Nur etwas mehr als sechs Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten im vergangenen Jahr die Verleihung der Emmys im US-Fernsehen - ein neuer Tiefpunkt. Das lässt sich teils vielleicht mit den besonderen Umständen durch die Corona-Pandemie erklären, die Verleihungen zuletzt nicht mehr im gewohnt glamourösen Umfeld ermöglichten und die angesichts einer neuen Infektionswelle auch diesmal wieder zu mehr Einschränkungen führen wird, als zunächst geplant. Es ist aber auch nur ein weiterer Punkt in einer schon länger anhaltenden Abwärtsentwicklung.

Während in Deutschland TV-Preisverleihungen schon länger mit Quotenprobleme zu kämpfen haben - man erinnere sich: Den Deutschen Fernsehpreis wollten die eigenen Sitfter zwischenzeitlich gar nicht mehr öffentlich übertragen - waren sie in den USA lange Zeit Quotengaranten, die Emmys etwa erreichten noch 2013 fast 18 Millionen Menschen, bis 2018 wurden Reichweiten jenseits der 10-Millionen-Marke eingefahren. Doch schon 2019 unterbot man diese Marke massiv.

Das mutet zunächst kurios an, schließlich leben wir gefühlt im Goldenen Zeitalter der Serien, es gibt so viele Serien bei so vielen Anbietern wie nie. Doch genau das dürfte auch ein Grund für den Rückgang des Interesses an den Preisverleihungen sein: Dass sich immer mehr Serien auf immer mehr Plattformen verteilen, sorgt zugleich dafür, dass es immer weniger Serien gibt, die wirklich jeder gesehen hat. Konnte man sich früher noch mit Kolleginnen und Kollegen über die neuesten Folgen gerade angesagter Serien austauschen, stellt sich längst jeder sein eigenes Serien-Bouquet zu seiner eigenen Zeit zusammen.

Dazu kommt noch, dass die Schwemme der Streaming-Angebote dafür sorgt, dass viele selbst beim theoretischen Interesse an Produktionen erstmal gar nicht die Möglichkeit haben, diese zu sehen. Nun war es hierzulande auch in der Vergangenheit so, dass man von manch Emmy-nominierter Produktion noch nie gehört hatte, weil sie vielleicht schlicht noch gar nicht in Deutschland zu sehen war. Inzwischen dürfte es aber auch in den USA so sein, dass sich bei vielen allenfalls Fragezeichen über dem Kopf bilden, wenn sie von "Pen 15" (Hulu) oder "Hacks" (HBO Max) lesen. Und wer nicht im Apple-Universum zuhause ist, ist höchstwahrscheinlich auch noch nicht dem Charme von "Ted Lasso" erlegen. Reichte es für Serien-Fans in den USA früher aus, zum meist vorhandenen Kabelanschluss noch HBO hinzuzubuchen, um zumindest theoretisch Zugriff auf fast alle Produktionen zu haben, so braucht man nun eben auch noch Abos von Netflix, Prime Video, Hulu, Disney+, Apple TV+ etc. dazu.

Kein kollektives Daumen-Drücken

Entstanden ist so ein kaum noch zu überblickender, enorm fragmentierter Serienmarkt, bei dem das kollektive Daumen-Drücken für den eigenen nominierten Favoriten zunehmend schwer fällt. Das ist für Preisverleihungen wie die Emmys ein Problem - es birgt aber auch die Chance. Denn gerade in diesen unübersichtlichen Zeiten können und müssen sie eine neue Rolle als Qualitäts-Wegweiser einnehmen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass es gerade die neuen Streamer sind, die mehr Geld als alle anderen in die "For Your Consideration"-Kampagnen stecken, mit denen die Academy-Mitglieder, die über die Nominierungen und Preise abstimmen, auf ihre jeweiligen Produktionen aufmerksam gemacht werden sollen. Als "The Handmaid's Tale" in einem Jahr zum Emmy-Abräumer wurde, dürfte vielen erst bewusst geworden sein, dass Hulu eben inzwischen mehr ist als ein Catch-up-Angebot für Network-Serien. Dass "The Mandalorian" schon letztes Jahr etliche Emmys abräumte, zeigte dass Disney+ mit der Serie mehr geschaffen hat als eine billige Verlängerung für Star-Wars-Fans. Eine Emmy-Nominierung ist hier mehr denn je Ritterschlag und kann bares Geld im Sinne von neuen Abos wert sein.

In erster Linie muss sich nicht die Television Academy der neuen Rolle der Emmys bewusst werden, sondern die Zuschauerinnen und Zuschauer, vor allem natürlich in den USA. Schnell ist man geneigt, die Nominierungen als seltsam abzutun, wenn die eigenen Lieblinge nicht auf der Liste auftauchen, dafür aber andere Produktionen, von denen man vielleicht nie gehört hat. Dabei ist das ja inzwischen gerade der Reiz: Die Nominierung als Empfehlungs-Liste zu nutzen und so Neues zu entdecken - womöglich gerade auch von Anbietern, von denen man bislang dachte, dass es sie wirklich nicht auch noch gebraucht hätte. Den TV-Quoten dürfte das kaum helfen. Dem Serien-Fan aber um so mehr.