Das Leben ist voller Wunder. Kürzlich durfte ich beispielsweise lernen, dass es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Bundesopiumstelle gibt. Diese erteilt auf der Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes „die Erlaubnisse zur Teilnahme am legalen Verkehr mit Betäubungsmitteln und Grundstoffen.“ Seitdem frage ich mich, ob diese Bundesopiumstelle nicht auch ein bisschen für jene Grundstoffe zuständig ist, die in medialen Kreisen so kursieren. Ich meine jetzt nicht David Hasselhoffs Versuche, im Big-Brother-Container den Zungenbrecher „Gibst du Opi Opium, bringt Opium Opi um“ zu bewältigen.

Nein, ich träume eher davon, dass eine Stelle, die etwas erlaubt, auch etwas verbieten kann. Wenn man schon für Betäubungsmittel und Grundstoffe zuständig ist, dann kann man als Bundesopiumstelle doch durchaus auch Betäubungsmittel und Grundstoffe aus dem öffentlichen Verkehr ziehen. Mir wäre zum Beispiel sehr daran gelegen, wenn Redakteuren von Fernsehsendungen untersagt würde, allzu oft am Hashtag-Pfeifchen zu ziehen oder sich zu viel Vox Populi reinzupfeifen. Das hat nämlich durchaus unangenehme Folgen. Auf das Programm.

Was auf den ersten Blick wirkt wie eine Bereicherung der üblichen Berichterstattung, kommt in Wahrheit einer Entkernung gleich. Auf allen Sendern werden Zuschauer aufgefordert, ihre Meinung kundzutun, zu kommentieren, zu kritisieren. Per Twitter, auf Facebook oder sonstwie. Die „Aktuelle Stunde“, das Flaggschiff des WDR-Regionalen, bietet beispielsweise eine App an. Mit der können Zuschauer abstimmen, was bedeutet, dass sie zwischen vorgefertigten Meinungsbekundungen die am wenigsten doofe wählen. Sie können natürlich auch auf Daumen hoch oder Daumen runter klicken. Das Ergebnis lesen die Moderatoren dann im besten Fall am Schluss der Sendung vor. Das heißt, sie lesen ein zwei Meinungen vor, die ihnen gerade in den Kram passen, und das war es dann. Der Rest ist Schweigen. 

Die Akteure glauben in solchen Fällen, sie befänden sich mitten drin im Social-Media-Wirbel. Die Redakteure halten sich zudem für dolle Hechte, weil sie unfallfrei Hashtag sagen können. Dabei missbrauchen sie die online geäußerten Meinungen in der Regel aber nur, um eine vorgegebene Meinung zu unterfüttern. Sie wirken zudem ein bisschen wie Schreiber, die ihre Artikel heute noch beginnen mit „Wenn man bei Google xyz eingibt, dann erhält man ganz viele Einträge.“

Nichts gegen eine ordentliche Diskussion in den Kommentarspalten. Da gehört sie hin, da macht sie Sinn (Liebe Lehrer und Menschen mit regelmäßiger Korinthenablagerung in der Keramik: Ich weiß, dass die Formulierung „macht Sinn“ falsch ist. Ich erliege aber halt gerne mal der Versuchung, dem Rhythmus und meinem Schreibvergnügen die eine oder andere Regel zu opfern). Es gibt ein Für und Wider, es geht hoch her, und das Eine bezieht sich auf das Andere.

Was aber passiert, wenn Einträge aus dem Zusammenhang gerissen werden? Richtig: Nichts. Bestenfalls unterfüttern sie die Meinung des Redakteurs, die dieser nicht zu äußern wagte. Das ist nichts Neues, das war schon immer schon so. Wenn bisher der Autor eines Textes seine ganz persönliche Auffassung transportieren wollte, dann hat er dies selten selbst geäußert. Stattdessen suchte er sich einen angeblich kundigen Menschen und packte unter dessen Aussage das Insert „Experte“. Das war oft sehr mühsam, denn solche „Experten“ müssen nun mal verfügbar und abfilmbar sein, am besten vor einer Bücherwand oder beim Malträtieren eines aufgeklappten Notebooks.

Da ist die Sache mit Twitter und Facebook schon viel einfacher. Ihr Einsatz lässt sie auf der Simplizitätsskala noch höher rangieren als die üblichen Straßenumfragen. Die werden von denkfaulen Redakteuren allerdings auch weiterhin in Auftrag gegeben und in der Regel von Praktikanten in der nächstliegenden Fußgängerzone erledigt. Die Praktikanten beginnen ihre Überfälle auf ahnungslose Passanten gerne mal mit den Worten „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass…?“ Oder sie präsentieren den Opfern Fragen, auf die man sehr leicht falsch antworten kann. Man fragt dann nach einem erfolglosen indischen Schriftsteller, nach einer seltsamen Krankheit oder nach dem Sinn der ARD.

Oder man stellt drei Schaufensterpuppen auf und kleidet sie mit unterschiedlich teuren Klamotten. Erraten werden soll dann, welche Kleidung wie teuer ist. Natürlich tippen fast alle falsch. Aus dem Ergebnis konstruiert man dann einen unbedingten Aufklärungsbedarf. Beim WDR reicht so etwas für die Produktion von mindestens drei Check-Sendungen.

Am Ende stehen dann Sendungen, die schwer modern wirken sollen, weil sie ja entweder was mit social media machen oder Vox populi ein Ohr leihen. Oder beides. Ja, so kann man Fernsehen machen, wenn man extrem faul ist und trotzdem hip wirken will. So etwas macht vor allem Eindruck auf praxisferne Hierarchen, die hernach in Interviews berichten, wie sehr ihr Sender doch auf dem Laufenden ist. Man erinnere sich nur mal, mit welcher Freude Tom Buhrow die „Aktuelle Stunde“-App hochlobte, als könne man damit demnächst zum Mars fliegen.

Ich möchte gerne, dass das aufhört, dass diese Redakteursdarsteller in den Funkhäusern aus ihrem FacebookTwitterUmfrage-Rausch gerissen werden. Genau hier kommt die Bundesopiumstelle ins Spiel. Die soll den Missbrauch all dieser Dinge einfach mal eine Weile verbieten oder nur noch auf Rezept erlauben. Das deutsche Fernsehen wäre dann möglicherweise für eine Weile ein bisschen besser.

Und bevor sich in den Kommentaren irgendwer zu einer Ferndiagnose aufschwingt. Auf die Produktion dieser Zeilen haben lediglich folgende Grundstoffe Einfluss genommen: 400 ml „Flirt Zero Zitrone“ und sechs „Ja Schokotatzen“. Sonst nichts. Alles von der Bundesopiumstelle freigegeben.