„Das ist ja Wahnsinn.“ Sven Lorig gibt sich entsetzt. Der Grund seines überzogenen Erstaunens sind Lebensmittelpreise, die stark gestiegen sind. Butter ist 25 Prozent teurer geworden. Und die Milch zehn Prozent. Ja, glaubt man’s denn! Das ist ja ein richtiger Hammer. Oder wie Sven Lorig es im Morgenmagazin der ARD ausdrücken würde: „Das ist ja Wahnsinn.“

Ja, das ist Wahnsinn. Aber es sind nicht die Lebensmittelpreise, die mich veranlassen, in den Lorigschen Tenor einzustimmen. Es ist vor allem diese pseudoaufklärerische Art der Fernsehmenschen, eine Selbstverständlichkeit in die Sensation zu reden. Das allerdings ist gar nicht so leicht, denn bevor man eine Tatsache, die jeder aus der Zeitung oder persönlicher Auffassung lange schon weiß, zur Sensation aufblasen kann, muss man erst einmal den Boden dafür bereiten. Kurz gesagt: Man muss den Zuschauer für strunzdumm erklären und ihm vorführen, dass er genau das ist, was die Fernsehmacher von ihm denken.

Beim vom WDR gestalteten ARD-Morgenmagazin funktionierte das vergangene Woche wieder einmal prima per Straßenumfrage. Straßenumfragen eignen sich besonders, um den kleinen Mann da draußen auf der Straße als praktisch reif für die Entmündigung zu outen. Straßenumfragen werden gerne genommen. Dann bauen die öffentlich-rechtlichen Pseudorechercheure irgendwo in einer Fußgängerzone einen Stand auf und holen sich willige Passanten heran. Die werden dann gebeten, ein paar am Stand gezeigte Dinge zu probieren, zu bewerten oder einzuordnen.

Das ist ein Trick, den man kennt aus den billigst zusammengestrickten Haushaltschecks, also diesen sehr erfolgreichen Sendungen, in denen der WDR so tut, als entlarve er nun endlich mal wirtschaftliche Zusammenhänge. Da mussten dann Menschen schon Dinge probieren, von denen sie nicht wussten, welcher Herkunft sie entstammen. Fast Food etwa, das nicht so schmeckte, wie der später enttarnte Name vermuten ließe. Wer hätte das gedacht?

Oder es stellt sich Yvonne Willicks, die Ursula von der Leyen des WDR-Verbraucherschutzministeriums, arglosen Bürgern in den Weg und verlangt von ihnen, mal eben schnell zu entscheiden, welches der ausgehängten Kleidungsstücke vom Discounter und welches vom Edelcouturier stammt. Natürlich liegen ganz viele falsch. Das müssen sie auch, denn sonst macht diese Art von Aufklärungsvortäuschung ja keinen Sinn. Je mehr Fehler die Passanten machen, desto schlauer wirkt Yvonne Willicks.

Nun könnte man lange die Frage diskutieren, ob nicht allein der Anblick von Yvonne Willicks ausreicht, dem Menschen sämtliche Kenntnis von irgendwas auszutreiben. Wer kann schon damit umgehen, wenn Super-Yvonne ihm den Weg verstellt und ihre Ich-bin-ja-so-was-von-patent-Vorstellung abzieht? Aber das soll hier nicht Thema sein, denn wichtig ist ja, dass die Fernsehmacher aus dem von ihnen selbst erzeugten Versagen der Passanten den Schluss ziehen, dass dringender Aufklärungsbedarf besteht.

Bei der Sache mit den Kleidungsstücken lautete die abschließende Weisheit natürlich, dass man Kleidungsstücken nicht immer ansieht, wie teuer sie wirklich waren. Die Schlussfolgerung ist dann zwingend: Augen auf beim Kleidungskauf. Oder, wie Sven Lorig es sagen würde. „Das ist ja Wahnsinn.“

Der zu Lorigs Statement gehörige Test spielte sich in der Bremer Fußgängerzone ab. Dort stand ein Tisch, auf dem ein Liter Milch, ein Päckchen Butter, eine Tomate und ein Salatkopf zur Auswahl standen. Die mussten die Passanten den Aussagen „billiger“ und „teurer“ zuordnen, was am Ende aber nur einer Frau gelang. „War aber auch schwierig“, besänftigte die Off-Stimme. Ja, schwierig muss so etwas sein. Oder nein, es muss nicht schwierig sein, es muss schwierig aussehen. Denn nur wenn es schwierig aussieht, kann der Moderator im Studio danach die Sache regeln.

Lorig tat das im Gespräch mit einer Fachfrau. Die sagte dann das, was man auch während der Aktion schon im Nebensatz erfahren konnte, dass Gemüsepreise eben stark schwanken, je nach Ernte und Marktlage. Will man die Essenz dieser ganzen Aktion im Morgenmagazin auf den Punkt bringen, könnte man sagen: Manches wird teurer, manches billiger, je nachdem, kommt drauf an.

Diese vage Lage aber behagt den Moma-Menschen nicht, weshalb sie natürlich auch den passenden Passantenaussagen vorher schon breiten Raum ließen. Auf die Frage, woran man merke, dass etwas teurer oder billiger geworden sei, antwortete eine Frau wunschgemäß. „Ich merke es dann nur, wenn ich bezahle, dass ich für mein Geld nichts mehr bekomme“, sagte sie. Genau das wollen die Verbraucherschützer von der ARD hören. Alles ist teurer geworden. Das ist der Ton, der hier die Musik macht. Dem Stammtischgesülze des gemeinen Volkes wird hier eine prächtige Bühne bereitet. Ganz dreist geschieht das, wobei sich die Macher natürlich keiner Schuld bewusst sind. Sie haben ja schließlich gesagt, dass manches auch billiger wird. Formal richtig, aber der Nachhall ist das Entscheidende, und der besteht vor allem aus Lorigs Weisheit: „Das ist ja Wahnsinn.“

Nein, das ist kein Wahnsinn. Das ist auch keine Aufklärung oder Verbraucherschutz, das könnte man mit Verbraucherschmutz noch am besten umschreiben. Da wird der Dreck, den man vorgibt, dringend zusammenkehren zu müssen, vorher erst ausgeschüttet. Öffentlich-rechtliches Fernsehen im Jahre 2014. Es ist zum Heulen.