Bewegtbild ist wichtig. Das hört man immer wieder von Konzernstrategen aus der Verlagsbranche. Es muss sich was bewegen im hauseigenen Netz. Nur wenn sich was bewegt, springen die Werbekunden an. Insofern kann man es verstehen, wenn der Springer Konzern auch mehr haben will als nur Buchstaben und Fotos. Er will zeigen, was seine Starreporter machen, auch wenn die gezeigten Ergebnisse oft nicht mehr bieten als die Nachricht, dass die Reporter jetzt dort sind, wo sie gerade gefilmt werden.

Springer will was ab vom Bewegtbildkuchen. Erst recht, wenn ein solch bewegendes Spektakel wie „Ich bin ein Star - Holt mich hier raus“ einem Sender wie RTL die fetten Quoten in die Bilanz spült. Auch davon will Springer was ab.

Wie so etwas aussieht, kann man derzeit sehr schön sehen, wenn Bild.de jeden Abend die „Dschungel Show Live!“ veranstaltet. Da sitzen dann ein paar verhaltensauffällige Gestalten in einer Kulisse, die offenbar an den Dschungel erinnern soll, mit ein paar Kunstpalmen und lieblos drapierten Teekisten aber nur aussieht wie die Vorhölle eines Mittelklasse-Solariums. Die versammelten Personen sollen live RTL gucken und zum Programm ihre Kommentare geben. So weit, so gut. So weit, so billig.

Da sitzen abgehalfterte Spielshow-Moderatoren neben ehemaligen Dschungel-Bewohnern und Bachelor-Teilnehmerinnen. Dazu kommt dann noch der Bild.de-Redakteur Ingo, der regelmäßig auch Personal aus seinem offenbar eher schlüpfrigen Berichtsbereich einlädt. So war am Donnerstag etwa eine Dame anwesend, die per Insert als „Der geilste Stern am Pornohimmel“ vorgestellt wurde und die von Bild-Ingo kumpelige Investigativfragen gestellt bekam der Sorte „Ist das die Zukunft der Pornografie, was du machst?“ Kann man fragen. Ist ja Bild.de.

Man kann auch ertragen, wenn für Spielshow-Veteranen wie Jörg Draeger noch mal der Ton des Zonk eingespielt wird, wenn ausführlich in der Burnout-Vergangenheit eines Sängers gewühlt wird. Geht alles in Ordnung, ist ja Bild.de.

Aber dann gibt es Momente, die können selbst für Bild.de nicht mehr im Bereich des Ertragbaren spielen. Da läuft dann alles aus dem Ruder, und man stellt sich prompt genüsslich vor, dass man das, was man hier gerade sieht, Friede Springer oder Mathias Döpfner zum Anschauen gibt. Gerne würde ich sehen, wie deren Gesichter entgleisen, wenn sie erleben, was in ihrem Namen so alles angestellt wird. So wie am Mittwoch, als es wieder einmal so weit war. Da zeigte sich aufs Trefflichste, was Springer digital kann, wenn man den Verlag nur lässt.

Vielleicht sagt es über eine Show schon am meisten aus, wenn man sehr rasch erkennt, dass ausgerechnet Carsten Spengemann als hellste Kerze auf der Torte durchgeht, wenn man den ehemaligen Dschungelbewohner und DSDS-Ansager als richtiggehend ausgeruht und reflektiert wahrnimmt. Da weiß man noch nicht, dass die Bild am nächsten Tag verkünden wird, dass Spengemann seines Jobs und seiner Lebenspartnerin verlustig gegangen ist. „Keinen Job und keine Freundin“ verkündet das Insert dann so hämisch wie dämlich.

Spengemanns großer Vorteil an diesem Mittwoch ist sein Umfeld. Da sitzt nämlich nicht nur der Bild-Ingo, da hockt auch ein Geschöpf namens Ikke Hüftgold, ein rundlicher Kerl, den man angeblich am Ballermann kennt für seinen Hit „Dicke Titten Kartoffelsalat“. Doch, das Lied heißt so.

Neben Ikke sitzt eine Frau namens Biggi Bardot. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die hauptberuflich Brüstezeigerin am Ballermann. Das weckt natürlich das Interesse der Wissenschaft, die in Form des so genannten Medienpsychologen Jo Groebel gleich daneben sitzt. Doktor Groebel wird sonst vornehmlich von schlechten Boulevardsendungen beschäftigt, in denen er sagt, was jeder sehen kann. Er ist so etwas wie die männliche Ausgabe von Sibylle Weischenberg, nur dezenter geschminkt.

Dieser Groebel hockt nun also neben der Brüstezeigerin, und gemeinsam trinken alle grüne Kotze. So heißt auf jeden Fall ein Getränk, das Ikke mitgebracht hat und das nun ausführlich beworben wird. Wo sind eigentlich die Medienanstalten in solchen Momenten?

Dschungelshow bei Bild.de© Bild.de

Eigentlich sollen die Springerstudioinsassen ja die Dschungelshow gucken. Wie sie das tun, wird live übertragen. Da sieht man dann, wie Groebel sich einen feuchten Kehricht für das Fernsehgeschehen interessiert. Er säftelt in Richtung der Brüstefrau und trinkt sich einen. Und dann trinken sie alle noch einen. Und noch einen. Irgendwann kursiert eine Getränkedose. Auf der steht „Ständer“. Kann man auch trinken. Hat irgendwer angeblich vom Manager vom Ex-Dschungelbewohner Nico Schwanz bekommen. Prompt rollen sich alle ab. Ständer und Schwanz. Das finden sie mörderlustig.

Hugo Egon Balder hatte ja bekanntlich schon früh die Idee für die Show „Der Klügere kippt nach“, eine Talkshow, in der sich alle betrinken, und die Kamera hält drauf. Das, was Bild.de hier an diesem Mittwoch aussendet, dürfte ziemlich nah dran sein an der Vision, die Balder einst leitete, die ihm aber niemand abkaufte.

Natürlich interessiert sich keiner für das, was RTL aus dem Dschungel berichtet, alle interessieren sich nur füreinander und vor allem für sich selbst und die inneren Werte, die ein serviler Herr herbeischafft. Aus der Springer-Kantine wurde kurz zuvor ein Mixgetränk namens „Verleger“ herbei gekarrt. Das sorgt zusätzlich für Stimmung. Also erst Verleger, dann grüne Kotze und schließlich Ständer. Im Namen von Springer. Wenn der das der selige Axel wüsste.

Zwischendrin wird natürlich auch das Publikum einbezogen. „Ich fand Titten-Tanja richtig gut“, schreibt ein Zuschauer und bekommt Raum zur Verbreitung seiner restringierten, aber doch offenbar wenigstens ehrlichen Meinung. Dann geht es noch um allerletzte Tabus, zum Beispiel um die Frage, ob Frauen im Fernsehen pupsen dürfen. Ich hätte das nie geglaubt, aber in solchen Momenten sehne ich mich nach Kerner und Lanz.

Jemand will schließlich wissen, ob der Walter aus dem Dschungel wohl eine Persönlichkeitsstörung hat. Das wird ganz kurz debattiert, dann aber wieder fallengelassen. Dr. Groebel wäre der Mann, der als ausgewiesener Boulevardpraktikant so etwas klären müsste, aber Groebel interessiert sich gerade vor allem für seine Drinks, die Brüstezeigerin und dass er was zum Rauchen hat. Ab und an grinst er unter seiner Silbermähne. Das Signal ist deutlich: Groebel interessiert sich einen Scheißdreck für Walters potentielle Persönlichkeitsstörung. Groebel hat selbst eine Störung, die Groebel-Störung. Die bewirkt, dass er sich gerne im Fernsehen sieht. Er muss ins Fernsehen. Um jeden Preis. Bewegtbild ist auch für ihn wichtig. Bewegtbild speist seine Marke, die Dr.-Groebel-AG. Dass er in diesen Momenten das allerletzte Quäntchen seiner ohnehin nur noch knapp über der Nachweisgrenze messbaren Glaubwürdigkeit verspielt, merkt er nicht mehr.

Irgendwann sind alle ganz offenbar hackedicht, doch da ist der Höhepunkt noch längst nicht erreicht. „Wollt ihr dat sich die Biggi so richtig nackig macht“, fragt Ikke und holpert durchs Studio. Spengemann ist wieder mal der Klügste, denn er hat die komplett entwürdigte Szenerie längst verlassen. Groebel hat das nicht geschafft. Er klebt wie von allen guten Pflegern verlassen an seinem Stuhl, er raucht und er guckt. Als Biggi sich dann anschickt, das zu tun, was sie beruflich macht, wird es selbst dem für Springer tätigen Kameramann zuviel. Er schwenkt rüber zu Groebel und zeigt, wie der Herr Dr. Medienpsychologe raucht und guckt. Man weiß in dem Moment nicht, ob aus diesem Blick nun alternde Geilheit trieft oder nur ein heftiger Hauch von Besorgnis, dass möglicherweise dieser Auftritt ihn das letzte bisschen Reputation und so manchen Einsatz beim öffentlich-rechtlichen Gossenprodukt „Brisant“ kosten könnte.

Dschungelshow bei Bild.de© Bild.de

Derweil grölt Ikke weiter ins rote Bild-Mikrofon. „Dicke Titten Kartoffelsalat“, singt er und möchte, dass alle mitmachen. „Dicke Titten Kartoffelsalat.“

Das spätestens ist der Moment, in dem eintritt, was man nie für möglich gehalten hat. Gegen das, was hier im Namen von Axel Springer veranstaltet wird, geht RTL als Arte unter den Boulevardkanälen durch. Dort gibt es weder grüne Kotze, noch Verleger, noch Kartoffelsalat. Danke RTL.