Ein Blick auf die Entwicklung der Nominierungs-Zahlen bei den Emmys verrät viel über den US-amerikanischen TV-Markt im jeweiligen Jahr. Erst waren es jahrzehntelang die großen US-Networks auf der einen und HBO auf der anderen Seite, die den Fernsehmarkt und die Emmy-Nominierungen gleichermaßen bestimmten. Dann kam die Zeit der Kabelsender: Jeder noch so kleine Kanal investierte plötzlich in eigenproduzierte Serien, angestachelt etwa von den gigantischen Erfolgen, die das kleine AMC mit Serien wie "Breaking Bad" oder "The Walking Dead" erzielte. Und dann kam Netflix.

2008 machte die Television Academy durch eine Regeländerung den Weg dafür frei, dass auch Produktionen für einen Primetime Emmy nominiert werden können, die gar nicht im linearen Fernsehen und damit eben zur klassischen "Primetime" gelaufen waren. 2013 war es dann soweit: Mit "House of Cards" schaffte es erstmals eine Produktion eines Streaming-Dienstes, in den "normalen" Kategorien eine Nominierung zu bekommen (zuvor waren nur Webisodes oder YouTube-Clips in teils eigens geschaffenen Kategorien berücksichtigt worden). Und Netflix legte einen so beachtlichen Sprint hin, dass die klasisschen Medienhäuser zunächst nur überrascht hinterherschauen konnten.

Im vergangenen Jahr dann der vorläufige Höhepunkt: Sagenhafte 160 Nominierungen sammelte der Streaming-Dienst mit seinen Produktionen in einem einzigen Jahr ein, so viele wie noch nie ein Sender zuvor in der Geschichte der Emmys. HBO, das die Verleihung über Jahrzehnte dominierte, spielte mit damals 108 Nominierungen schon mindestens eine ganze Liga tiefer. Natürlich sind es weniger die Emmy-Ehren für Netflix, die in den eingesessenen Medienkonzernen für Aufruhr gesorgt haben, sondern vor allem die Tatsache, dass immer mehr Zuschauer vom klassischen TV zu dem Streamingdienst abgewandert sind. Doch in jedem Fall scheint jetzt allen klar, dass sie sich bewegen müssen - und so hat in den letzten Monaten und Jahren praktisch annähernd jeder Medienkonzern, der etwas auf sich hält, sein eigenes Streaming-Angebot als Antwort auf Netflix an den Start gebracht. Und das spiegelt sich in diesem Jahr nun auch deutlich in den Emmy-Nominierungen wieder.

Netflix konnte zwar auch 2021 wieder sehr viele Emmy-Nominierungen mit seinen Produktionen erzielen - die Zahl sank aber im Vergleich zum Vorjahr trotzdem merklich von 160 auf 129. Damit landete Netflix nun wieder hinter der Kombination aus HBO und HBO Max, die man aufgrund der gegenseitigen Verfügbarkeit von zahlreichen Serien in der Zählung kaum voneinander trennen kann. HBO/HBO Max bringt es in diesem Jahr nun jedenfalls zusammen auf 130 Nominierungen. Zumindest in dieser Hinsicht zahlte sich der Start von HBO Max also für WarnerMedia schonmal aus. Dass bald auch noch das Zusammengehen mit Discovery ansteht, wird in Sachen Emmys hingegen wenig ändern, auf den ganzen Discovery-Konzern entfielen nur fünf Nominierungen - da man sich dort vor allem um Non-Fiktionales kümmert ist das auch nicht weiter verwunderlich.

Dass die alteingesessenen Medienkonzerne zurückschlagen, sieht man aber vor allem bei Disney. Disney+ gelang im vergangenen Jahr mit "The Mandalorian" schon ein durchaus beachtlicher erster Aufschlag bei den Emmys, in diesem Jahr schoss die Zahl der Nominierungen des Streaming-Dienstes nun aber noch einmal regelrecht nach oben von 19 auf 71. Mit "The Mandalorian" und "WandaVision" stammen gleich zwei der drei meistnominierten Serien in diesem Jahr von Disney+. Und die Walt Disney Company umfasst ja weit mehr als Disney+: Mit Hulu betreibt man - inzwischen allein - noch einen zweiten Streamingdienst, der u.a. die Heimat von "The Handmaid's Tale" ist, Platz 4 der meistnominierten Serien dieses Jahres. Insgesamt entfallen auf Hulu immerhin auch 25 Nominierungen, ABC steuert weitere 23 (u.a. mit "black-ish") bei, FX nochmal 16 (u.a. für "Pose"), dazu kommen noch National Geographic, und Freeform. Alles in allem bringt es der gesamte Disney-Konzern damit auf 146 Emmy-Nominierungen. Auf Konzernebene kann da in diesem Jahr kein anderer mithalten.

Diese Zahlen spiegeln recht gut die neue Situation auf dem Streaming-Markt wieder. Vom einstigen Jäger ist Netflix inzwischen längst zum Gejagten geworden. Es ist weiterhin für sich allein genommen das führende Angebot, doch dass die Konkurrenz härter wird, ist unbestreitbar, nicht nur durch HBO Max und Disney+. Andere Dienste wie Paramount+ von ViacomCBS oder Peacock von NBC Universal stehen noch recht am Anfang, auch was die Zahl der Emmy-Nominierungen anbelangt. Hier darf man gespannt sein, was die kommenden Jahre noch bringen, zunächst mal wurden viele Pläne noch durch die Corona-Einschränkungen verzögert. Und dann redet ja auch Apple inzwischen ein durchaus gehöriges Wörtchen mit: Mit Apple TV+ sammelte man in diesem Jahr schon 34 Nominierungen ein, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Prime Video (18) hat man damit schon deutlich abgehängt. Für Netflix sollte das zumindest die Mahnung sein: Es nicht die Zeit, sich auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen - die Konkurrenz schläft offensichtlich nicht.

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