Es gibt ja immer wieder Menschen, die fordern, dass man besser heute als morgen die einschlägigen Social-Media-Kanäle abschalten sollte. Aus für Instagram. Aus für Twitter. Aus für Facebook. Aus für alles. Keine Ahnung, wie das gehen sollte, aber man weiß ja nie, was bei den zugehörigen Konzernen so vor sich geht, was da gemauschelt wird, was da schief läuft. Außerdem ist ohnehin damit zu rechnen, dass ahnungslose CDU-Menschen, die sich für Experten halten, aber wahrscheinlich nicht einmal einen DB-Fahrkartenautomaten unfallfrei bedienen können, weiterhin Quatsch verbreiten und die EU zu seltsamen Maßnahmen im Digitalen drängen. Sie haben da schon viel geschafft, manches kaputtgeregelt, und wenn sie erst einmal den Springer-Verlag mit im Boot wähnen, dann werden sie notfalls auch dafür plädieren, gleich alles abzuschalten. Sie haben zwar keine Ahnung, aber abschalten geht immer.

Ich warne davor. So lästig Instagram, Twitter und Facebook auch sein mögen, sie sichern Arbeitsplätze. Gerade erst hat die Kohlekommission Milliardenzahlungen empfohlen, um die Zukunft all jener zu sichern, die jetzt noch helfen, Braunkohle aus der Erde zu baggern und bald arbeitslos werden, damit sich die Luft ein bisschen erholen kann. Ganz ähnliche Maßnahmen dürften fällig werden, wenn die angeblich sozialen Kanäle abgeschaltet würden. Auch das könnte zur Kompensation für wegfallende Arbeitsplätze ordentliche Summen kosten, denn es ist ja mit den Jahren eine sehr stattliche Industrie entstanden, die sich darauf spezialisiert hat, Meldungen aus den Social-Media-Kanälen zu baggern. Täglich fahren da Myriaden von prekär Beschäftigten in den Tagebau namens Internet ein und schürfen nach Verwertbarem.

Mit Pickeln und Bohrhämmern pressen sie dem Netz Geschichten ab, die eigentlich keine sind, die aber doch Geschichten sind, einfach, weil die Netzbergleute sie zu solchen erklären. Sie lassen sich nicht abhalten von Nichtigkeiten wie etwa Relevanz. Nein, das zählt nicht. Gemessen wird ihr Arbeitserfolg an den durch ihre Nichtigkeitsmeldungen generierten Klickzahlen. Je mehr geklickt wird, desto sicherer sind die in der Herstellung gebundenen Arbeitsplätze, geistiger Umweltschutz hin oder her.

Die Arbeitsplätze werden hier und da unzulässig diskreditiert und als Anstellungen in der Klickpuffhölle verunglimpft. Ich finde, das geht zu weit. Nur weil man ein harmloses Instagramfoto, auf dem Lena Meyer-Landrut nicht strahlt, zum Anlass nimmt, die darunter anfallenden Kommentare lieblos aufzulisten und mit Überschriften wie "Ihr neues Bild macht den Fans Angst" und "Lena Meyer-Landrut zeigt erschreckendes Bild – Fans sind in Sorge" zur Story (Der Westen) zu pimpen, ist man doch nicht gleich der Netzprostitution verdächtig. Klar, man verkauft seine Seele für ein prekäres Salär, aber mit Prostitution hat das doch nicht zu tun. Das machen doch alle.

"Mit einem neuen Instagram-Foto hat Heidi Klum einmal mehr heftige Reaktionen ausgelöst", heißt es etwa in einem zusammengestoppelten Video bei "Focus online". Auslöser ist ein Bild, auf dem die Frau von Tom Kaulitz halbnackt auf einer Schmetterlingsluftmatratze liegt. "Ihre Fans sind begeistert", heißt es im Münchner Netzbergwerk. Mit "Wow, toller Post" und "Du siehst aus, als wärst du 20 Jahre alt" soll die Euphorie belegt werden.

Natürlich stelle ich mir die Frage, wie sich Menschen fühlen, die so etwas herstellen. Was geht in einem Hirn vor, das sich so etwas ausdenkt, das solche Kompositionen aus lauter Unsinn kreiert? Macht das Spaß? Ich kann es mir nur schwer vorstellen. Aber offensichtlich bedienen die Netzbergbauern ja einen Markt. Ganz offensichtlich gibt es da draußen genügend Minderbemittelte, die annehmen, dass ihr Leben reicher wird, wenn sie sich so etwas anschauen. Ja, ja. Dumm klickt gut. Ich weiß.

Aber was ist das für ein Leben, wenn ich den ganzen Tag vor dem Bildschirm hocke und auf neue Meldung aus dem Heidi-Kosmos warten muss? Bekomme ich dann Gefühle, wenn Heidi und Tom in einem Video öffentlich kuscheln und den Zuschauer im Unklaren lassen, was sie da wirklich tun? Ich vermute tatsächlich, dass die professionellen Netzstaubsauger dann Gefühle bekommen, weil sie endlich wieder etwas zum Ausweiden haben. Daraus machen sie dann "‘Mein Gott, wie primitiv‘ - Haben Heidi Klum und Tom hier Sex? Video empört Fans." (Express). Und dann werden Kommentare aufgelistet wie: "Machen die da etwa Knick-Knack?"

Gibt es in den zuständigen Firmen eigentlich Betriebspsychologen, die sich der Seelen jener Menschen annehmen, die so etwas ins Netz stellen müssen? Man kann solche Menschen mit all dem doch nicht allein lassen. Und wie kann das angehen, dass die skrupellosen Firmen, die sie beschäftigen, einfach solchen Müll in die Öffentlichkeit entsorgen dürfen? 

Wie nennen sich die Menschen, die so etwas herstellen. Bezeichnen die sich als Journalisten? Falls ja, könnte das einen Großteil des Überdrusses erklären, den Menschen gegenüber Journalisten empfinden.

Ich fühle mich auf jeden Fall schon nach wenigen Stunden der Beschäftigung mit dieser Art von medialer Emission ein bisschen dreckig. Auf meiner Seele lasten jetzt schon Feinstaubpartikel, und ich mache das nicht dauernd. Muss man dann nicht letztlich doch die Abschaltung der Social-Media-Kanäle fordern, um all die Menschen zu retten, die ihrer Gesundheit durch tägliche Beschäftigung mit diesem Unsinn großen Schaden zufügen?

Dabei bin ich ja kein bisschen besser. Merke ich gerade. Indem ich mich mit dem Unsinn beschäftige, den die Unsinnsschürfer ins Netz schaufeln, bin ich fast schon einer von ihnen. Auf einer Meta-Ebene tue ich ja genau das, was ich bei ihnen beklage. Ich verdiene Geld damit, dass ich das Tun jener ausweide, die andere ausweiden, um ihr Geld zu verdienen.

Alles hängt mit allem zusammen. Der Schmetterling, der in Asien mit den Flügeln schlägt, kann ursächlich sein für einen Wirbelsturm in der Karibik. Insofern sollte man sich das Foto, das Heidi Klum auf einer Schmetterlingsmatratze zeigt, noch einmal genauer anschauen. Lassen sich da nicht noch ganz andere Geschichten rausholen?