Und immer wieder die Quetschkommode. Das Instrument, wo man ziehen muss, um einen Ton zu generieren. Und dann muss man wieder drücken, um weiter was zu hören. Immer hin und dann wieder her. Es ist kein Zufall, dass die Quetschkommode, vulgo Akkordeon, morgens so oft bei 3sat zu hören ist, denn sie passt zum stets bewegten Bild, das gleichfalls einem sehr strengen Rhythmus folgt. Es strebt nach links, kommt für den Bruchteil einer Sekunde zum Stehen, und dann geht es wieder nach rechts. Bis zum Anschlag, und dann wieder zurück.

Ja, die Kenner haben es längst erkannt, es geht um das „Alpenpanorama“, das gleichzeitig statischste und beweglichste Angebot des Fernsehens im deutschsprachigen Dreiländerraum. Das „Alpenpanorama“ vermochte schon so manchen Klubgänger nach durchtanzter Nacht sanft in den Schlaf zu wiegen. Es zeigt das, was fest installierte Kameras an schönen Bergstandorten und anliegenden Metropolen wie Wien und Genf zu bieten haben, wenn sie sich automatisch hin und her bewegen, wobei jedem Ort in der Regel 45 bis 50 Sekunden zugestanden werden.

Dabei erfährt man durch Einblendungen eminent Wichtiges. Etwa dass am Reschenpass um 8:29 Uhr exakt 61 Prozent Luftfeuchtigkeit gemessen werden, oder dass es im Kaunertal um 8:40 Uhr auf 2750 Meter Höhe drei Grad hat. Dazu kommt das, was die Kameras ins Visier nehmen. Mal ist es die aufgehende Sonne, mal ist es auch nur wabernder Nebel, meist aber sind es nur morgenmatte Wiesen und hoch aufgetürmte Steine, vulgo Berge.

Menschen sind selten zu sehen in dieser gleichförmigen Prozedur. Menschen passen nicht ins „Alpenpanorama“. Menschen sorgen für Unruhe, und Unruhe ist so ziemlich das Letzte, was das „Alpenpanorama“ liefern will. Hier geht es trotz der andauernden Bewegung nicht um Geschwindigkeit, hier geht es um Kontemplation. Es soll Menschen geben, die sich morgens um halb acht zur Meditation vor ihren Fernseher hocken, das „Alpenpanorama“ einschalten und dann ins mentale Nirwana entschwinden.

Das geht gut mit diesem automatisierten Programm, das täglich (nur an diesem Sonntag musste es dem Western-Schwerpunkt weichen) anderthalb Stunden das Angebot absoluter Verlässlichkeit liefert. Es ist damit in vielen Punkten den Soaps der „Sturm der Liebe“- oder „Rote Rosen“-Klasse mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Alles ist überaus erwartbar, und die dramaturgische Tiefe erschöpft sich über weite Strecken im einfachen Dasein. Mancher Berg hat dabei im Nebel übrigens schon bessere schauspielerische Leistungen abgeliefert als es diverse Soap-Schranzen je vermögen werden.

Das „Alpenpanorama“ ist zudem der Gegenentwurf zu einer immer unübersichtlicher erscheinenden Welt. Wer jeglicher Veränderung abhold ist, mag auch das „Alpenpanorama“. Das Fremde kann hier nicht bedrohlich wirken, weil es abgesehen von den Kameras und ein paar surrenden Lift-Gondeln kaum Bewegtes gibt. Natürlich haben schon einige Male Menschen das strenge Reglement durchbrochen. Sie sind dann immer, wenn sie wussten, dass gleich „ihre“ Kamera auf Sendung geht, in den Blickwinkel geeilt und haben sich ihre 45 Sekunden Berühmtheit herbeigewinkt. So etwas stört natürlich die festgefügten Abläufe, allerdings immer nur kurz. Denn wenn man erst einmal weiß, wann die Winker wo zu finden sind, fügen sie sich rasch ein in die bewusst monotonen Abläufe.

Alpenpanorama© 3sat

So bietet sich das „Alpenpanorama“ in seiner vermeintlichen Starre ideal an als Frühstücksmusik für den durchschnittlichen AfD-Wähler, der seine Welt morgens gerne so aufzufinden wünscht wie er sie abends verlassen hat. Für diese These spricht natürlich die Musik, die frei ist von allen Einflüssen, die es in den letzten 50 Jahren gab. Hier tönen noch ursprüngliche Hörner, hier ist noch öfters eine Zither zu vernehmen, und natürlich kommt immer wieder im wahrsten Wortsinne die Quetschkommode zum Zuge. Das ist noch echte Volksmusik, keine volkstümelnde Schlagersahne aus der Stadl-Presse.

Allerdings greift die Theorie, die das „Alpenpanorama“ als Refugium für Rechte klassifiziert, sehr kurz. Das Format „Alpenpanorama“ ist nämlich in Wahrheit so wandelbar wie seine Zuschauer. Menschen, die die Bilder mögen und von der Musik genervt sind, können ja jederzeit den Ton abstellen und etwas Zeitgemäßes aus ihrem Spotify-Account oder aus dem YouTube-Angebot dazu zapfen. Dann bekommen die Bilder eine ganz neue Anmutung, die aber so anders dann auch wieder nicht ist.

Wenn man etwa ein David-Guetta-Event zu den Bildern stellt, kann man etwas lernen über die Nähe seiner Musik zum Quetschkommodensound. Beide Klangerzeugungsmethoden folgen nämlich streng den Mustern einer gewissen Erwartbarkeit, beide sind fast komplett berechenbar, nur dass die Berge eben nicht zwischendrin auch noch Quatsch reden und ihr Publikum als das schönste der Welt loben.

Dem „Alpenpanorama“ tut das alles nicht weh, es bleibt wie es ist. Man kann es entweder sehen als das MTV des senilen Bettflüchters oder als eine swingende Tapete, die dem Zuschauer zudem vorgaukelt, er habe über die präsentierten Bilder der Überwachungskameras so etwas wie  Kontrolle. Kontrolle, dass die Heimat am Morgen noch unversehrt ist.

Was natürlich Quatsch ist, denn auf seine Art und Weise ist das „Alpenpanorama“ natürlich auch ein bitterer Beleg für die Zerstörung der Berge, die Zersiedelung und Verschandelung mit Liftanlagen. Wer die Hässlichkeit menschlichen Wirkens im Alpenraum dokumentiert sehen will, wird hier genauso fündig wie der, der in der Lage ist, in den Schwenks die Idylle zu suchen und zu finden.

Es ist alles drin im „Alpenpanorama“. Es ist das wohl praktischste Produkt im deutschen Fernsehen, quasi der Thermomix unter den Formaten. Jeder kann damit herstellen, was er mag, es gelingt immer.

Das aber wiederum eint die Gegensätze. Wenn AfD-Adepten ebenso zuschauen können wie nörgelnde Naturschützer, bettflüchtige Bergfreunde genauso wie erschlaffende Partypeople, dann kommt man nicht umhin, dem „Alpenpanorama“ etwas Verbindendes zu attestieren. Morgen wieder um 7:30 Uhr. Also: Entweder früh aufstehen oder lange wach bleiben.