„Oh Gott, wie ich mich freue.“ Ach, das ist so ein Satz, der das Herz erwärmt. Da freut sich jemand. Und er freut sich nicht einfach so. Er freut sich mit dem ganzen Körper. Das Gesicht strahlt, als müsste es für fünf Hochzeitsfotos reichen. Das mit der Übertreibung ist wichtig. Ohne Übertreibung geht es nämlich nicht bei „Rote Rosen“, der Lüneburger Telenovela, die seit 1981 Folgen das Frühnachmittagsprogramm des Ersten mit Schicksal verklebt.

Es ist ein grauenhaft heimeliger Ort, dieses Lüneburg. Also zumindest der Ort, der in den Ansichtskarten-Zwischenschnitten gezeigt wird. Da scheint ständig die Sonne über pittoreske Backsteinbauten, nachts haben alle Lichter über dem Kopfsteinpflaster eine Aura, und von oben blinzelt ein Stern herab. Willkommen in der televisionären Vorhölle.

Ich wusste immer schon, dass am ARD-Nachmittag nicht das läuft, was die Beschwörungsformeln von Intendanten und Ministerpräsidenten allgemein versprechen. Die faseln von Qualität und von Bildungsauftrag, und dann sieht man „Rote Rosen“ und ist fassungslos. Ich habe mir das eine Weile angetan, bin aber zu einem Punkt gelangt, an dem ich nicht weiter zuschauen kann, weil alles so gnadenlos billig daherkommt. Zum Beispiel die Kulisse, die eine seltsame Mischung ist aus Tine Wittlers IKEA-Kitsch und patiniertem Trödelhorror. Dazu kommen Drehbücher, mit denen man bei jedem halbwegs vernunftbegabten Menschen augenblicklich eine Magenkolik auslösen könnte. Schnell keimt da Mitleid. Die armen Schauspieler, sie können doch nichts dafür. Sie wirken wie Flüchtlinge, die niemand sonst wollte, die nun aber hier ein Zuhause gefunden haben, ein Asyl für mimische Minderleister.

Weil sie es bei „Rote Rosen“ offenbar schön kuschelig haben, müssen sie im Gegenzug Sätze sagen, bei denen sich jedem Menschen mit einem Restbestand an Urteilsvermögen die Zunge kräuseln müsste.

Da klingt alles wie frisch aus dem Pathostöpfchen gezogen. Besonders beliebt sind dabei Sätze, die Einsicht vermitteln. „Ja, ich habe gelogen, es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, warum.“ Das ist so ein willkürlich aus dem Zusammenhang gerissenes Beispiel. Aber man muss nicht lange nach dem nächsten suchen. „Liebe ohne Vertrauen, das geht einfach nicht, egal, was man in der Vergangenheit erlebt hat.“ Noch einer gefällig? Voila. „Spar dir deine Schmeicheleien, ich habe dich durchschaut.“

Zwischendrin soßt Musik, die man früher bei jeder Margarine-Werbung als zu klebrig abgelehnt hätte, und dann sind wieder Menschen zu sehen, die überbedeutsam schauen, sehr akzentuiert sprechen und dann wieder Sätze wie Schleimspuren absondern. „Du bist doch heute mein Gast, der entzückendste, den ich mir vorstellen kann.“ Brrrrr!

Wohlgemerkt, die Sätze sind nur einer Folge entnommen und da auch nur einer 20-Minuten-Sequenz, aber sie stehen beispielhaft für das Gesamtwerk. Die eigentliche Handlung ist da ohne Belang. Irgendwelche Menschen lieben sich, missverstehen sich, betrügen einander, zeigen Einsicht oder werden erwischt, und am Ende einer Folge erholen sich möglichst viele Menschen mit einem guten Ausgang von den frisch überstandenen Schicksalsschlägen.

Man fragt sich, wie sich Menschen fühlen, die so etwas herstellen. Was schauen die im Fernsehen? Schauen die überhaupt noch Fernsehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man noch Fernsehen schauen kann, wenn man so etwas verbrochen hat. Aber die Täter vor Ort sind ja gar nicht mal so das Problem. Es sind jene, die so etwas zulassen, die so etwas noch als Qualitätsprogramm verkaufen.

Ja, ich weiß, die Senioren, die tagsüber fernsehen, brauchen etwas, das sie wieder runterholt, wenn sie von ecstasygleichen Sendungen wie dem ARD-Buffet und dem Mittagsmagazin aufgeputscht wurden. Da kommt eine Folge „Rote Rosen“ sicherlich billiger als eine Wagenladung Valium. Warum aber muss so etwas im öffentlich-rechtlichen Auftrag entstehen? Dagegen ist doch selbst die „Lindenstraße“ ganz großes Theater.

Ich würde gerne Intendanten und Programmdirektoren der ARD einladen, einen Nachmittag lang mal in dieser Fernsehen gewordenen Sülze zu baden, zu erleben, mit welcher Anspruchslosigkeit hier Senioren sediert werden. Da würde hinterher keiner mehr kommen und von Qualität reden. Vielmehr würde die Einsicht keimen: Das haben unsere Alten nicht verdient.

Ich versuche jetzt, mich von meinem Selbstversuch zu erholen. Und wenn ich wieder laufen kann, begebe ich mich in eine Klinik und schaue mir unter ärztlicher Aufsicht eine Woche „Sturm der Liebe“ an, veranstalte also quasi so eine Art öffentlich-rechtliches Jackass. Man drücke mir die Daumen, dass ich das überlebe, ohne frühzeitig zu vergreisen.