanden die Emmys zu heutiger Form

Man einigte sich in Folge dieser Ereignisse darauf, die Preisverleihung künftig turnusmäßig von einem der vier großen Networks übertragen zu lassen, was die Preisverleihung in den folgenden Jahren in ruhigere Gewässer brachte. 2001 wurde die Verleihung der Primetime Emmy Awards aus aktuellem Anlass zweimal kurzfristig verschoben. Sie hätte am 16. September stattfinden sollen, nur fünf Tage nach den Terroranschlägen in den USA. Doch auch der Ersatztermin, 7. Oktober, wurde wieder gestrichen, weil die USA den Taliban den Krieg erklärten. Erst im November 2001 gab es dann eine Preisverleihung.

2002 brachte der PayTV-Sender HBO die Emmy-Veranstalter noch einmal in Versuchung: Man bot 10 Millionen Dollar pro Jahr für die Übertragungsrechte. Doch die Academy hatte aus dem Desaster mit den Exklusivdeals gelernt und widerstand der Versuchung. Immerhin: Die vier großen Networks waren angesichts des HBO-Angebots bereit deutlich mehr zu zahlen als bisher. Für vier Jahre zunächst 5,5 Millionen Dollar, danach für weitere vier Jahre sogar 7,5 Millionen Dollar jährlich. Und erstmals wurden die Übertragungsrechte auch ins Ausland verkauft, u.a. nach Großbritannien und Deutschland. In den Jahren 2002 bis 2008 änderte sich für die Zuschauer der Verleihung dann nicht viel.

Auffällig war erst 2008 wieder der Umzug der Verleihung der Primetime Emmy Awards. Von Hollywood zog es die Verleihung in das neue Nokia Theatre in Downtown Los Angeles, was inzwischen als Microsoft Theater firmiert. Bis in die 70er Jahre hinein wechselte die Location der Emmy-Verleihung übrigens jährlich - durch diverse Hotels und Studios in Los Angeles. Von 1977 bis 1997 - stolze 20 Jahre lang - war das Pasadena Civic Centre Austragungsort. Seit einigen Jahren ist nun Downtown Los Angeles die Heimat der Emmys, auch in diesem Jahr - nur ohne geladene Gäste und den großen Zirkus auf dem roten Teppich und ausnahmsweise nebenan im Staples Center statt dem Microsoft Theater.

(Dieser Artikel erschien in veränderter Form schon in den Vorjahren)