Dieser Text handelt von einer Zukunft, die nicht schön wird. Die Erde liegt am Boden, sie hat sich selbst zugrunde gerichtet. Dieser Text ist also eine Dystopie, geboren, um jeglichen Optimismus wegzufegen. Die in ihm liegende Trostlosigkeit darf ohne weiteres als intrinsisch bezeichnet werden, und mein düsteres Narrativ sorgt dafür, dass gute Laune umgehend in den Bereich der Fremdwörter verbannt wird.

Yes, I did it. Ich hatte mir schon eine Weile vorgenommen, endlich mal die drei aktuellen Modewörter in einem Text zu verbraten. Das Narrativ rangiert dabei allerdings nur auf Platz drei. Es ist halt schon länger dabei, daher bitte nicht mehr wiederwählen. Benutzt wird es natürlich trotzdem eifrig weiter, weil ein Text kein guter sein kann, wenn der Begriff Narrativ nicht auftaucht.

Knapp geschlagen wurde das Narrativ von intrinsisch, einem Modebegriff, ohne denn man dieser Tage quasi keine vernünftige Konversation mehr führen kann. Noch vor zwei, drei Jahren guckten viele wie eine Kuh, wenn jemand sagte, dass etwas intrinsisch sei. Heute gehört es zum guten Ton, ist quasi im Wortsinne in aller Munde und daher auch schon selbstreferentiell intrinsisch.

Selbstreferentiell hat es übrigens nur knapp nicht in die Top 3 geschafft. Mag daran gelegen haben, dass es zu viel zu tun hatte im Zwist mit Metaebene und Move, die wegen erwiesener Abgegriffenheit on their way down sind.

Der Spitzenplatz in der deutschen Liste der Hammerwörter, also quasi die aktuelle Helene Fischer unter den Vokabeln, ist indes die Dystopie. Ohne Dystopie wäre die deutsche Film- und Literaturkritik derzeit quasi undenkbar. Sich ein Leben ohne Dystopie vorzustellen, ist für Rezensenten möglicherweise noch erahnbar, wird aber letztlich doch eher als weitgehend sinnlos eingeschätzt. Ohne Dystopie kriegt man das Bild auf seiner Schwafelei einfach nicht rund.

Früher hätte man nach Verwendung von allzu viel Dystopie gefragt, ob es da nicht auch was von Ratiopharm gibt. Aber heute flutscht die Dystopie von der Zunge wie nix. Inzwischen gilt es schon als Dystopie, wenn man sich eine Welt vorstellt, in der niemand mehr den Begriff Dystopie benutzt. Neulich habe ich Dystopie sogar in irgendeinem Frühstücksfernsehen gehört. Ich war noch nicht ganz wach und deshalb wehrlos, und dann sagte jemand Dystopie. Ich habe das genau gehört. Dystopie. So etwas sagt mehr über die Durchdringung der medialen Sprachgemeinschaft als tausend Keynotes. Schon meine Mutter sagte immer: Morgens Dystopie, abends Narrativ, aber immer intrinsisch.

Nun bin ich kein genereller Feind des Wortwandels. Ich glaube, dass sich Sprache ständig wandeln und auch mal Unsinn verdauen muss. Nicht alles, was geschrieben steht, muss auf Anhieb verständlich sein, sonst tötet man irgendwann den Text, weil man alles in Grund und Boden erklärt.

Das bedeutet keineswegs, dass ich den Zuschauer oder den Leser verachte. Im Gegenteil, ich halte ihn nicht für doof, ich halte ihn vielmehr für so klug, dass er sich das, was ihm unverständlich erscheint, aus dem Kontext erschließt oder eben einfach nachschlägt. Man kann halt auch mit Texten Spaß haben, die man nicht komplett versteht. Aus der Überforderung quillt die Aufforderung. Was mir aber ein Fragezeichen auf die Stirn tätowiert, ist die plötzliche Inflation eines Begriffs, den plötzlich alle glauben, absondern zu müssen.

Ich frage mich dann manchmal, ob es vielleicht irgendwo eine Wortausgabestelle gibt, bei der sich Feuilletonisten aller Art anstellen, um den heißen Wortscheiß von morgen zu erwerben. Ich stelle mir diesen Distributionsort vor wie einen schwer angesagten Klub. Draußen stehen jene, die gierig sind nach Trend, aber sie müssen halt vorbei an einem Türsteher, der brutal aussiebt und nur jene reinlässt, die die richtigen Schuhe tragen.

Ja, ich weiß, dieses Bild ist vom Narrativ her gesehen ganz schön dystopisch. Aber doch auch wahr. Was machen all jene, die in den Medien arbeiten und süchtig sind nach frischem Stoff aus der Wortspielhölle? Die sind angewiesen auf jene, die im Klub waren und sich nachher als Dealer verdingen. „Hier hast du Dystopie und intrinsisch, und weil du es bist, kriegst du noch ein bisschen Narrativ oben drauf.“ So sprechen die wohl. Traurig, aber wahr und infektiös, eben eine Dystopie. Narrativ intrinsisch verabreicht.