Der Brexit darf nicht kommen. Niemals. Es wäre verheerend, wenn der Brexit wirklich käme. Ganze Zweige der deutschen Nachrichtenindustrie stürzten über Nacht ins Ungewisse. Tausende von Arbeitsplätzen in der Brexit-Berichtsindustrie wären auf einen Schlag vernichtet. Hunderte von Brexit-Experten und Legionen anderer Sterndeuter sähen sich plötzlich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Auch in der Witzeindustrie herrschte akuter Beschäftigungsmangel, schließlich ist Däumchendrehen nicht ansatzweise so witzig wie die neuesten Verrenkungen von Theresa May zu kommentieren und über ihre Zukunft zu spekulieren, zu fragen, ob sie nun bald arbeitslos wird, ob sie in die Fußstapfen ihres Großvaters Karl May treten oder gar Brian May bei Queen ersetzen wird. Man weiß es nicht.

Auch Twitter und Facebook wären plötzlich leer, weil man keine Filmchen mehr einstellen könnte, die irgendwen zeigen, wie er verzweifelt versucht, einer Situation zu entfliehen, es aber in Slapstick-Manier nicht schafft. Reden wir doch nicht drum herum, es würde furchtbar. Die Hölle, also quasi England im Normalzustand.

Nehmen wir nur mal Phoenix. Dem Dokumentations- und Ereigniskanal würde ja an bundestagsdebattenfreien Tagen das halbe Programm wegbrechen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Phoenix-Mitarbeiter dann mangels ausufernder Brexit-Berichterei orientierungslos durch die Gänge ihres Senders irren und nicht wissen, wohin mit sich. Die Korrespondentenplätze vor der Kulisse des britischen Parlaments lägen auf einmal verwaist da, der eingerüstete Big Ben käme nicht mehr stündlich auf den Bildschirm. Auf einmal wäre London wieder eine ganz normale Weltstadt am Rande der Wahrnehmung, abgerutscht in die Paris- oder Madrid-Klasse.

Die Korrespondenten in London und Brüssel könnten plötzlich wieder einer geregelten Nahrungsaufnahme nachgehen und müssten nicht mehr im Viertelstundenrhythmus vor die Kamera. Wahrscheinlich würden sie binnen Monatsfrist hoffnungslos verfetten, weshalb das Gehadere um den Brexit ja auch etwas Gesundheitsförderndes hat. Oder anders herum gesagt: Machte man Peter Altmaier zum Brexit-Beauftragten der ARD, wäre er binnen Monatsfrist wohl gertenschlank.

Was wäre zudem bei einem vollendeten Brexit die deutsche Sprache ärmer. Allein der Begriff Brexit. Spricht man den korrekt aus und betont ihn mit ostentativem Stakkato, schieben sich die Mundwinkel explosionsartig nach hinten. Die gesamte Gesichtsmuskulatur kommt dabei ins Schwingen. Das belebt. Selbst Botox-Tanten können nach dem dreifachen schnellen Aussprechen des Wörtchens Brexit wieder lächeln. Selbst härtere Fälle sind behandelbar, wenn man sie zwingt, fünfmal hintereinander Brexiteers zu sagen. Wie herrlich klingt die Phonetik des „ungeregelten Brexit“. Da haben alle Lautmaler einen Mörderspaß, und das Gesicht bekäme jedes Mal eine kostenlose Gymnastikstunde.

Bei Sat.1 arbeitet man derweil bereits mit Hochdruck an einer britisierten Neuauflage von „Deal or No Deal“. Aber nicht Guido kanns(nicht) oder Wayne Carpendale dürfen da moderieren. Vielmehr soll Unterhaussprecher John Bercow die Nummer managen, natürlich mit vielen „Order, Oooorder“-Rufen.

Geheimen Verhandlungen zufolge haben ARD und ZDF die Verträge mit allen hiesigen Karnevalsvereinen für die nächste Session gekündigt. Stattdessen werden ausgewählte Parlamentssitzungen aus London übertragen. Auch von hiesigen städtischen Bühnen ist Protest zu hören gegen einen raschen Brexit, ist doch die theatralische Aufarbeitung des britischen Spektakels gerade erst im Werden. Wer würde sich noch für ein Theaterstück über die komplizierte englische Verwandtschaft interessieren, wenn die längst abgereist ist?

Insofern kommt die vorläufige Verschiebung des Brexit gerade recht, und auch die Tatsache, dass die Briten an der Europawahl teilnehmen müssen, obwohl sie Europa doch nicht wollen, verspricht hohen Unterhaltungswert in der hiesigen Medienauslage. Nicht auszuschließen also, dass nächstes Jahr einer der Grimme Preise nach London geht. Für die große Brexit-Show.