"Jeder soll ein Gespür bekommen, dass er ein wichtiges Glied der Kette ist", so ließ sich Jürgen Klinsmann im August 2004 kurz nach der Übernahme des Trainerpostens der DFB-Herren und vor dem Freundschaftsspiel im Ernst-Happel-Stadion gegen Österreich in Wien zitieren. Der Weltmeister von 1990 und Sohn eines Bäckermeisters aus Schwaben trat seine Nationaltrainerschaft mit der Vision an, alte Zöpfe zum Wohle eines neuen "Spirits" abzuschneiden: flache Hierarchien, unkonventionelle Trainingsmethoden, andere Organisation und neues Auftreten. Der Star sollte (wieder) die Mannschaft sein. Alles neu und out of the box gedacht.

Ähnlich geht die Sache Ted Lasso (Jason Sudeikis) in der Auftaktstaffel gleich lautenden Serie bei Apple TV+ an, auch wenn die Prämisse eine ganz andere ist. Während der Wahl-Kalifornier einer der erfolgreichsten Fußballer aller Zeiten ist – neben Weltmeister auch Europameister – hat der neu verpflichtete Trainer des fiktiven Premiere League Clubs AFC Richmond aus Kansas nicht den Hauch einer Ahnung vom Runden, das ins Eckige muss. Als gelernter amerikanischer Football-Coach in einem Land, in dem nicht der Fußball, sondern der Football Religion ist, denkt er an Spielunterteilungen in Vierteln, sowie im Dualismus Sieg oder Niederlage. Zwei Hälften? Interessant. Es gibt auch Unentschieden? Ganz vergessen. Die Journalisten und Fans auf der Insel zeigen sich von der naiven Haltung und Planlosigkeit des neuen Coachs Lasso auf der ersten Pressekonferenz des sich in einer Schieflage befindenden Clubs erschüttert. Was diese nicht wissen: der Club soll untergehen und zwar auf unappetitliche Weise.

Genau genommen wissen das nämlich nur die Zuschauerinnen und Zuschauer und ein Vertrauter – meist nur bei seinem Nachnamen Higgins genannt - der dafür verantwortlichen neuen Clubbesitzerin Rebecca Welton (Hannah Waddingham). Diese hat Hass und will Rache an ihrem sich außerehelich vergnügenden Ex-Ehemann Rupert nehmen, in dessen Hand der Club zuvor war und der tiefe Liebe für ihn empfindet. Wo keine Liebe mehr für sie, sondern nur noch für jüngere Gespielinnen, sowie den AFC Richmond ist, soll diese umgekehrt auch für ihn sterben. Und das geht am besten, wenn der Verein zerstört wird. Das Bittere am ganzen Spiel ist jedoch, dass der Visor und Magnum-Schnauzer liebende Ted Lasso und sein "Soccer for Dummies" lesender und fachlich besser informierter Co-Trainer "Coach Beard" – quasi der Jogi Löw in der Konstellation – davon ebenso wenig wissen, wie die Spieler des Teams. Rache ist süß, aber auch anstrengend, denn "der Mann aus Kansas", wie die erste Folge betitelt ist, ist ein Empathiemonster, bringt Charme und ein überdurchschnittliches Maß an Wärme mit.

Doch nochmals kurz zurück zu Jürgen Klinsmann, dem Mann aus Kalifornien. Während Lasso lächelnd damit prahlt, man könne zwei Internets mit seinem Unwissen über Fußball füllen, trifft dies Karriere bedingt auf den Gegner deutscher Beschwerdekultur so natürlich nicht zu. Jedoch offenbarten sich vor allem bei seiner Tätigkeit beim FC Bayern München in der Saison 2008/09 Schwächen in der tagtäglichen Arbeit mit den Spielern. Die Vorwürfe waren irgendwo zwischen zu viel Chichi drumherum – Stichwort "Buddhas" an der Säbener Straße – zu wenig Fokus auf das Fachliche und zu viel auf die das Mentale fokussierende Philosophie. Klinsmann, fast schon als Praktikant verschrieen, scheiterte als Fußballtrainer in München nach nur einem Jahr.

Dies als Schablone nehmend, zeigen sich kurioserweise doch ein paar Gemeinsamkeiten zwischen dem vor nicht allzu langer Zeit beim Möchtegern-"Big City Club" praktizierenden Trainer und der von Jason Sudeikis porträtierten Figur Ted Lasso: fachlich verlässt er sich in bester Klinsmann-Löw-Aufteilung auf seinen Assistenztrainer "Coach Beard" (Brendan Hunt) und verlagert seinen Schwerpunkt auf ungewöhnliche Trainings- und Motivationsformen, reformiert mit möglichst viel Euphorie und denkt ebenso out of the box. Wenig Taktik, viel Psychologie. Immer mit dem Ziel, ein Team zu formen, welches sich im Kern auch als Team fühlt: vom Greenkeeper Nathan (Nick Mohammed), über den ursprünglich für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen und wenig Coolness ausstrahlenden Higgins (Jeremy Swift) bis zum Team selbst - vor allem die miteinander über Kreuz liegenden Figuren, Kapitän Roy Kent (Brett Goldstein) und Topscorer Jamie Tartt (Phil Dunster) gilt es dabei zu vereinen.

Überzeugt vom Grundsatz, dass der Glaube an sich selbst Berge versetzen und Abstiege verhindern kann, hängt er nicht nur ein eigens geschriebenes und dadurch improvisiert wirkendes Plakat mit dem Wort "Believe" in der Kabine auf, er begegnet allen wüsten Beschimpfungen analoger Natur oder auf Twitter mit Gelassenheit und ist diesbezüglich ein Meister des Weglächelns. Beleidigungen perlen ab, stattdessen dominiert ein uneingeschränkter und permanent vorherrschender Optimismus. Er selbst orientiert sich an Walt Whitman: "Sei neugierig. Nicht wertend." Und selbst der Frau, die ihn zum Kopf des Untergangs auserwählt hat, bringt er in seiner Unwissenheit in regelmäßigen Abständen selbst gebackene Zucker-Sünden mit. Dabei fungiert Nettigkeit nicht als Mittel zum Zweck, sondern ist Selbstzweck. Trotz eines für diese Position inakzeptablen Curriculum Vitae, kann Lasso aus einem Topf anderer Fähigkeiten schöpfen, deren Auswirkungen langsam in der eigenen Riege verfangen - so auch beim Zusehenden.

Beim Konsum der ersten Staffel tut dies vor allem vor dem Hintergrund der Corona Pandemie gut, die alles eine Spur grauer wirken ließ und ohnehin schon zuvor beobachtbare soziale Spaltungen verschärfte. Die Hauptfigur der Comedy versprüht jedoch solch ein Übermaß an "positive vibes only", dass es irgendwann ansteckt. Das Prinzip aus Verschmelzung statt Spaltung - und sei es nur das aktive Zusammenschieben der Tische von Trainer und Co-Trainer im Raum hinter der Kabine als Zeichen der Nähe und Einheit - ist zur Abwechslung ein willkommenes Statement in einer Zeit, in der zu vieles auseinander fällt. Ein Plädoyer sich mit mehr Herzlichkeit auf Augenhöhe zu begegnen, denn das ist das, was "Ted Lasso" vorführt. Und so gibt der auch gerne mal tanzende oder beatboxende Coach Lasso mit seinem "Lasso-Way" dem vor seiner Ära beim Club ausnahmslos belächelten Greenkeeper Nathan die Bühne, eine in einer Abrechnung mit den Spielern mündende Kabinenansprache zu halten. Denn auch für ihn gilt: "Jeder soll ein Gespür bekommen, dass er ein wichtiges Glied der Kette ist". Out of the box gedacht, und so...