TV-Überraschungen des Jahres

"Berlin - Tag & Nacht" wird zum Hit am Vorabend und im Web
Als RTL II mit "Berlin - Tag & Nacht" sein diesjähriges Format für die Zeit nach "Big Brother" vorstellte, verdrehten viele die Augen. "Realtainment" hat RTL II das Genre getauft - dabei hat es mit der Realität doch recht wenig zu tun, denn die Personen, die dort vermeintlich in einer WG zusammenleben, sind Laienschauspieler. Als die ersten Folgen Marktanteile zwischen 4 und 5 Prozent holten, hatten viele das Format bereits wieder abgeschrieben. Doch es sollte anders kommen: Die soap-artige Serie mauserte sich nach und nach zu einem echten Hit, knackt jüngst gar die 10-Prozent-Marke - etwas, was dem ungleich teureren "Big Brother" die gesamte letzte Staffel über nicht gelungen ist. Und was noch viel erstaunlicher ist: Auf Facebook wurde "Berlin - Tag & Nacht" ein Mega-Erfolg. Binnen kürzester Zeit haben sich dort knapp 770.000 Fans versammelt - es scheint eine Frage von Tagen, bis "GZSZ" überholt wird " (813.000). Und vor allem: Bei GZSZ kommentieren knapp 14.000 Nutzer aktiv, bei "Berlin - Tag & Nacht" sind es rund 200.000. Die Produktionsfirma Filmpool hat offensichtlich vieles richtig gemacht - und damit für eine der großen Überraschungen des Jahres 2011 gesorgt.

Die Fußball-Frauen-WM wird zu einem riesigen Quotenhit
Fußball ist der Volkssport Nummer 1 in Deutschland, heißt es gerne. Doch das traf bislang allenfalls auf die Männer zu, Frauen-Fußball interessierte - nicht nur - hierzulande aber nur eine Minderheit. Zumindest für kurze Zeit sollte sich das in diesem Sommer aber radikal ändern. Teils sahen knapp 17 Millionen Zuschauer die Spiele der deutschen National-Elf bei der WM im eigenen Land - und es wäre wohl noch mehr drin gewesen, wenn für die deutschen Kickerinnen nicht schon im Viertelfinale rausgeflogen wären. Dcoh selbst ohne deutsche Beteiligung verfolgten das Finalspiel zwischen Japan und den USA über 15 Millionen Zuschauer. Selbst kühne Optimisten dürften das kaum für möglich gehalten haben.

Gottschalk geht in den ARD-Vorabend
Dass Gottschalk im Februar ankündigen könnte, "Wetten, dass..?" abzugeben - das lag durchaus im Rahmen des Vorstellbaren nach dem schweren Unfall des Wettkandidaten Samuel Koch vor laufenden Kameras im vergangenen Jahr. Angesichts stetig sinkender Quoten war es ohnehin schon länger denkbar, dass Gottschalk irgendwann genug hat. Die eigentliche Überraschung ist die Entscheidung, die Gottschalk für seine Zukunft gefällt hat: Er, der bislang sechs bis sieben "Wetten, dass..?"-Sendungen im Jahr plus einige einzelne andere Events moderiert hat, begibt sich tatsächlich ins tägliche Fernsehgeschäft zurück - und das auch noch am chronisch quotenschwachen ARD-Vorabend. Dass er nun noch einmal so ranklotzen will, dass er den Mut hat, dieses Wagnis einzugehen und damit womöglich zu scheitern, ist aller Ehren wert - und hätte vor einem Jahr wohl kaum jemand für möglich gehalten.

Sat.1 hält bei "Eins gegen Eins" durch
Mit einer "Talk im Turm"-Auflage ist Sat.1 ebenso gescheitert wie mit dem "Talk der Woche" und der "Wahlarena" mit Aust und Christiansen. Insofern hielten es viele für einen schlechten Scherz, als die Pläne für einen neuen Polittalk bei Sat.1 bekannt worden. Im März 2011 startete er aber dann tatsächlich - doch die Quoten schienen den Kritikern der Pläne recht zu geben. Die erste Staffel erreichte im Schnitt einen Marktanteil von 4,6 Prozent in der Zielgruppe. Es gab damals wohl nicht viele, die auf eine Rückkehr aus der Sommerpause gewettet hätten. Doch die Sendung kam zurück - und wurde tatsächlich erfolgreicher - wenn auch nur ein bisschen. 6,2 Prozent betrug der durchschnittliche Marktanteil im Herbst. Und nun wurde für 2012 sogar eine dritte Staffel angekündigt. Das Durchhaltevermögen von Sat.1 ist für uns eine der Überraschungen des Jahres.

Kaum jemand will die DFB-Pokal-Rechte
Das ZDF gibt Millionen für die Champions League aus, aber niemand will den DFB-Pokal. Eigentlich unverständlich, denn die Pokalspiele bescheren den Sendern regelmäßig Spitzen-Quoten - insbesondere Sat.1, das bald völlig ohne Fußball dastehen könnte, hätte ein gutes Geschäft machen können. So hat die ARD ab der kommenden Saison den alleinigen Zuschlag für's Free-TV bekommen, im Bezahlfernsehen bleibt Sky an Bord. Bitter für den DFB: Die Sender zahlten sogar weniger als zuletzt. Am Interesse der Zuschauer kann das eigentlich nicht gelegen haben...

Joko und Klaas werden zur beinahe einzigen TV-Nachwuchshoffnung
Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf waren vor diesem Jahr vielen noch gar kein Begriff. Sie hatten mit "MTV Home" eine wahre Kultsendung geschaffen - doch die große Breitenwirkung hatte diese auf dem Sender MTV nicht. Ein Jahr später gibt es "MTV Home" nicht mehr, dafür sind Joko und Klaas nun in aller Munde und gelten als die große Nachwuchshoffnung des deutschen Fernsehens - vor der Kamera, aber auch hinter der Kamera mit Ideen für Konzepte. Von einer größeren Show wie "Die Rechnung geht auf uns" über "17 Meter" bis zu kleinen Comedy-Format wie "Ahnungslos" sind sie inzwischen breit vertreten. Mit "neoParadise" haben sie es sogar mit einem "MTV Home"-Nachfolger ins öffentlich-rechtliche Fernsehen geschafft. Und selbst als man die beiden für "Wetten, dass..?" ins Gespräch gebracht hat, konnte man das nicht von vornherein als völlig abwegig abtun. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht?

"The Voice of Germany" zeigt: Es geht ohne Bohlen und Bloßstellung
Dass man eine Musik-Castingshow ohne Bloßstellungen seiner Kandidaten und mit dem musikalischen Können im Mittelpunkt - also eine Art Anti-Bohlen-Veranstaltung - machen kann und damit nicht untergehen muss, hatten schon Vox mit "X Factor" und Raab mit "Unser Star für Oslo" bewiesen. Doch dass es tatsächlich gelingen kann, damit in die Quotendimensionen von "Supertalent" und "DSDS" vordringen kann, das kam dann doch überraschend. Das "Blind Auditions"-Konzept war offensichtlich so überzeugend, dass nicht einmal die von RTL eilig in Stellung gebrachte Zusatzfolge des "Supertalents" "The Voice" den Start vermiesen konnte. Und seitdem ging es auch noch sukzessive nach oben auf über 30 Prozent Marktanteil. "The Voice" ist damit die positive Show-Überraschung des Jahres.

Kai Pflaume moderiert alles in der ARD (fast)
Der Wechsel von Kai Pflaume zu den Öffentlich-Rechtlichen hat sich für Kai Pflaume bezahlt gemacht: Seit seinem Abschied von Sat.1 ist er jedenfalls im Fernsehen so präsent wie kaum ein anderer. Das "Star Quiz" übernahm er von Jörg Pilawa, es folgte die erfolgreiche Neuauflage von "Dalli Dalli" im NDR. Doch das war nicht alles: Mit "Klein gegen Groß" und "Der klügste Deutsche" feierte er am Samstagabend ebenfalls große Erfolge. Einzig als Retter des Vorabends tut er sich derzeit noch schwer: Sein Quiz "Drei bei Kai" läuft ähnlich schwach wie die "Heiter bis tödlich"-Krimis.

"Lena - Liebe meines Lebens" führt das ZDF vor
Beim ZDF dürfte man sich im Frühjahr so richtig geärgert haben. Weil die Telenovela "Lena - Liebe meines Lebens" in den ersten Monaten nur enttäuschende Marktanteile um elf Prozent erzielt hatte, entschied sich das ZDF nicht nur, die Serie nach 180 Folgen einzustellen, sondern wollte nicht einmal das Ende abwarten. Um Platz für die neue Ärzte-Daily "Herzflimmern" zu schaffen, wurde die Serie in den Vormittag verbannt. Das Dumme daran: Zwei Wochen vor der Straf-Versetzung zogen die "Lena"-Quoten plötzlich an und erreichten im Schnitt über 13 Prozent Marktanteil - genau das, was ZDF-Programmdirektor Bellut vom Nachfolger "Herzflimmern" erwartet hatte. Das wäre allein schon ein wenig ärgerlich gewesen - doch schnell stellte sich heraus, dass "Herzflimmern" ein großer Flop sein würde. Kurios: "Lena" erreichte am Vormittag teils Marktanteile von über 20 Prozent und oft sogar mehr Zuschauer als "Herzflimmern" am Nachmittag - das Aus konnte aber nicht verhindert werden. Und auch "Herzflimmern" ist übrigens bald Geschichte.

Steven Gätjen feiert sein Moderations-Comeback - und was für eins
Der erste Aufschrei des Erstaunens ging am 17. Mai durch die Redaktion, als die ARD bekannt gab, dass Matthias Opdenhövel seinen Job bei ProSieben und damit auch die Moderation von "Schlag den Raab" an den Nagel hängt, um die "Sportschau" zu moderieren. Doch noch viel verwunderter waren wir, als ProSieben nur Stunden später einen Nachfolger präsentieren konnte, den wohl kaum jemand auf der Rechnung hatte: Steven Gätjen. Der war zwar ein gefragter Moderator von Film-Premieren und ähnlichem - doch im TV war er in den letzten Jahren allenfalls durch einige Einsätze am Roten Teppich und bei den "Sommermädchen" aufgefallen - nicht gerade Dinge, mit denen man sich für die größte Moderations-Aufgabe, die ein Sender hat, empfehlen kann. Um so überraschender die Aussage von ProSieben-Chef Hörner: "'Schlag den Raab' ist eine der erfolgreichsten Shows im deutschen Fernsehen. Dafür kommen nur die Besten in Frage." Doch allen Unkenrufen zum Trotz beweist Gätjen derzeit, dass er keine schlechte Wahl war. Und er übernahm inzwischen nicht nur auch "Schlag den Star" von Opdenhövel, demnächst steht er dank "Unser Star für Baku" sogar auch im Ersten vor der Kamera. Gätjen feierte damit das vielleicht fulminanteste Comeback des letzten Jahres im deutschen Fernsehen.

Oliver Pocher gibt bei Sky den seriösen Moderator
Nach der Einstellung seiner wenig erfolgreichen Show fand man bei Sat.1 keinen Platz mehr für Oliver Pocher. Und doch kam die Meldung, dass Pocher künftig für Sky tätig ist, überraschend - nicht zuletzt, weil er dort in erster Linie nicht auf Klamauk setzen soll. Das gelingt ihm überraschend gut: Seit August moderiert er zusammen mit Jessica Kastrop die Sportshow "Samstag Live", in der er sich von einer ganz anderen Seite präsentiert. Dass er oft sogar vor weniger als 100.000 Zuschauern moderiert, stört ihn offenbar wenig. Diejenigen, die ihn sehen, sehen jedenfalls einen anderen Pocher als früher.

Opdenhövel gibt "Schlag den Raab" auf, um Sport-Berichte anzusagen
Ziemlich überraschend kam der Wechsel von Matthias Opdenhövel zur ARD - der bisherige Moderator von "Schlag den Raab" führt seit Sommer durch die "Sportschau" im Ersten und erfüllte sich damit nach eigenem Bekunden seinen Jugendtraum. "Ich finde, die ARD ist Champions League, ganz ehrlich", sagte er nach Bekanntwerden seiner Entscheidung. Nur schade, dass er sich nicht mehr von den "Schlag den Raab"-Zuschauern verabschieden konnte - binnen kürzester Zeit stellte ProSieben nämlich seinen Nachfolger vor. Opdenhövel stört's wohl nicht, er sagt lieber Sportberichte an. Und bekommt noch mehr zu tun: Skispringen, Fußball-EM und Olympia stehen ebenso auf seinem Plan wie eine neue Samstagabendshow im Ersten.

Julia Leischik lässt sich auf das Abenteuer Sat.1 ein
Mit "Vermisst" hatte Julia Leischik bei RTL ein überaus quotenstarkes Dokusoap-Format, mit "Verzeih mir" gelang es zudem Anfang des Jahres, noch einen zweiten Erfolg zu landen. Leischik hätte sich angesichts dessen zurücklehnen können und den Erfolg zumindest noch über einige Jahre genießen. Doch völlig überraschend kündigte sie zur Jahresmitte ihren Wechsel zu Sat.1 an - also zu einem Sender, der in Sachen Dokusoap in den letzten Jahren quasi gar nichts auf die Reihe gebracht hat. Dort wird sie bald ganz ähnliche Sendungen wie bei RTL moderieren. Doch dass sie damit ähnlich hohe Zuschauerzahlen erreichen kann, erscheint doch recht fraglich.

Das noch immer hochdefizitäre Sky startet einen Sport-Nachrichtensender
Sky stand in den letzten Jahren mehrfach am Abgrund und konnte nur durch Finanzspritzen in dreistelliger Millionenhöhe durch den Hauptaktionär News Corp. überhaupt vor der Pleite gerettet werden. Da könnte man meinen, dass das Unternehmen gerade wichtigere Baustellen hat, als plötzlich einen eigenen Sender aus dem Boden zu stampfen. Doch genau das hat Sky Deutschland-Chef Brian Sullivan gemacht: Seit kurzem betreibt Sky mit Sky Sport News HD einen eigenen Sport-Nachrichtensender - und der ist dank großer Redaktion sicher nicht billig. Und ob er als Abo-Grund für potentielle Neukunden dienen kann, scheint auch sehr fraglich. Doch immerhin konnte Sky damit mal Schlagzeilen abseits der wirtschaftlich zwar sich langsam bessernden, aber noch immer tiefroten Zahlen machen.

Die deutsche Pay-TV-Branche bringt ihre erste Serien-Eigenproduktion hervor
In den USA kommen die meistgefeierten Serien-Hits häufig nicht von den großen Free-TV-Networks, sondern von Pay-TV-Sendern wie HBO oder auch Basic Cable-Sendern wie AMC. In Deutschland hingegen traute sich bislang keiner der Bezahlsender an den Versuch, eine eigene fiktionale Serie an den Start zu bringen - bis jetzt. Und es ist nicht Sky, sondern Turner mit seinem Sender TNT Serie, der sich nun mit "Add a friend" traut, dieses ungewohnte Terrain zu beschreiten. Man kann Turner nur Erfolg wünschen, damit sich weitere Nachahmer finden. Dem deutschen Fernsehen stünde das gut zu Gesicht - und die deutsche Produzenten-Landschaft würde mit jubeln.