Die berühmte Zeit zwischen den Jahren ist ja bekanntlich die Zeit der Rituale. Man schaut erst „Der kleine Lord“, dann „Drei Nüsse für Aschenbrödel“, dann „Tatsächlich Liebe“ und natürlich alle drei „Sissi“-Filme. Das alles wird quasi eingesogen ohne Sinn und Verstand, einfach, weil man es halt immer schon so gemacht hat, und warum soll man sich beim Glotzen anders verhalten als beim Essen? Alles ist angenehm, wenn es nur ablenkt von der buckeligen Verwandtschaft, deren Präsenz schon nach halbstündiger Begegnung zu der Erkenntnis führt, dass man es das Jahr über auch ganz gut ohne sie ausgehalten hat.

Man ist also gewöhnt ans Dauerglotzen des ewig Gleichen. Und das besinnungslose Dauerschauen, in dem die Pro-Sieben-Zuschauer ja dank „The Big Bang Theory“ sehr trainiert sind, steigert sich nunmehr in seine Endphase, die bekanntlich gekrönt wird, wenn man an Silvester bei 3sat ein Konzert nach dem anderen hören und sehen kann. Schlimm wird es hingegen, wenn man sich dann nicht entscheiden kann, ob man am Abend nun das Coldplay-Konzert verfolgt oder doch lieber das Jörg-Pilawa-Silvestergrausen im Ersten oder die Frohsinnssause mit den Gute-Laune-Propagandisten Andrea Kiewel und Johannes-B.-Ich-mache-für-Geld-alles-Kerner im ZDF mit seiner Zeugenschaft beehrt und dafür zum doppelten Ironie-Salto ansetzt. Möglicherweise hilft da ja ein Besuch bei Kabel Eins weiter, wo man am letzten Tag des Jahres „Eine schrecklich nette Familie“ in Dauerschleife vorgesetzt bekommt, was man beinahe schon als Kritik an den frisch überstandenen Familientreffen werten könnte.

Keine Frage, es herrscht Krieg zwischen den Sendern. Die Bingewatch-Wars sind in vollem Gange. Überall hat man die Archive geöffnet und den Play-Button mit Gaffa-Tape so fixiert, dass er immer noch eine Folge abspielt. Und noch eine Folge. Und noch eine…

Ich persönlich habe großen Gefallen gefunden an den Re-Runs der „Schwarzwaldklinik“ bei ZDFneo. Geballte 80er-Jahre-Banalität wird dort serviert auf medizinischen Mettbrötchen, die man mit dem Muff jener hochtoupierten Jahre garnierte, als es noch anrüchig war, wenn eine Frau in der Mittagspause einen Bikini anhatte und sich zum Sonnenbaden legte. Heute würde da jeder Arzt laut „Hautkrebs“ brüllen und die knapp Bekleidete zwangsverhüllen.

Hat man das eine Weile geschaut, dann ist man quasi angewärmt für die nächste „Traumschiff“-Folge mit Kapitän Flori Silbereisen. Man kann ja sagen, was man will, aber im Einlullen von Senioren und geistig früh Verreiften ist das ZDF eine Klasse für sich. Erst die Marathonstrecke mit Helene Fischer am ersten Weihnachtstag, dann parallel die „Schwarzwaldklinik“-Wiederholungen bei ZDFneo am Stück, und dann noch das „Traumschiff“. Da ist doch für die ganze Familie was dabei.

Auch für Uropa. Der kann heute den ganzen Tag ZDFinfo schauen und sich fast rund um die Uhr den Zweiten Weltkrieg reinziehen. Zum Bingewatchen. Ab 5.15 Uhr (wenigstens nicht ab 5.45 Uhr) läuft schon „Hitlers Blitzkrieg 1940“, bevor dann um kurz vor zehn Uhr zwölf Folgen der Kriegsreportage „Der Zweite Weltkrieg“ starten. Klingt nach einer langen Strecke, aber der Zweite Weltkrieg hat ja bekanntlich auch sehr lange gedauert. Bei ZDFinfo dauert der Krieg aber erstmal nur bis kurz vor sieben am Abend. Dann kommen, quasi als Pause und Verantwortungs-Alibis, ein paar Reportagen über Widerständler, Stauffenberg und so, bevor aber ab 21 Uhr der „Countdown zum Untergang“ eingeläutet wird, der sich dann bis um halb sechs am Montagmorgen zieht, bevor dann wieder irgendeine Doku zum Polenfeldzug folgt.

Ich frage mal allen Ernstes: Wer außer Alexander Gauland soll das gucken? In dieser Massierung? Welchen Sinn macht es, das Publikum zuzukleistern mit Weltkriegs-Dokus? Glaubt irgendwer, dass ein junger Mensch das einschaltet, alles guckt und hinter sagt: „Oh, das habe ich alles nicht gewusst, das war aber echt scheiße, das machen wir nie wieder.“

Ich möchte hier nichts sagen gegen die einzelnen Beiträge. Die sind sicherlich mehrheitlich mit Akribie und Verantwortungsbewusstsein gefertigt. Es muss sie geben, weil man nicht oft genug zeigen kann, was für eine Scheiße die Deutschen damals veranstaltet haben.

Aber macht es in diesen Zeiten Sinn, den Zweiten Weltkrieg zum Bingewatch-Ereignis zu adeln, sinnlos Folge für Folge hintereinander zu klatschen? Einfach nur weil man sie im Archiv vorrätig hat und sie nicht viel kosten?

Ich habe mich lange dagegen gewehrt, wenn Menschen über ZDFinfo gelästert haben, wenn sie ironisch anmerkten, dass sie gerne mal ZDFhitler gucken oder AFDinfo schauen. Ich tue mich inzwischen angesichts solch dumpfsinniger Programmierung schwer, diesen Lästerern irgendetwas entgegenzusetzen.

Da wird selbst mein Argument schwach, dass auch andere Kanäle gerne mal „Irgendwas mit Hitler“ verstrahlen, wenn ihnen die Schwertransport-Dokus ausgehen. Das aber sind mehrheitlich private Kanäle, die wissen müssen, wie sie Werbekunden anlocken oder abschrecken.

Wir reden aber hier von ZDFinfo, und ich halte es für die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines öffentlich-rechtlichen Kanals, verantwortungsvoll mit seinem Material umzugehen und es nicht zu entwerten, indem man es in Masse auf den Marktplatz klatscht und sich selbst dadurch zu einer Art Kultkanal für Nazi-Fanboys oder unbelehrbare Uropas macht.

Gutes Fernsehen hat auch damit zu tun, zur richtigen Zeit das Richtige zu senden und nicht zur rechten Zeit die Rechte zu füttern. Vielleicht sollte man darüber mal nachdenken im ZDF.