Ich glaube, es gibt einen neuen Trend bei Antextbildern. Immer häufiger sehe ich in jüngster Zeit die beinahe schon avantgardistische Position "Mann schaut nachdenklich aus dem Fenster". Da ist dann oft ein Mann zu sehen, der in die Ferne zu blicken scheint. So als suchten seine Blicke irgendwo da draußen nach intellektueller Beute. Dass sie sehr oft ohne eine solche heimkehren, zeigt sich dann nach dem nächsten Schnitt, wenn der eben noch nachdenklich aus dem Fenster blickende Mann etwas in die Kamera sagt.

Viele haben sich schon Gedanken über Antextbilder gemacht, also jene Szenen, in denen ein Gesprächspartner visuell vorgestellt wird, bevor er danach auch akustisch zum Zuge kommt. Sehr vergnüglich satirisch hat das vor drei Jahren schon das Magazin "Zapp" aufgespießt. Da ließ die Autorin Janina Kalle einen Schauspieler über die klassischen Antextbilder fabulieren, etwa über "Mann tippt auf Handy" oder "Mann blättert in Buch" oder "Mann geht einen langen Flur entlang". Sie stellte sogar einen Igor Annestopol vor, angeblich ein russischer Chefantexter ist, dem die Erfindung von "Mann nimmt Buch aus dem Regal" zugeschrieben wird.

Dieser Beitrag hatte Folgen. Für mich. Ich kann mich seitdem kaum noch auf einen durchschnittlichen Magazinbeitrag konzentrieren, weil ich immer darauf warte, dass die klassischen Antextbilder auftauchen. Ich warte auf "Mann kommt auf Kamera zu" oder "Mann trägt Akten herum." Fragt man mich hinterher, wovon der Beitrag handelte, bleibe ich schweigsam, denn ich habe mich wieder einmal viel zu sehr darauf konzentriert, zu notieren, wie die Macher des Beitrags den jeweiligen Gesprächspartner für den Zuschauer vorwärmen.

Ich war selbst mal im Fernsehen. Als Experte für irgendwas. Da rückte ein Kamerateam bei mir daheim an, und weil ich ganz offensichtlich nicht wegen meines Fachwissens eingekauft war, sondern vornehmlich wegen des Renommees, das mir die Publikationen verleihen, in denen ich meine Beiträge unterbringe, musste ich lange in einer Zeitung blättern. Die hatte ich zwar am Morgen des Tages schon komplett durchgelesen, aber das interessierte das angerückte Team nicht wirklich. Also musste ich auf die Zeitungsseiten starren und wider besseres Wissen so tun, als würde ich gerade Hochbrisantes aus meinem Blatt erfahren.

Zwischendrin kam der Autor des Beitrags dann noch auf eine völlig verrückte Idee. Er meinte, ich sollte doch nicht nur lesen, sondern auch mal umblättern. Sensationell. Ich tat wie mir befohlen und blätterte um. Ich stellte mir vor, dass ich möglicherweise später mal in Geschichtsbüchern verzeichnet werde, als erster "Mann blättert Zeitung um"-Protagonist. Leider schaffte es mein Umblättern aber dann doch nicht in den fertigen Beitrag. Ich war nur sekundenkurz zu sehen, wie ich interessiert in die Zeitung starrte. Ein Klassiker.

Summa summarum dauerte das Aufnehmen der Antextbilder, das Setzen des Lichts, das Einrichten meiner Position länger als das folgende Interview. Das war nach ein paar knackigen Fragen und meinen gleichzeitig nichts- und allessagenden Antworten erledigt. Im fertigen Beitrag währte mein Erscheinen dann nicht einmal eine Minute. Seitdem weiß ich, warum Fernsehen so teuer ist. Es sind die Antextbilder, die den Preis treiben. Und die Macher, die sich nicht mit den klassischen Positionen zufriedengeben möchten.

Das hat Folgen. Inzwischen finden immer seltener die Klassiker Verwendung. Neulich habe ich sogar einen Beitrag gesehen, in dem ein Gesprächspartner völlig unvermittelt im Bild erschien, ohne Antextbild. Ich meine, so etwas kann man doch nicht machen mit  dem durchschnittlichen Zuschauer. Ich habe doch einen Anspruch auf ein ordentliches Antextbild.

Und dann ist da diese neue beinahe schon künstlerisch anmutende "Mann schaut nachdenklich aus dem Fenster"-Einstellung. Ein Mann steht da – und tut nichts. Außer gucken. Das finde ich ein wenig avantgardistisch, was möglicherweise auch erklärt, warum dieses Bild aktuell so beliebt ist und eindeutig in den Kanon der Klassiker drängt.

Ich fürchte, ich werde mich mit dieser neuen Einstellung abfinden müssen. Sie riecht zwar nach Modeerscheinung und Trendhechelei, aber wenn es denn dazu führt, dass in ihrem Schatten die Klassiker wie "Mann blättert in Buch" oder "Mann tippt auf Handy" überleben, will ich mich der Entwicklung nicht verweigern.

Hauptsache, meine geliebten Antextbilder leben weiter. Ohne sie wäre Fernsehen nur die Hälfte wert. Oder wie es so schön bei "Zapp" heißt: "Das Antextbild: Ein Detail, das Nachrichten schön macht - und glaubwürdig."