Seal Team© CBS
Special Units: Die Amerikaner, ihr Pathos und ihre Helden

Hin und wieder konnte man bei den diesjährigen Screenings die Seufzer des internationalen Publikums hören. Ein Trend in diesem Jahr waren Spezialeinheiten. Elite-Einheiten der Elite-Einheiten. Und wenn die Besten der Besten dann eifrig Amerika retten, dann geschieht das nicht ohne sehr dick aufgetragenen Pathos und eine gewaltverherrlichende Coolness. Das war mitunter zu viel. International dürften es diese Serien schwer haben. Das gilt besonders für „The Brave“ (NBC Universal für NBC), aber auch „Seal Team“ (CBS für CBS, Foto). Leichter verdaulich waren „S.W.A.T.“ (Sony für CBS) und der Hybrid aus Militär und Beziehungsdrama, „Valor“ (CBS für The CW).

The Gifted© Fox
Keep it coming: Immer mehr Superhelden-Serien

Wenn man bedenkt, dass Superhelden-Branchenprimus Marvel vor gerade einmal vier Jahren mit „Agents of S.H.I.E.L.D.“ in die Produktion von TV-Serien eingestiegen ist, dann kann man wohl sagen: Der im Kino begonnene Boom der Superhelden-Storys hat das US-Fernsehen in Rekordtempo vereinnahmt. Kaum ein Sender bzw. eine Plattform kann sich diesem Trend entziehen. Es ist also kein Wunder, dass auch bei den diesjährigen Screenings wieder zahlreiche neue Projekte dabei waren, darunter „The Gifted“ (Fox für Fox), „Inhumans“ (Disney/ABC für ABC), “Cloak & Dagger“ (Disney/ABC für Freeform), “Runaways” (Disney/ABC für Hulu), „Black Lightning“ (Warner Bros. für The CW) und „Krypton“ (Warner Bros. für Syfy). Von einigen dieser Serien gab es allerdings nur Trailer, noch keine Piloten zu sehen.

Gospel of Kevin© ABC
Find your place in life: Sinnsuche in großer Variation


Ein klares Gegengewicht zur Flut der Superhelden und Spezialeinheiten bildet in diesem Jahr eine auffallend große Anzahl an Serien, die sich - mal ganz offensichtlich, mal unterschwellig - mit der Suche nach dem Sinn des Lebens und dem eigenen Platz in dieser Welt beschäftigen. Das passiert sowohl in Form einiger Comedyserien als auch Dramas. Sie alle eint Charaktere, die sich privat, beruflich oder gesundheitlich bedingt vor einer großen Sinnfrage stehen sehen. Dazu gehören u.a. „Alone Together“ (Disney/ABC für Freeform), „Gospel of Kevin" (Disney/ABC für ABC, Foto), „Me, myself & i“ (Warner Bros für CBS), „Splitting up together“ (Warner Bros. für ABC) oder „Life sentence“ (Warner Bros. für The CW).

Back to basics: Der Trend der kurzen Event-Serie ebbt ab

2014, 2015 und auch noch 2016 wollten die großen Networks dem neuen Subgenre der Mini- oder Eventserie nacheifern. Mit noch weniger als einer klassischen halben Staffelorder (meist 13 Episoden) sollte eine große Geschichte in kurzer Form erzählt werden. Die großen US-Networks erhofften sich so neue Einschaltimpulse auch während einer TV-Saison, die längst nicht mehr so kontinuierlich programmiert wird, wie vor zehn Jahren. Doch die internationalen Einkäufer waren keine Fans. Einige wenige Serien ließen sich als Event z.B. auch in Deutschland gut programmieren. Doch in erster Linie suchen die internationalen Einkäufer (der meist werbefinanzierten Sender) erfolgreiche neue Procedurals - also Serien mit abgeschlossenen Handlungen pro Folge. Vom nächsten Hit eines „CSI“-Kalibers träumen alle. In der Form gab es daher in diesem Jahr weniger Experimente und mehr klassische Erzählmuster zu sehen.

Instinct© CBS
Crime with a twist: Ungewöhnliche Verbrecherjagd


Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett - und die LA Screenings können auch nicht ohne. Das weltweit beliebteste Fernsehgenre braucht schließlich Nachschub und Hollywood kann liefern. Um sich abzuheben, braucht inzwischen jede Krimiserie ihren eigenen Twist. Waren vor einigen Jahren ungleiche Ermittlerpaare im Trend, erleben wir u.a. durch „Blacklist“ und „Lucifer“ die Entwicklung hin zu ungewöhnlichen Beratern. In diesem Jahr soll bei „Deception“ (Warner Bros. für NBC) ein Magier helfen und bei „Wisdom of the crowd“ (CBS für CBS) spielt Jeremy Piven einen Silicon Valley-Milliardär, der eine Crowdsourcing-App für die Verbrechensbekämpfung erfunden hat. Beide Pilotepisoden waren besser als man befürchten konnte. Ein echtes Highlight: „Instinct“ (CBS für CBS, Foto) mit Alan Cumming als verschrobenem Professor für Psychologie.

Sleeping with your boss: Der dramaturgische Trend des Jahres

Neu ist dieser dramaturgische Kniff natürlich nicht, aber bei den diesjährigen LA Screenings war er penetrant oft zu beobachten bei den gezeigten Pilotepisoden: Gemeint ist die Liaison mit dem Vorgesetzten, der Vorgesetzten oder einfach nur Kollegen. Stets natürlich anfangs noch ganz geheim und damit potentiell kompromittierend. Schon klar: So lässt sich sehr schnell die Grundlage legen für Konflikte in den kommenden Folgen einer Serie. In anderen Jahren war es schon mal mit Vorliebe die noch unklare, dunkle Vergangenheit einer der Protagonisten, die für vermeintliche Tiefe der Figuren und einen die Staffel überspannenden Bogen sorgen soll. In diesem Jahr sind geheime, verbotene oder mindestens ungünstige Beziehungen.

Young Sheldon© Warner Bros.
„Young Sheldon“: An dieser Comedy scheiden sich die Geister

Kaum eine Pilotfolge wurde in diesem Jahr mit so großer Neugier erwartet wie die des „Big Bang Theory“-Ablegers „Young Sheldon“, was angesichts des enormen Erfolgs von „TBBT“ weltweit keine Überraschung ist. Die Serie erzählt vom Leben des neun-jährigen Sheldon, gespielt vom tatsächlich neun Jahre alten Iain Armitage (der - nebenbei bemerkt - bei YouTube Theaterkritiken veröffentlicht. Kein Scherz!). Bei Warner Bros. ist man stolz darauf, dass sich die Serie spürbar von „The Big Bang Theory“ abhebt. So ist „Young Sheldon“ keine Multicamera-Sitcom sondern Single-Camera-Comedy. Doch obwohl die Serie sehr charmant und die Lacher im Publikum zahlreich und laut waren, so hätten sich manche Einkäufer offenbar ein leichter verdauliches Spin-Off gewünscht, das näher dran ist am Welterfolg von „The Big Bang Theory“.

Men strike back: Weniger Frauen-Power in Hauptrollen

Ausgelöst einst u.a. durch den Erfolg von „The Good Wife“ mit Julianna Margulies, aber so richtig befeuert durch den Erfolg von „Scandal“ mit Hauptdarstellerin Kerry Washington und Produzentin Shonda Rhimes (die auch Viola Davis ihre Hauptrolle in „How to get away with murder“ gab), konnte man bei den LA Screenings der vergangenen drei Jahre mehrere Serien begutachten, die auf eine starke Frontfrau zugeschnitten waren. Lässt man die vorgestellten Serienpiloten 2017 nach all den Screenings in Los Angeles rekapitulieren, fällt auf: Es mangelt nicht an starken Frauenfiguren, aber der Drang, die nächste Olivia Pope oder Alicia Florrick zu finden, hat offenbar vorerst abgenommen. Stattdessen gibt es berufliche wie private Paare und viele Ensemble-Serien.

Life sentence© Warner Bros.
This is not us: Überraschenderweise keine Kopien des NBC-Hits


Auch wenn man bei CBS relativ trotzig erwähnt, dass die eigene Serie „Bull“ in der vergangenen Saison nach Zuschauerzahlen erfolgreicher gewesen sei als die Familienserie „This is us“ drüben bei NBC, so räumt man auch dort ein: Die Konkurrenz hatte die meist gehypte Serie der vergangenen Saison mit ungleich mehr Buzz parallel zur Ausstrahlung. Umso bemerkenswerter ist  bei den diesjährigen Screenings die Tatsache, dass es kaum „This is us“-Kopien gibt. Hier und da spürt man den Hauch emotionaler Familiengeschichten (etwa bei „Life sentence“ von Warner, Foto), aber nur dezent. An dem kniffligen Genre der Familienserie wollte sich dann offenbar doch kaum jemand die Finger verbrennen.

9JKL© CBS
Comedy evolving: Es gab kaum klassische Sitcoms


Bitter, besonders für ProSiebenSat.1: Es gab bei den Screenings der vergangenen Tage kaum neue Sitcoms klassischer Machart zu sehen. Nachschub für das nimmersatte Sitcom-Programm von ProSieben war Fehlanzeige. An Comedyserien mangelte es nicht, doch statt auf gut wiederholbaren Schenkelklopfer-Humor setzen viele auf sich entwickelnde Charaktere und Stoylines. Andere sind zu ruhig oder erwachsen für die ProSieben-Rotation. Es gab insgesamt weit mehr Single-Camera-Comedy als Multicamera-Sitcoms in diesem Jahr. Und wenn, dann so grausame Produktionen wie „By the book“ (Warner für CBS). Kein Wunder, dass auch von den internationalen Einkäufern umso sehnsüchtiger das Comeback von „Will & Grace“ (NBC Universal für NBC) erwartet wird. Ein seltener Lichtblick war das sehr witzige "9JKL" (CBS für CBS, Foto).

The Good Doctor© Sony
„The Good Doctor“: Ein potentieller Lichtblick für RTL

Medicals waren schon einmal zahlreicher vertreten bei den LA Screenings, doch auch in diesem Jahr gab es neue Arztserien zu sehen. Fox präsentierte „The Resident“ (für Fox), aber weitaus mehr Buzz generierte in den vergangenen Tagen die Sony-Produktion „The Good Doctor“. Produziert von David Shore, der auch schon „House“ verantwortete, erzählt die Serie vom Klinikalltag eines hochqualifizierten Chirurgen mit Asperger Syndrom. In der Hauptrolle sehr stark: Freddie Highmore („Bates Motel“). Einen Preis für Innovation wird die Serie nicht gewinnen. Dafür sorgte „The Good Doctor“ beim Sony Screening für einen der wenigen positiven Gänsehaut-Momente der vergangenen Tage.

Programmhinweis: Heute um 19 Uhr deutscher Zeit meldet sich DWDL.de-Chefredakteur Thomas Lückerath via Facebook live aus Los Angeles und beantwortet Fragen zu den LA Screenings, den Trends und Highlights.

Anfang kommender Woche veröffentlicht DWDL.de wie gewohnt das große Screening-Fazit der deutschen TV-Einkäufer: Welche Serien konnten sie besonders überzeugen? Welche Studios haben in diesem Jahr punkten können? Welche Trends sind aufgefallen?