Herr Pocher, nachdem Sie alle Sender durch haben, jetzt eine eigene App für ihren Content. Frei nach Loriot gefragt: Ein Leben im Fernsehen ist möglich, aber sinnlos?
(lacht) Sinnlos ist es nicht, aber das Fernsehen hat die Relevanz und Rolle verloren, die es einmal hatte, nicht nur für mich. Es ist wie auf der Titanic: Die Unterhaltungsmusik spielt noch, aber das Schiff geht schon unter. Um es mal etwas zu überspitzen. Deshalb gibt es jetzt den Pocher.Club – eine Fan-Plattform mit exklusiven Erlebnissen, Community-Interaktion und einem eigenen Streaming-Angebot, das alles vereint, was im klassischen Fernsehen keinen Platz mehr findet.
Steht es so schlimm ums deutsche Fernsehen?
Ich kenne diese Branche seit 25 Jahren und es ermüdet mich, wenn selbst in privaten Gesprächsrunden mit Verantwortlichen nicht die Wahrheit ausgesprochen wird. Stattdessen fängt man an, sich irgendwelche Marktanteile schön zu reden. Aber der Kuchen wird immer kleiner. Und die Marktanteile noch dazu! Einzig stabil bleiben die Öffentlich-Rechtlichen, weil sie ein Paid Abo Modell haben das mich fast so viel kostet wie ein freiwilliges Netflix UHD-Abo. Und selbst dort ist die Messe gelesen, weil der Druck größer wird und zu viel Kohle für alles abseits des Programms gebraucht wird.
Und deshalb jetzt eine eigene App?
Es geht darum unabhängiger zu sein. Ich will nicht mehr warten bis irgendeiner sagt, ob man nicht vielleicht bei diesem oder jenem Projekt dabei sein will. Außerdem wird im Unterhaltungsbereich massivst runter gekürzt. Gerade im Bereich Comedy gibt es eigentlich gar nichts mehr zu machen. Statt zu Zuhause zu sitzen und zu warten, mache ich es halt selbst weil ich glücklicherweise dazu in der Lage bin. Da hilft, dass ich mir in den letzten Jahren eine Reichweite in Social Media aufgebaut habe. Und jetzt starte ich den Pocher.Club.
Und was muss man sich darunter vorstellen?
Es gibt neue „Rent a Pocher“-Abenteuer, da habe ich schon acht neue Episoden gedreht. Es gibt neue Folgen der „Bildschirmkontrolle“, es wird einen Wochenrückblick geben. Dazu „Behind the scenes“-Clips und „Pocher auf Reisen“, diesmal ohne meinen Vater. Dazu mein neuestes Solo-Programm, das wir letztes Jahr im Zirkus Krone aufgezeichnet haben und den Jahresrückblick mit Serdar Somuncu - und es gibt rechtzeitig zur Wahl ein neues Talkformat „Hey Olli“, das wir gerade produzieren. Da wir in der Woche vor der Bundestagswahl rauskommen, haben wir Politikerinnen und Politiker eingeladen. Gesprochen habe ich mit Philipp Amthor, Gregor Gysi, Wolfgang Kubicki, Jens Spahn und Sahra Wagenknecht gedreht. Ein paar Gespräche stehen aber noch aus.
Und was hebt „Hey Olli“ von anderen Talkformaten ab?
Wir haben das Ganze umgedreht. Ich frage erstmal ob wir uns duzen oder siezen und wollte als Bürger wissen, warum ich ihnen im Idealfall meine zwei Stimmen geben sollte. Und dann hatte gabs persönliche Fragen wie früher in den Freundebüchern. Dazu Entweder-Oder-Fragen, weil man nicht nur Politik sondern auch Persönlichkeiten wählt. Helene Fischer oder Taylor Swift, Drake oder Kendrick Lamar, Scholz oder Trump, aber auch Strand oder Berge. Das ist sehr unterhaltsam geworden.
„Es geht besonders darum, nicht länger irgendwelchen Algorithmen ausgeliefert zu sein“
Wie finanziert sich das Angebot?
Der Pocher.Club bietet zwei Mitgliedschaften: Die Basic-Mitgliedschaft ist komplett kostenlos und bietet einen ersten Zugang. Für das volle Fan-Erlebnis mit exklusiven Inhalten, Livestreams und VIP-Vorteilen gibt es die Plus-Mitgliedschaft ab 3,99 Euro im Monat bei jährlicher Zahlung – oder für 5,99 Euro monatlich.
Und wo verläuft die Trennlinie zwischen kostenfrei und kostenpflichtig?
Warum gleich eine App und nicht einfach OnlyFans?
(lacht) Es geht darum, meinen Fans eine Plattform zu bieten, die nicht von Social-Media-Algorithmen abhängig ist. Im Pocher.Club haben Mitglieder direkten Zugang zu exklusiven Inhalten und persönlichen Erlebnissen – ob online oder live vor Ort. Zudem Nutzen wir die Möglichkeit, die Datenerfassung und -nutzung selber in der Hand zu haben. Aber es geht besonders darum, nicht länger irgendwelchen Algorithmen mit Änderungen in der Sichtbarkeit oder vermeintlichen Regelverstößen ausgeliefert zu sein. Das hat ja teilweise auch mit Willkür zu tun, wie du gerankt wirst und ob sich deine Inhalte dann noch verbreiten. Und wir haben mehr Freiheiten. Wir können Fans Meet & Greets anbieten oder „Money can’t buy“-Experiences verlosen. Tickets für ein Coldplay-Konzert in London oder das Nations League Spiel Deutschland gegen Italien. Aber auch persönliche Sachen von mir.
"Ich würde jetzt mal die Wette eingehen, dass wir uns anders als RTL eher vergrößern werden"
Wer ist eigentlich "wir"?
Mein Partner inhaltlich wie strategisch ist Uwe Zimmer und seine Goldberg Entertainment Group. Da werden jetzt auch Leute zusätzlich eingestellt an den Standorten Zürich, Frankfurt und jetzt auch Köln. Dafür habe ich neulich schon Stellenangebote gepostet und die Reaktionen waren spannend. Der Pocher.Club ist ehrlich gesagt nur der Anfang von mehreren Projekten. Ich schiebe das jetzt mal an, aber da ist noch viel mehr geplant in den Bereichen Entertainment, Sport und Musik. Wir sitzen übrigens gleich neben RTL am Picassoplatz 1 in Köln. Da haben wir Stand jetzt eine Etage, mit eigenem Studio. Ich würde jetzt mal die Wette eingehen, dass wir uns anders als RTL eher vergrößern werden.
Ich vermute, mit dem kostenfreien Bereich wollen Sie auch Geld verdienen: Gibt es einen Vermarktungspartner für Werbung?
Wer was von uns will, der findet uns. Ich glaube da brauchen wir keine Agentur. Wir haben genügend Kontakte in der Branche und dann führt man aus gutem Grund auch Gespräche wie dieses, was die Branche liest.
Soll es ausschließlich Content von Oliver Pocher geben? Oder können auch andere mitmachen?
Absolut, das ist auch der Plan. Ich werde nicht alleine da bleiben. Man muss aber immer je nach Künstler abwägen, ob es Sinn macht, etwas Eigenes zu machen oder es lieber in irgendeiner Art und Weise anders zu integrieren. Aber die Entscheidung liegt jetzt bei mir. Man muss nicht mehr warten bis man jemanden überzeugt hat. Wie damals bei der Show mit Michael Wendler. Da hat RTL ja auch nicht sofort in die Hände geklatscht und gesagt „Super, das machen wir.“ Da habe ich schon mal einen Termin in der Arena Oberhausen geblockt und wir hätten das selbst gestreamt und vermarktet. Erst dann hat RTL gesagt: Komm, wir machen es doch. Und trotz der Kurzfristigkeit hat es funktioniert. Also warte ich nicht mehr bis irgendein Sender mit irgendeiner Idee kommt, nur weil das in Usbekistan 34 Prozent Marktanteil geholt hat.
Das sind harte Worte von einem, der sehr gut vom und im Fernsehen gelebt hat. Zuletzt bei RTLzwei.
Aber es geht nicht immer so weiter. So gerne ich zum Beispiel Late Night gemacht habe, wird es das in Zukunft nicht mehr geben. In Deutschland schon mal gar nicht und auch in Amerika mussten die Late Late Shows auch schon dran glauben. Und das wird sich weiter reduzieren. LateNights sind nicht mehr zeitgemäß. Ein Dutzend Autoren beschäftigen, dazu eine Band, ein teures Studio und das Ganze drum herum.
Also keine Zukunft mehr für LateNight Fernsehen?
Ich sehe es als Chance, schnell zu veröffentlichen, wenn es zu erzählen gibt - Es wird natürlich auch regelmäßige Inhalte geben. An mindestens fünf Tagen die Woche kommen Content Pieces, z.B. die „Bildschirmkontrolle“, künftig kompakter als in der Corona-Zeit bei Instagram. Dem Zeitgeist entsprechend. Bisschen kürzer, ein bisschen knackiger, dafür dann aber regelmäßig und das sehe ich wie eine digitale Late Night Show, wenn ich irgendwas zu erzählen habe, oder kommentieren will. Oder irgendetwas Außergewöhnliches passiert, kann ich jederzeit filmen.
"Medienmenschen machen es den Politikern nach: Kein Fehler wird mehr zugegeben"
Sie haben vor der Kamera angefangen, wurden dann Produzent und betreiben jetzt auch noch ihre eigene Plattform: Full Circle also?
Gut beschrieben, das ist für mich ein Zukunftsmodell. Ich weiß, wie ich Medien konsumiere, wie meiner Kinder Medien konsumieren. Selbst meine Eltern. Die halt sagen, „Bergdoktor“, das gucken wir in der Mediathek, aber die streamen nicht nur das. Mein Vater hat in „Squid Game“ reingeschaut. Und die Sender? Machen den nächsten Fehler und glauben mit Fokus aufs ältere Publikum der Konkurrenz durch Apps und Streaming aus dem Weg zu gehen. Da werden weiter der weiblichen Donnerstag, familienfreundliche Mittwoch und sympathische Sonntag geplant. Medienmenschen machen es den Politikern nach: Kein Fehler wird mehr zugegeben. Sich bei RTL die NFL-Rechte schön zu reden, wenn man sogar von den „Trucker Babes“ auf Kabel Eins überholt wird. Und sich dann mit Erfolgen bei den Unter 30-Jährigen ohne Schulabschluss oder sonst was darzustellen - das kann doch nicht der Anspruch des größten Privatsenders sein. Und Stefan Raab - ist doch auch ein Flop.
Woran machen Sie das fest?
Ich habe mich von vornherein kritisch mit seinem Comeback auseinandergesetzt. Das hat nichts mit Geschmack zu tun, rein fachlich. Ich würde jede Wette eingehen, dass „Du gewinnst hier nicht die Million“ in den nächsten Wochen in die Einstelligkeit der Marktanteile fällt. Und dann wieder ESC und Poker? Stefan macht nochmal das Gleiche wie vor 15 Jahren - und was ich ihm am meisten vorwerfe: Er macht das nicht aus Leidenschaft, nur aus Zerstörungswillen und dem Antrieb, es ProSieben und Banijay zu zeigen. Und das finde ich zu wenig.
„Chefsache ESC 2025“ ist allerdings sehr erfolgreich gestartet.
Das ESC-Ding ist ja nächste Woche schon wieder durch. Es geht um „Du gewinnst hier nicht die Million“ - und abgerechnet wird in Geld. Davon hat RTL sehr viel in die Hand genommen. Und weil das zuletzt kaum noch Abos generiert hat, um so eine Sendung zu finanzieren die geschätzt 250.000 bis 300.000 Euro kostet, geht man ins Free TV um über den Werbemarkt ein bisschen was zu refinanzieren. Irgendwann kommen humorlose Buchhalter aus Gütersloh und werden fragen: Wieviel haben wir für Raab ausgegeben? Und wie viel haben wir verdient? Und dann geht es einfach nach Rentabilität. Und diese Sendungen sind weder rentabel und noch inhaltlich gut. Wobei das ja noch besser ist als wären sie sensationell geil und müssten dann weg, weil die unrentabel sind. Innovativ wäre gewesen, wenn Stefan das gemacht hätte, was kurzzeitig mal spekuliert wurde: Eine eigene Plattform zu starten, dann das Comeback als PayPerView vermarktet und künftig dort die eigenen Inhalte machen.
Innovativ wäre er demnach also gewesen, wenn er genau das gemacht hätte was Sie jetzt machen?
Aber dafür muss man auch eine Social Media Strategie haben!
Hatte er die nicht, wenn man an den Aufschlag bei Instagram an Ostern vergangenen Jahres denkt?
Ja, toll. Ein Video macht 60 Millionen Views und jetzt machen sie nur noch plumpe Werbung und holen noch 4000 oder 5000 Likes. So läuft Social Media nicht, das muss man persönlich und verlässlich bespielen - das zieht die Leute ran. Das habe ich gelernt seit ich Podcasts mache. 2019 erst mit Matze Knop, dann mit Amira, jetzt mit Sandy. Es gab sechs Jahre lang jede Woche einen Podcast, egal ob Scheidung, Hochzeit, Geburt oder sonst was war. Die Konstanz zahlt sich aus. Das schafft Nähe, ohne dass ich eine Home Story machen muss und es kann auch mal Tage ohne Story geben, aber dann tauche ich wieder irgendwo auf. Beim Super Bowl oder ganz woanders. Auf Reisen oder mit einer Meinung zu etwas. Das baut eine Bindung auf. Auf die setze ich jetzt.
Und Sie sind zuversichtlich damit genug Geld zu erlösen?
Es ist für mich bis heute schwer nachvollziehbar, wie man anhand von ein paar tausend GfK-Messgeräten sagt, so sind die Quoten gestern gelaufen und das hochrechnet. Es ist einfach bei weitem nicht mehr zeitgemäß, sich darauf zu verlassen. Das gilt ja auch für die, die da Werbung buchen. Vielleicht ging das mal nicht anders, aber heutzutage geht das doch deutlich besser. Und es wird ja nicht weniger Geld in Werbung investiert, es geht nur woanders hin. Digital kann ich alles exakt aussteuern, genaue Leistungswerte liefern und Brands ganz anders integrieren. Haben wir mit McDonalds und Ticketmaster schon gemacht. Da lernen wir weiter, sammeln Erfahrungswerte.
Sie halten sich mit Ihrer Meinung zur Branche nicht gerade zurück...
Und wenn man unbequeme Dinge anspricht, gilt man plötzlich als schwierig oder kompliziert. Ich bin einfach der Meinung, dass es generell gut ist, im Leben Klartext zu sprechen. Ich behaupte auch nicht, dass alles, was ich sage, immer richtig ist – es ist einfach meine Meinung. Nicht mehr und nicht weniger.
Herr Pocher, herzlichen Dank für das Gespräch.