Es gibt ja diesen berühmten Einwand, der allgemein feigen Fernsehredakteuren zugeschoben wird. „Das versteht der Zuschauer nicht.“ Gerne wird das als Argument eingeführt, wenn der Mensch vom Sender es selbst nicht mag, wenn es ihm zu kompliziert erscheint oder in der Ausführung zu teuer. Verstehen scheint extrem wichtig im Medium zu sein, und viel zu viele handeln nach der Devise, dass alle alles kapieren sollen. Das aber erweist sich als böser Fehlschluss. Wenn alle alles verstehen, ist alles gleich. Das mag demokratisch klingen, hat aber in der Kunst, und nichts anderes ist gutes Fernsehen, nichts zu suchen. Gleichmacherei gebiert alles, nur eben nichts Besonderes.
Als Schreiber kenne ich das Phänomen aus leidvoller Erfahrung. Wie oft habe ich schon zu hören bekommen, dass der Leser das so wie ich es verfasst habe nicht verstehe. Dann muss ich in einen perfekten Text einen Nebensatz einbauen, der ihm jeglichen Fluss nimmt, der das Tempo mindert, der mein Werk zerstört. Na gut, mein Werk ist nicht immer perfekt, und manchmal haben die Redakteure auch recht, aber es gibt eben doch die Fälle, wo die Angst, Josef Ödendödel oder Hermine Lieschenmüller könne etwas nicht mitbekommen, alles zerstört.
Dabei ist das Nichtverstehen eine zentrale Komponente medialer Übermittlung. Jeder Text, jede Sendung, jede Show sollte einen gewissen Grad der Überforderung beinhalten, sollte den Nutzer auffordern, sich klüger zu machen. Niemand braucht ein Medium, das immer gleich ist. Wenn ich etwas aufnehme, will ich klüger werden. Ich werde aber nicht klüger, wenn ich eh alles weiß, eh alles verstehe, eh alles voraussagen kann. Wo bleibt da der Aufforderungscharakter.
Zudem kann das Nichtverstehen auch für eine klare Positionierung sorgen. Ich schließe möglicherweise ganz bewusst bestimmte Nutzergruppen aus und mache damit klar, wer ich bin. Im Bereich der massiven Unterforderung funktioniert das seit Jahrzehnten perfekt. Karnevalssendungen und Helene-Fischer-Shows schließen jeden Menschen mit einem IQ über Raumtemperatur aus, es sei denn man pflegt einen Voyeurismus, der sich prima auch zum Glotzen bei Autobahnunfällen nutzen ließe.
Klare Positionierung ist wichtig in Zeiten, da man mit keiner Sendung mehr eine Masse erreichen kann, die den Begriff Masse wirklich rechtfertigt. Wo sich das Senderangebot immer weiter fragmentiert, ist es wichtig, Stellung zu beziehen. Wer sich abgrenzt vom Anspruch, alle erreichen zu wollen, signalisiert seiner Zielgruppe: Wir sind für euch da und nur für euch. Alle anderen sollen sich gefälligst verflüchtigen.
Wie das funktionieren kann, zeigt Jan Böhmermann derzeit sehr schön exemplarisch mit seinem Neo Magazin Royale. Er schert sich einen Dreck um den Anspruch, eine Masse erreichen zu können, er setzt auf die Nische, und das macht er ziemlich gut.
Wie gut er das macht, habe ich beim Anschauen der ersten beiden Folgen erleben können. Ich habe beide Ausgaben mit, sagen wir mal, älteren Menschen geschaut, denen so etwas wie Böhmermann sonst eher selten über den Lebensweg läuft. Heißa, war das ein Fest, als meine Mitseher so ziemlich gar nichts kapierten. Was denn ein Hipster sei, wollten sie früh wissen, und dann kam noch die Frage, ob der englische Ausdruck Beef nicht mehr für Fleisch stehe. Es gab noch weitere Fragen. Ob die Nutzung von Hashtags nicht eigentlich verboten sei, wollte jemand wissen, und was es mit dem Insert #ungefickt auf sich habe.
Ich habe meinen Mitsehern dann nichts erzählt von unwilligen Mediakraft-Deserteuren mit Longboard. Ich habe ihnen stattdessen gesagt, dass sie all das schon verstehen würden, wenn sie denn Kontakt zu Menschen unter 40 hätten. Dann wüssten sie auch, mit welchem Sänger Sophia Thomalla privat zusammen ist. So etwas weiß man, wenn man zur Zielgruppe von Böhmermann gehört. Wenn man so etwas nicht weiß, gehört man nicht zur Zielgruppe von Böhmermann.
Im Gegenzug muss die Hashtag-gestählte Zielgruppe dann lernen, wer Peter Tauber ist, der twitternde Generalsekretär der CDU. So kann Bildung auch funktionieren. Ich mache mich über jemanden lustig, fördere aber damit den Wunsch, mich mal mit der Person und seinem Wirken auseinanderzusetzen. Schließlich will ich ja wissen, warum es Böhmermann für lustig hält, einen Lied über einen joggenden Politiker mit Bekenntnisdrang zu singen.
Das macht über weite Strecken keinen Sinn, aber dafür oft großen Spaß. Böhmermann schert sich einen Dreck um das große Publikum. Er schert sich letztlich auch einen Dreck um seine Zielgruppe, er ist seine eigene Zielgruppe. Er und seine ziemlich genialen Macher von der Kölner Bild- und Tonfabrik (BTF) machen letztlich das Programm, das ihnen selbst gefallen würde. Genau so funktioniert gutes Fernsehen, funktioniert gute Kunst. Ein Mensch macht, was er meint, machen zu müssen. Und weil er es mit Überzeugung macht, schaut man ihm gerne zu, wenn man denn ein bisschen Sympathie hegt mit seiner Position. Man muss Böhmermann also nicht mögen, nur seine Position sollte man attraktiv finden. Dann funktioniert das Neo Magazin Royale auch, dann könnte es sogar sein, dass die Sendung bei ihrer Ausstrahlung nach Mitternacht den einen oder andere Zuschauer unter 100 anzieht. Das würde dann ein winziges bisschen den Altersschnitt der ZDF-Zuschauer senken. Und das würde am Ende sogar der Intendant verstehen.