Es ist kurz still geworden um komparse.de. Nachdem alle sich halbwegs seriös gebenden Doku-Redaktionen auf Abstand von der Protagonistensuche dort gegangen sind und lauthals beteuerten, sie hätten niemals, also wirklich niemals vorher von solchen Methoden der Hauptfigurensuche gehört, ist es kurz still geworden um das Portal, über das in der Vergangenheit mehrfach Menschen zu finden waren, deren Geschichten dann im öffentlich-rechtlichen Fernsehen für echt verkauft wurden, obwohl sie es allenfalls halb waren, was die verantwortlichen Redaktionen aber niemals nicht wissen konnten.

Auf keinen Fall konnten sie etwas wissen. Das ließ ihre Stellenbeschreibung quasi nicht zu, weil die sich doch oft erschöpft in der Anforderung, bestimmte Reiseformulare korrekt ausfüllen zu können. Da sei für unnützes Wissen wie das um die Beschaffung von Doku-Personal ja gar kein Platz mehr. Also ganz bestimmt nicht, beteuern die Redakteure noch heute. Erst durch Medienberichte seien ihnen die Augen geöffnet worden. Das sei ja auch wirklich schrecklich, dass es so etwas gebe, hieß es. Komparsen suchen für ernsthafte Dokumentationen. Tssstssstsss. Natürlich wurde wie bei den Vorgängen um #MeToo die Schuld für alle Fehler erstmal nicht in der Struktur der beauftragenden Anstalt gesucht, sondern allein im Verhalten der freien Mitarbeiter, von deren Vorgehen ein angestellter Redakteur ja quasi niemals nichts wissen könne. Also ganz bestimmt nicht. In echt. Also ehrlich.

Kurz schien es also, als sei das Schicksal des Protagonistenzulieferers komparse.de am Ende. Aber dann kam der Freitag, der Tag an dem der Flori den Gegenbeweis antrat. Ja genau, unser Flo, besser bekannt als Florian Silbereisen, der beliebte ARD-Trällermax mit der Vorliebe für schleimige Schlager und schockgefrostete Beziehungen. Der Flo-Frostmann hat sofort, also noch vor mir, der ich eigentlich, gäbe es da nicht diese subtile Form von Altersdiskriminierung, die Idealbesetzung gewesen wäre, den Flo-Finger gehoben und laut geschnipst, als er bei komparse.de die ZDF-Anzeige gesehen hat. „Junger Mann zum Mitreisen gesucht. Alter zwischen 37 und 37 Jahren. Großflächige Tätowierungen erwünscht. Beliebtheit bei älteren Damen ist Voraussetzung. Schauspielerische Vorkenntnisse nicht erforderlich. Seetauglichkeit und Stock im Gesäß wünschenswert. Nichtssagende Texte werden gestellt, können aber auch mitgebracht werden.“

Keine Frage, es handelt sich um ein Inserat der beliebten ZDF-Doku-Reihe „Traumschiff hautnah“, die einen neuen Kapitän suchte und in Blitzeseile gefunden hat. Jeder kennt ja diese vielfach mit Fernsehpreisen überhäufte Fernsehinstitution „Traumschiff hautnah“, weil sie sich schon in der Vergangenheit oft hervorgetan hat als nonfiktionale Abspulstation für große menschliche Dramen, die ihre Protagonisten an die exotischsten Orte der Welt führen und dort pars pro toto das Elend der Welt dokumentieren. Man ahnte ja ohne diese Reihe normalerweise gar nicht, welche Abgründe sich auf einem Kreuzfahrtdampfer auftun, abgesehen mal von denen in der Abgasstatistik der fröhlich vor sich hin tuckernden Schiffsdiesel, in denen vorzugsweise gebrauchte Schmierstoffe verfeuert werden, was die streckenweise etwas ölig anmutenden Dialoge erklären könnte.

Bewährt hat sich „Traumschiff hautnah“ zudem als schwimmendes TV-Hospiz für Menschen, die sonst nur noch ihrer geschwundenen Bedeutung auf Boulevard- und Late-Night-Bühnen hinterhertrauern können. In Sachen Glaubwürdigkeit hat „Traumschiff hautnah“ bei seinem angejahrten Publikum massenhaft Nierensteine gesetzt, die selbst durch verleumderische Vorwürfe von Belanglosigkeit und der Dümpelei im allzu Seichten nicht ausgespült werden konnten.

Als böses Gerücht entpuppte sich übrigens die Meldung, dass der vom „Spiegel“ unter unschönen Bedingungen ausgeschiffte Claas Relotius die Rolle als „Traumschiff“-Kapitän übernehmen würde. Einige Großbuchstabenblätter hatten dies bereits unter der Überschrift „Neuer Märchenerzähler gefunden“ vermeldet. Diesen Meldungen steht allerdings ein ZDF-Statement entgegen. „Wir legen Wert auf absolute Echtheit und Realitätsnähe bei ‚Traumschiff hautnah‘. Inszenierungen jeglicher Art kommen bei uns nicht an Bord. Niemals würden wir etwas zeigen, nur weil es sich schön anschauen lässt. In unsere Dokus kommt nur, was wirklich ist“, heißt es aus Mainz.

Nicht ausräumen konnte man indes jene Spekulationen, die von einer kurz bevorstehenden Fusion berichteten. Demnach soll Käpt’n Flori als erste Amtshandlung mit seiner schwimmenden Plattenbausiedlung namens Schiff unverzüglich Kurs nehmen auf die australische Ostküste und dort die abgeranzten Reste des RTL-Dschungelcamps aufnehmen. Das hat ja bekanntlich in den vergangenen zwei Wochen so viel kreative Erbärmlichkeit ausgestrahlt, dass diverse Hilfsorganisationen bereits kurz vor der Einrichtung von Spendenkonten standen. Etliche Ersthelfer sollen sich schon Mitte der Woche aufgemacht haben, um dem abblätternden Charme des einstigen Skandalformats noch mit ein wenig Farbe neuen Glanz zu verleihen. Allerdings haben jene, die als erste am Ort der Katastrophe waren, rasch kapituliert. Augenzeugen zufolge sollen einige Helfer bereits Ärzte parodiert haben, die in Serien gerne resigniert, aber bedeutungsschwanger die finale Diagnose in ihr Diktaphon sprechen: Todeszeitpunkt 22.45 Uhr.

Einem geheimen Drehbuch zufolge soll das nächste Dschungelcamp nicht mehr unter Bäumen spielen, sondern auf einer im Südpazifik dümpelnden Plattform stattfinden, die sich irgendwann von ihren Befestigungen losreißt und abzutreiben droht. Also macht sich Käpt’n Flo auf zur Rettungsmission. Nachdem der ZDF-Dampfer an der wegdriftenden Plattform angelegt hat, werden die schiffbrüchigen Kandidaten an Bord zur „Dschungelprüfung“ gebeten. Irgendeine Evelyn muss dann herausfinden, wann das Mitternachtsbüffet eröffnet wird. Danach müssen die „Stars“ live davon kosten und dann, die ganz harte Nummer, im Bordtheater aushalten, dass Käpt’n Flo die aus seiner Sicht schönsten Lieder zum Besten gibt.

Allerdings muss noch ausgelotet werden, ob Menschenrechtsorganisationen solche Aktionen billigen und ob sie im Einklang erfolgen mit der Genfer Konvention. Schon früh haben sich auch die handelsüblichen Tierschützer gemeldet und angemerkt, dass das hemmungslose Intonieren von Silbereisen-Songs weite Teile des Südpazifiks auf Jahre unbrauchbar machen und ganze Hai-Populationen verwirren könnte. Die möglichen Auswirkungen auf Flora und Fauna wurden schon mit jenen verglichen, die nach den Atomtests der 50er-Jahre dort zu vermelden waren.

An Kandidaten für die maritime Dschungelcamp-Version dürfte es trotzdem nicht mangeln. Unbestätigten Meldungen zufolge soll es bei der nächsten Staffel nicht mehr 100 000 Euro zu gewinnen geben, sondern eine Millionen Follower bei Instagram. Wer also dort mitmachen möchte, achte auf die sicherlich bald erfolgende Ausschreibung.

Ich dagegen überlege, mich auf eine andere Anzeige bei komparse.de zu bewerben. Für die Show „Mann Sieber“ wird ein männlicher Komparse gesucht, welcher einen Großvater im Rollstuhl darstellen soll. „Bewerber senden bitte eine E-Mail mit dem Betreff ‚Opa‘“, steht da. Ich muss schnell machen, sonst kommt mir nachher wieder irgendein Schlagerfuzzi zuvor.