Nie zuvor war eine deutsche Produktion im Rennen um die Primetime Emmys in Los Angeles, was früher auch allein amerikanischen Produktionen vorbehalten war. Doch in Zeiten der internationalen Plattformen sind die Grenzen fließend - und so gewann "Unorthodox" in diesem Sommer nicht nur einen Deutschen Fernsehpreis für die beste Ausstattung sondern kann in dieser Woche auf weitere Würdigung von den Mitgliedern der Television Academy hoffen.

"Unorthodox", eine Produktion von Studio Airlift und der Studio Hamburg-Tochter Real Film für Netflix, ist gleich achtfach nominiert, darunter auch in der Königskategorie "Outstanding Limited Series". Weitere Nominierungen gab es in den Kategorien "Outstanding Writing For A Limited Series, Movie or Dramatic Special", "Outstanding Lead Actress In A Limited Series Or Movie" und "Outstanding Directing For A Limited Series, Movie Or Dramatic Special". All diese Auszeichnungen werden in der finalen Emmy-Verleihung in der Nacht zum Monta, 21. September vergeben.



Schon zuvor bei den Creative Arts Emmys, die in diesem Jahr auf gleich fünf Abende aufgeteilt wurden, kann "Unorthodox" aber auch schon Emmys gewinnen. Nominiert ist man in den Kategorien "Outstanding Contemporary Costumes", "Outstanding Original Main Title Theme Music", "Outstanding Music Composition For A Limited Series, Movie Or Special (Original Dramatic Score)" und "Outstanding Casting For A Limited Series, Movie Or Special". Schwerer Gegner und hoher Favorit in den Limited Series-Kategorien ist allerdings die HBO-Serie "Watchmen", die so viele Nominierungen einsammelte wie keine andere Produktion.

Aber Anna Winger lässt sich die Vorfreude auf die Emmy-Woche nicht nehmen. Wir erreichen Sie zuhause in Berlin, um über die ungewöhnliche Emmy-Saison und die acht Nominierungen zu sprechen...

Anna, wie aufgeregt starten Sie in diese Emmy-Woche, die nach fünf Creative Arts Emmys dann in der Nacht zu Montag in der TV-Verleihung mit den Königskategorien gipfelt?

Wir haben schon gewonnen, weil wir nicht mit Nominierungen gerechnet hatten und das ist ernst gemeint. Ich lebe in Berlin, hier ist die Idee zu der Serie entstanden und wir haben sie von hier aus realisiert. Wir sind nicht in den Emmy-Kreisen in Los Angeles unterwegs, in denen man unterwegs sein muss, wenn man für sich werben will. Und dann bekommen wir gleich acht Nominierungen! Damit wurden so viele Gewerke - also Buch, Regie, Musik, Casting, Kostüme und natürlich unsere Star, Shira Haas - berücksichtigt, was die Teamleistung wunderbar würdigt.

Kommt unter den gegebenen Umständen in diesem Jahr überhaupt ein Emmy-Fieber auf?

Es wäre natürlich toll gewesen nach Los Angeles zu fliegen, zu all den Emmy-Partys zu gehen und endlich mal Jennifer Aniston zu treffen, aber den Umständen entsprechend bleiben wir wie alle anderen auch einfach zuhause. Das ist okay, „Unorthodox“ ist eh ein Heimspiel für uns, weil wir als eine der ersten Serien in diesem Jahr unsere ganze Publicity zum Start auch schon digital von zuhause machen mussten, weil Premieren und Interviews zum Start am 26. März wegen Corona nicht machbar waren. Einziger Nachteil für uns ist die Zeitverschiebung. Wir werden mitten in der Nacht aufstehen um uns hier in Berlin die Show anzuschauen. Aber ich weiß noch gar nicht, was wir da genau erwarten können.

Da sind wohl alle gespannt. Ist die vorsorglich aufgenommene Dankesrede schon fertig und abgeschickt?

(lacht) Nein, nein, nicht für die Hauptkategorien in der großen TV-Verleihung. Aber mit unserer Kostümdesignerinnen und unserem Komponisten, deren Kategorien schon bei den Creative Arts Emmys verliehen werden, habe ich schon gescherzt: Die konnten ihre Dankesrede so oft üben wie sie wollten und haben eine perfekte Version dessen was sie sagen wollen, abgeschickt. Ich sitze in der Nacht zum 21. September zuhause vor der Webcam und sollten wir gewinnen, bin ich so aus dem Häuschen, dass ich hoffe, dann noch etwas Sinnvolles sagen zu können. Aber nochmal: Ich empfinde die Nominierung bereits als große Anerkennung. Für mich war es die erste Erfahrung mit einer Serie, die am gleichen Tag weltweit erscheint und die Reaktionen aus aller Welt zu lesen und hören, war in den Wochen darauf eine einzigartige Erfahrung, weil wir gemerkt haben, dass „Unorthodox“ über Religionen und Kulturen hinweg gesehen wurde.

Über Anna Winger

  • Die gebürtige Amerikanerin arbeitete als Journalistin und Fotografin bevor sie die Leidenschaft für Geschichten entdeckte. Auf einen Debüt-Roman folgte 2012 erste TV-Arbeit für "SOKO Leipzig" bevor sie, längst in Berlin beheimatet, 2014 gemeinsam mit ihrem Mann Jörg die "Deutschland"-Trilogie entwickelte. 2018 gründete sie ihre eigene Produktionsfirma Studio Airlift und produzierte für Netflix "Unorthodox".

Was hat sie am Feedback auf die Serie am meisten überrascht?

Es gibt viele Länder, in denen Menschen einen Bezug zum orthodoxen Judentum haben und ihre Art zu Leben kennen. Man hat schon mal etwas darüber gehört und die Serie vertiefte das dann. Aber selbst aus Ländern wie Indien, in denen es kaum orthodoxe Juden gibt, haben wir mitbekommen, wie Zuschauerinnen sagten „Das ist auch meine Story!“. Ich wurde interviewt von einer Nonne aus den USA, die für eine katholische Publikation über „Unorthodox“ schrieb und mir auch erzählte, wie wichtig die Serie für sie sei, weil sie vom Glauben einer jungen Generation erzählt, in der genau das sonst eben nicht erzählt wird: Wie der eigene Glauben und gesellschaftliche Erwartungen zusammen gehen. Es hat mich sehr berührt, wie viele Menschen etwas mitgenommen haben aus der Serie. Das lustigste Feedback auf die Serie war die Kritik, dass Berlin doch gar nicht so schön sei und die Menschen überhaupt nicht so nett, wie es in „Unorthodox“ aussieht. Das kam natürlich aus Deutschland.

Rachel Eggebeen von Netflix sagte bei uns bereits: Eine Fortsetzung von „Unorthodox“ wird es nicht geben. Wie leicht fällt es, die Charaktere und Story gehen zu lassen?

Wir konnten „Unorthodox“ so erzählen, wie wir es erzählen wollten und die Zukunft von Esty in Berlin überlasse ich gerne der Vorstellungskraft des Publikums. Ich habe auch schon einige Fan Fiction gelesen, nicht zu Esty. Schön, dass auch die weiteren Rollen so ein Interesse geweckt haben offenbar. Für mich ist „Unorthodox“ beendet. Aber mit den tollen Menschen vor und hinter der Kamera, die an der Serie mitgewirkt haben, arbeite ich hoffentlich in Zukunft mal wieder zusammen.

Nochmal zurück zur Emmy-Verleihung: Wissen Sie denn wie die TV-Gala ablaufen wird?

Wir werden vorbereitet sein. Was ich schon mal herausbekommen habe, ist, dass die Nominierten nicht zugeschaltet werden. Normalerweise werden kurz vor der Bekanntgabe jeder Kategorie ja die Gesichter der nominierten Personen aus dem Publikum eingeblendet. Uns wurde für diese besondere Emmy-Verleihung gesagt: Solange man nicht gewinnt, wird man nicht gezeigt. Wir lassen uns also überraschen. Vielleicht bleibt Amerika mein völlig übermüdeter Anblick ja erspart. Ich hab schon gescherzt: Sollte es zu spät werden, müssen wir nebenbei das Frühstück für die Kids vorbereiten. Da muss jemand anderes aufpassen, ob wir gewinnen (lacht)

Also gucken Sie bei sich zuhause?

Nein, Mitten in der Nacht ganz allein zuhause sitzen, wäre ein bisschen zu traurig. Wir haben uns in kleinem Kreis dazu verabredet, gemeinsam aber mit gebotenem Abstand und unter Einhaltung aller Regeln die Verleihung zu verfolgen. Es sind ja nicht alle vom Team in Berlin, aber wir haben eine WhatsApp-Gruppe und sind so verbunden. Da haben wir uns schon seit dem Start von „Unorthodox“ gegenseitig immer wieder gezeigt, wer wo was über die Serie geschrieben hat. Der Chat wird sicher wild in der Nacht. Eigentlich wollte ich auch eine größere Party bei uns zuhause schmeißen, aber den Umständen entsprechend haben wir davon Abstand genommen.

Und zuvor werden an fünf Abenden die Creative Arts Emmys vergeben. Da ist „Unorthodox“ auch im Rennen. Bleiben Sie dafür wach?

Ich werde rausfinden, an welchen Abenden unsere Kostümdesignerin und unser Komponist im Rennen sind und dann vielleicht diese Nächte durchmachen. Justine (eine der Kostümdesignerinnen, Anm. d. Red.) lebt auch hier in Berlin, da werde ich ihr Gesellschaft leisten. Aber ich hab einen Job zu erledigen tagsüber und unsere Kids wollen morgens auch versorgt und in die Schule geschickt werden. Sechs Nächte durchmachen ist da keine Option. (lacht)

Anna, herzlichen Dank fürs Telefonat und viel Erfolg für die Emmys.