Ich habe ein Problem mit Dosenfleisch. Oder besser gesagt: Ich habe ein Problem mit dem, was aus dem guten alten englischen Dosenfleisch wurde, das einst unter dem Namen Spam der Ertüchtigung des britischen Volkskörpers diente und von der lustigen Komikertruppe Monty Python‘s Flying Circus zu Sketch verarbeitet und später als Synonym eingeführt wurde für alle jene elektronischen Nachrichten, die niemand bestellt hat.

Ich muss dazu sagen, dass ich Spam liebe. Je voller mein Spam-Filter ist, desto mehr fühle ich mich beachtet, fühle ich mich wichtig. Ist der Spam-Filter voll, freut sich der Hoff. Es signalisiert mir, dass sich die Welt da draußen für mich interessiert, obwohl die Messung meines Alters ja inzwischen in biblischen Dimensionen vollzogen wird. Wäre ich früh der Rockstar geworden, der ich immer gern sein wollte, müsste ich nach den dort herrschenden Credibility-Gesetzen schon zweimal tot sein. Hope I die before I get old.

Ich bin aber nicht tot, und so alt, dass ich "Morgenmagazin" gucken würde, bin ich auch nicht. Ich will ja nicht nach dem Aufstehen auf Cherno Jobatey treffen.

Ich lebe lieber unbeschwert weiter und wundere mich, was diese Welt so jeden Tag zu bieten hat. Ich stehe morgens früh auf, aktiviere meine Mailfächer und schaue zuerst nach, was sich im Spam-Filter so tut, was mir mein persönliches Spamalot so zu bieten hat.

Da ich über Fernsehen und sonstige Medien schreibe, bekomme ich viele Mails von Sendern, von PR-Agenturen und manchmal auch von obskur anmutenden Adressen, die erst auf den zweiten Blick als würdige und unverdächtige Gesprächspartner zu identifizieren sind. So etwas landet leicht mal im Spam-Filter, erst recht, wenn die Absender ein x im Namen aufweisen.

Nun ist es so, dass ich mich seit einiger Zeit von den Spam-Versendern diskriminiert fühle. Sie nehmen mich ganz offenbar nicht mehr ernst als potentielles Opfer. Früher, sagen wir mal, vor fünf Jahren, war das noch anders. Da bekam ich die ganze Vielfalt des Spam-Universums zu Gesicht. Ich studierte Angebote, die mir Penisverlängerungen nahelegten oder mir Hot Girls from Czech empfahlen. Ich wusste gleich, dass die Bescheid wussten, dass ich noch testosteronale Rennen bestreite, dass ich mittenmang bin, wenn sich mal irgendwo ein Hormonstau bildet.

Leider hat sich das geändert. Niemand möchte mehr meinen Penis verlängern, und die Hot Girls from Czech scheinen auch in Rente gegangen zu sein. Noch nicht einmal mehr die Freunde aus Nigeria konsultieren mich wegen diverser herrenloser Millionenbeträge. Niemand bietet mir mehr an, ein im Irak vergrabenes Vermögen zu übernehmen. Selbst Viagra-Kopien identifizieren mich nicht mehr als Zielgruppe. Stattdessen tummeln sich in meinem Spam-Filter die Angebote für günstige Kranken- und Pflegeversicherungen. So etwas deprimiert. Wenn man morgens den Spam-Filter öffnet und einen Blick in die Verkommenheit der medialen Welt da draußen werfen möchte, fühlt man sich angesichts des Mangels an verschweintem Kram augenblicklich, als habe jemand die Feststellbremse des Rollators mit Sekundenkleber fixiert.

Der traurige Höhepunkt war kürzlich erreicht, als ich eine Werbung für Slipeinlagen entdeckte. Nein, keine Empfehlung für junge Mädchen, die einmal im Monat auf Bloody Mary treffen. Es handelte sich um Slipeinlagen für Männer. Über 60. "Wenn mal was daneben geht", stand da. Ich wollte sofort eine Unterlassungsverfügung absenden, wusste aber nicht wohin.

In meiner Not klagte ich einer Bekannten mein Leid. Die berichtete, dass sie regelmäßig tolle Spams bekommt von tollen Lotterien, die stets versprechen, Gewinne im Sekundentakt auszuschütten. Und wenn ich Lust auf Hot Girls from Czech hätte, müsse ich halt mal die entsprechenden Adressen anklicken und dort Spuren hinterlassen und nicht dauernd meine Speicher leeren.

Zum Trost sagte sie mir zu, einige der bei ihr eingehenden Spam-Botschaften an mich weiterzuleiten, auf das mein Leben aufregender werde. Gesagt, getan. Ich sah mir an, was sie da schickte und dachte: Ach, so viel verpass ich auch nicht.

Viel spannender aber war, was der Bekannten widerfuhr. In Windeseile war ihr Rechner gesperrt. Offenbar hatte mein Server ihren Server beschuldigt, Spam zu versenden, was wiederum ihre Administratoren veranlasste, erst einmal ihre Leitung zu verschließen und so lange dicht zu halten, bis sie höchstpersönlich belegt, dass sie sich keinen Trojaner eingefangen hat.

So weit, so gut, so aufregend. Das Schlimme kam aber erst noch. Also, das Schlimme für mich. Meine Bekannte berichtete nämlich, dass sie sich für den Mailverkehr mit mir rechtfertigen musste, nicht wegen der Spam-Flut, sondern wegen meiner Adresse. "Wer hat denn noch E-Mail Adressen bei @aol.com", fragt ihr Administer. Meine Bekannte kam ins Stocken und murmelte etwas von "Es ist ein Kunstprojekt". Damit war sie aus dem Schneider.

Ich aber nicht. Ich bekomme nicht nur keine gescheiten Spams mehr, ich werde auch noch wegen meiner Adresse diskriminiert. Demnächst muss ich wahrscheinlich auch noch einen Lebendigkeitsnachweis anbringen, weil meine Mobilnummer mit 0171 beginnt, also ganz offensichtlich aus der Telekom-Steinzeit stammt.

Gottseidank weiß niemand, dass ich gerne die nachmittäglichen Tier-Dokus aus den deutschen Zoos schaue und auch beim "Großstadtrevier" meinen Spaß habe. Nicht auszudenken, was passiert, wenn das rauskommt. Dann werde ich sofort ins Heim eingewiesen.

Aber ich habe vorgesorgt. Neben meiner Haustür liegt ein Argumentationszettel. Falls mal jemand kommt. Da steht drauf, was man sagen muss, um jung zu wirken. "Ich guck kein Fernsehen" steht da. Daneben ist dann verzeichnet, dass man danach so langsam zurückrudern darf. "Also ab und zu mal einen 'Tatort'". Oder: "Ja, Fußball und Nachrichten, aber sonst nur amerikanische Serien im Original."

Und das mit den schweinösen Spam-Mails kriege ich auch in den Griff. Die schreibe ich mir jetzt selber und schicke sie zwischen meinen verschiedenen Accounts hin und her. Damit ich morgens wenigstens noch eine Freude habe. I hope I’m old before I die.